Hoffnung auf ein Leben nach dem TodAuferstehung heute

Der Tod bildet für das menschliche Erkennen eine unübersteigbare Grenze. Ein gesichertes Wissen über das „Danach“ gibt es nicht. Während das Volk Israel erst spät – und nur in Teilen – zu einer Auferstehungshoffnung gelangte, versteht Jesus von Nazareth das Leben der Toten von der Lebendigkeit Gottes her. Lässt sich das mit heutigem Erfahrungswissen und der Vernunft vereinbaren?

Bei allen Hoffnungsentwürfen für ein Leben nach dem Tod besteht die gleiche erkenntnistheoretische Ausgangslage: Sie sind wissenschaftstheoretisch gesehen Hypothesen, existenziell gesehen gewagte Glaubenshoffnung. Man kann aber ihre Voraussetzungen und Grundlagen, ihre mehr oder weniger guten Begründungen, ihre innere Stimmigkeit oder Nicht-Widersprüchlichkeit und ihre Vereinbarkeit mit unserem Erfahrungswissen prüfen, in diesem Sinne nach ihrer Vernunftgemäßheit fragen und nach ihrem Beitrag zu einem humanen Leben und Sterben. Das Neue Testament (1 Petr 3,15) fordert jedenfalls auf zur Verantwortung unserer Hoffnung vor jedem, der danach fragt.

Der christliche Hoffnungsentwurf hat eine fundamentale theologische Voraussetzung: Er setzt Gott voraus. Er rechnet mit einem göttlichen Urgrund der Wirklichkeit, mit einer allen physikalischen Dimensionen gegenüber absolut transzendenten Dimension und Wirklichkeit, die von allem Bedingten, Werdenden und Vergehenden wesenhaft verschieden, aber nicht getrennt, sondern in ihm verborgen gegenwärtig ist. Diese Wirklichkeit wird in der christlichen Glaubenssprache mit dem Wort „Gott“ anvisiert.

Ludwig Wittgenstein hat notiert: „An einen Gott glauben, heißt sehen, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht getan ist.“ Das war für Altisrael klar. Trotzdem hat es sich fast 1000 Jahre lang eine explizite Hoffnung für die Toten versagt. Es vermied jede Projektion menschlicher Wunschträume über die Todesgrenze hinaus. Hier auf dieser Erde galt es, vor und mit Gott zu leben (Dtn 6,4–9), nicht weil er dem Menschen etwas bringt, sondern um seiner selbst willen.

Als dieses biblische Israel dann spät (im zweiten Jahrhundert v. Chr.) doch zu einer Hoffnung für die Toten durchstieß, geschah dies aus dem Jahwe-Glauben selbst heraus, als dessen innere Konsequenz und Explikation. Die biblische Hoffnung für die Toten gründet im Glauben an den göttlichen Ur-Grund, an seine dynamische Lebendigkeit, schöpferische Beziehungsmacht, Gerechtigkeit und Treue.

Gott „vergisst“ seine Geschöpfe nicht

Auch Jesus von Nazareth versteht ein Leben der Toten ganz von der Lebendigkeit und Beziehungsmacht Gottes her. Im Streitgespräch mit den altgläubigen Sadduzäern, die ein Leben der Toten ablehnten, weil in ihrer Schrift, dem Pentateuch, davon noch keine Rede war und Gott für sie ein Gott nur der Lebenden sein konnte, nimmt er eine ihrer Textgrundlagen (Ex 3,6: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“) und entwindet ihnen diesen Text in einer verblüffenden Exegese: Wenn „Gott nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebendigen“, aber zugleich der „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ ist, die doch verstorben sind, dann können diese nicht tot, sondern nur von Gott her lebendig sein (Mk 12,27). Mit anderen Worten: Wenn Gott der schlechthin Lebendige ist, dann können seine Geschöpfe, zu denen er ein Verhältnis eingeht, nicht vergangen, sondern nur zu ewiger Gegenwart bei Gott aufgehoben sein. Gott „vergisst“ seine Geschöpfe nicht (Jes 49,14–16; Ps 27,10; Lk 12,6).

Christen können dann – aufgrund der mit Jesus gemachten Erfahrung Gottes – mit Paulus sagen: „Nichts, auch nicht der Tod, vermag uns zu trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“ (Röm 8,38f.). Explizit inhaltlich christlich ist die Hoffnung auf die Auferstehung und das Leben der Toten, wenn sie sich davon bestimmen lässt, wie Gott in Jesus Christus sich selbst offenbart: nicht als kalter Urgrund der Wirklichkeit, sondern als letzte Güte oder Agape, die für alle Menschen entschieden ist, daher alle sucht (Lk 15) und erreichen möchte, von sich aus niemanden ausschließt oder fallen lässt, sondern alle retten will (1 Tim 2,4 u.a.).

Christliche Hoffnung versucht also, die in der Geschichte Jesu erfahrene Selbsterschließung Gottes als unbedingt allen geltende Güte beim Wort zu nehmen und sie über die Todesgrenze hinaus zu Ende zu denken. Wer auf diesen Gott setzt, auf die für alle entschiedene letzte Güte, den plagt nicht mehr, was mit ihm und seinen Mitmenschen im Tod passiert; das kann er getrost Gott überlassen.

Wenn aber die im Glauben an Gott gründende Hoffnung auf Auferstehung der Toten einlösbar sein soll, dann muss die Identität der Person nach dem Tod mit der Person vor dem Tod gewahrt sein, und zwar die numerische Identität (oder Selbigkeit), nicht nur die qualitative Identität (wie bei einer Kopie oder Nachbildung).

