Ein Plädoyer, als Fachkraft Grenzen zu setzenHaben Sie Mut zum Nein

Sozial eingestellt zu sein, bedeutet häufig auch, über die eigenen Bedürfnisse hinauszugehen, um es allen recht zu machen. Pädagoge und Coach Dirk Fiebelkorn kennt das aus seiner Praxis. Und weiß Rat.

Haben Sie Mut zum Nein
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Schaffst du das?“, fragen mich die Kolleginnen. „Wenn was ist, dann sag einfach Bescheid. Wir sind nebenan.“ Irritiert wechselt mein Blick von den Kolleginnen, die den Raum verlassen, zu den 15 Kindern, für die ich die Aufsicht übernehmen soll. Ich bin Springer mit 15 Stunden in vier verschiedenen Einrichtungen eines Trägers. Durch die vielen Wechsel sehe ich die Kinder höchstens einmal die Woche, dafür klappt die Beziehungsarbeit ganz gut. Allerdings weiß ich nicht, wie der organisatorische Ablauf in den Gruppen funktioniert. Wann gibt es Essen? Wie läuft das Frühstück ab? Welche Kinder werden gewickelt? Muss ich noch irgendwas beachten? Dafür bin ich nun ganz plötzlich allein zuständig. Wobei – rechtlich gesehen nicht. Nebenan sind ja noch die Kolleginnen. Die Betreuung ist also gewährleistet. Super. Mit Pädagogik hat das Ganze für mich sehr wenig zu tun.
Etwas später frage ich bei den Kolleginnen nach, ob wir nicht eher die Gruppe schließen müssen, wenn wir die Betreuung nicht mehr gewährleisten können. Daraufhin werde ich ein paar Tage später mit einer Kollegin und der Leitung in eine Diskussion verwickelt: Ich hätte durch meine kritischen Fragen schlechte Stimmung gemacht. Herzlich willkommen in unseren Kitas!
Ich liebe die Arbeit mit den Kindern in Kita und Hort. Ich durfte mit so vielen tollen pädagogischen Fachkräften arbeiten und habe so viel Herz bei so vielen Mitarbeitenden, Kindern und auch Eltern erleben dürfen. Es gibt aber auch die andere Seite: Personalnotstand, ungenügende Räumlichkeiten, viel zu viel Bürokratie, Personalschlüssel, die Bezahlung – und viele unqualifizierte Fachkräfte. Dabei meine ich nicht ihre Ausbildung. Ich meine Menschen, die einfach nicht mit Menschen arbeiten sollten. Es gibt in vielen Kitas gute Gründe „auszusteigen“. Das fällt einigen ganz leicht, anderen wiederum sehr schwer. Warum eigentlich? Einige sind bestrebt, die Kinder zu „retten“. Für sie steht fest: „Wenn ich gehe, lasse ich die Kinder im Stich. Das würde mich nicht nur zu einer schlechten Fachkraft machen, sondern gleich zu einem schlechten Menschen.“
Wir sind in diesem sozialen Beruf, um Menschen zu unterstützen. Leider ist es sehr schwer, für uns selbst zu sorgen, wenn wir unsere Arbeit über alles andere stellen. Ein Beispiel dafür sind die Streiks. Obwohl wir die Familien nicht im Stich lassen wollen, können wir nicht bei jedem Streik in jeder Einrichtung unzählige Notgruppen öffnen. Damit senden wir das Signal: „Im Zweifel ziehen wir unsere Forderungen zurück.“ Schwierig.
Dann gibt es noch die, die Veränderung als anstrengend empfinden. Das ist gar nicht unbedingt eine Frage der Kompetenz. Meiner Meinung nach sollte es allerdings eine gesunde Mischung aus Altbewährtem und Innovation geben, sonst treten wir auf der Stelle. Wenn wir also gemeinsam aufstehen wollen, um uns für unsere Rechte oder den Respekt in unserer Gesellschaft stark zu machen, dann sollten wir schon möglichst alle aufstehen. Wir sitzen alle im selben Boot. Und das ist auch so schon ziemlich leer.
Was kann sich also verändern? Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Kurz vorweg: Veränderung beginnt immer in einem selbst.

1. Die Situation wahrnehmen, akzeptieren, Lösungen finden

Hierbei bedeutet Akzeptieren nicht, die Situation gut zu finden. Es bedeutet, dass alles so wahrgenommen wird, wie es tatsächlich ist. Wie im Leben gibt es auch am Arbeitsplatz Situationen, Personen oder Probleme, die nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen oder sogar verletzend sind. Wenn diese akzeptiert werden, wird nicht mehr gegen Dinge angekämpft, die unveränderbar sind. Die gesparte Energie kann dann dazu genutzt werden, Lösungen zu finden und die Situation zu verbessern und damit wieder mehr Kontrolle zu übernehmen.

2. Nicht gegen, sondern für etwas kämpfen

Auf rationaler Ebene, vor allem wenn man sich das Ganze mathematisch erklärt, dann mag es aufs Gleiche rauskommen, ob für oder gegen etwas gekämpft wird. Der Mensch ist allerdings nicht so rational, wie er gerne wäre. Das ist auch gut so. Sonst käme die emotionale Kompetenz gar nicht zum Vorschein, die in der sozialen Arbeit unbedingt gebraucht wird. Es macht deshalb einen Unterschied, ob gegen die Politik, gegen nervige Eltern oder gegen die Kita gekämpft wird oder ob man sich für die Kinder, für die Kita und vor allem für sich selbst einsetzt. 

3. Zuerst auf sich selbst achten und dann auf die anderen

Nur, wer sich zuerst rettet, kann auch andere retten. Es gibt dafür ein schönes Sinnbild: Bei einem Druckverlust in der Kabine eines Flugzeugs fallen die Sauerstoffmasken aus den Fächern oberhalb der Sitze. Die eigene Sauerstoffmaske muss zuerst übergezogen werden, ehe den Mitreisenden wie beispielsweise den Kindern geholfen werden darf. Das lässt sich auch auf die Kita-Welt und den Umgang mit sich selbst, Kindern, Eltern und Kolleg*innen übertragen. Es ist wichtig, sich in problematischen Situationen nicht einfach treiben zu lassen, sondern eine bewusste Entscheidung zu treffen. Dabei gibt es immer drei Möglichkeiten:

  • Es ist okay so, wie es ist. Es geht nicht darum, alles gut zu finden, sondern zu akzeptieren, dass es so ist, wie es ist, und sich nicht darüber zu ärgern.
  • Es muss sich etwas ändern. Wenn Veränderung möglich ist, lohnt es sich, sich dafür einzusetzen und einen konkreten Plan zu entwerfen, wie der Kita-Alltag optimiert werden kann.
  • Es geht nicht mehr. Sollten die ersten beiden Möglichkeiten nicht infrage kommen, dann gibt es immer die Möglichkeit, die Kita zu verlassen und etwas Neues zu suchen.

Gibt es Verbündete?

Mal zu meckern ist in Ordnung, aber dies über einen längeren Zeitraum zu tun, ohne die Möglichkeit zu haben, etwas zu verändern, raubt unnötigerweise zu viel Energie. Deshalb ist es wichtig, Gleichgesinnte zu finden, die nach vorne blicken und bewusste Entscheidungen treffen. Die Kita-Fachkräfteverbände sind die Stimmen der Fachkräfte aus der Praxis und damit eine geeignete und wunderbare Anlaufstelle, die ich gerne empfehle.

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