Was macht die numerische Identität einer menschlichen Person aus? Weder äußere Merkmale wie Aussehen, soziale Stellung, die sich ändern können, noch die Kontinuität ihrer hirnbasierten Erinnerungen, die bei Gedächtnisschwund abbrechen können. Was eine menschliche Person zu dieser bestimmten Person macht, ist vielmehr, dass sie über eine bewusste ihr eigene Erste-Person- oder Ich-Perspektive verfügt. Sie hat nicht nur mentale Zustände wie Denken, Fühlen, Wünschen, Lieben oder Weltoffenheit, sondern kann sich selbst als deren Subjekt – eben als Erste Person („ich“) – wissen oder empfinden.

Aber eine Person ist mehr als ihr Selbstbewusstsein. Sie besitzt einen materiell-biologischen Körper, durch den sie die Welt erfahren, mit anderen kommunizieren, willentlich handeln, über den sie „von außen“ identifiziert werden und den sie „von innen“ spüren kann. Menschliche Personen oder Bewusstseinssubjekte sind in unserer materiellen Welt an einen materiellen Körper mit Gehirn gebunden und von ihm abhängig.

Ist es denkbar, dass eine Person aufhören könnte, einen materiellen Körper mit funktionierendem Gehirn zu haben, ohne dass sie aufhört, als identische Person (mit ihr eigener Ich-Perspektive, Selbstbewusstsein, Wille und Weltbezug) zu existieren? Spricht etwas dafür?

Tatsächlich spricht manches dafür. Aus Nahtod- und speziell Außer-Körper-Erfahrungen, die es quer durch alle Kulturen und Weltanschauungen gibt, darf man nicht zu viel ableiten. Denn sie wurden stets vor der Grenze des Todes gemacht, die Betroffenen haben also – anders als Esoteriker suggerieren – keinen „Blick nach drüben“ getan. Zudem sind Bruchstücke solcher Erfahrungen künstlich induzierbar und erklärbar.

Ein Sachverhalt aber ist interessant und stellt die Wissenschaft vor Rätsel: Manche Reanimierten kehren aus der Komaphase (klinischem Tod und Bewusstlosigkeit) zurück und haben ein klares Wissen über Vorgänge in der objektiven Welt, die nachweisbar zutrafen, die sie aber eigentlich gar nicht wissen können. Sie berichten nämlich nicht nur, wie sie plötzlich ihren materiellen Körper verließen und diesen von oben auf dem OP-Tisch liegen sahen, sondern – obwohl ihre Augen abgedeckt waren, in ihren Ohren klickende Apparate steckten, oder sie gar von Geburt an blind oder taub waren – konnten sie im Detail wahrnehmen, was Ärzte und Helfer gesagt und getan hatten. Sie konnten ihnen vorher unbekannte Geräte und Räume genau beschreiben, die Details ließen sich nachprüfen und erwiesen sich als korrekt.

Der entscheidende durch prospektive Studien klar erwiesene Punkt: Es handelt sich um exakt überprüfbare, bis ins Detail verifizierbare Wahrnehmungen von außersubjektiver Realität, die sie nicht mit ihren physischen Sinnen wahrgenommen haben können. Halluzinationen scheiden aus, weil das, was wahrgenommen wurde, sich nachprüfbar tatsächlich in der äußeren Realität ereignet hat. Durch diesen Sachverhalt wird die materialistische Ansicht in Frage gestellt, dass Wahrnehmung, Bewusstsein, Person-Sein unlöslich an den funktionierenden Körper und sein Gehirn gebunden seien und die Person mit dem Gehirn erlösche.

Ein vom materiellen Körper unabhängiges Bewusstsein

Es liegt nahe, mit einem wahrnehmenden Bewusstsein zu rechnen, das ablösbar ist vom hirnbasierten Bewusstsein und vom Körper mit seinen Sinnen, und das auch dann existieren kann, wenn diese etwa bei Außer-Körper-Erfahrungen ausfallen. Ein vom materiellen Körper und Gehirn unabhängiges Bewusstsein wird denkbar, das die Identität der Person in Extremerfahrungen gewährleistet und – wer weiß? – vielleicht auch über den Tod hinaus. Genau dieser Identitätsträger, Personkern, Selbst, Seele oder wie immer man das nennen mag, müsste ja über den Tod hinaus bewahrt bleiben und in die göttliche Dimension eingehen, wenn es ein postmortales Leben der individuellen Person geben soll, die einmal gelebt hat.

Bedeutsam ist noch: Etwa die Hälfte der Betroffenen berichtet, dass sie sich während ihrer Außer-Körper-Erfahrung in einem andersartigen, „schwerelosen, immateriellen Körper“ empfanden. Ohne Widerstand konnten sie mit diesem durch feste Strukturen wie Mauern hindurchgehen und sich mühelos zu Menschen in der materiellen Welt hinbegeben. Allerdings konnten sie nicht von diesen wahrgenommen werden, mit ihnen kommunizieren oder in Weltzusammenhänge aktiv eingreifen. Manche begegneten darüber hinaus in einer anderen Dimension Verstorbenen und kommunizierten mit ihnen „geistig“ (vgl. Pim van Lommel, Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung, 2009, 47 und öfter).

Es wird also denkbar, dass eine Person aufhören könnte, einen ,materiellen Körper zu haben, ohne dass sie damit aufhört zu existieren. Freilich kann eine menschliche Person nicht abstrakt als in sich verschlossene, fensterlose Monade oder anima separata existieren, also nicht ohne sozialen und Weltbezug, mit anderen Worten nicht ohne irgendeine Art von „Körper“ oder besser „Leib“.

Denn „Leib“ ist phänomenologisch und biblisch Kürzel für die Person mit ihren Bezügen zu sich (Sich-Empfinden) und zu anderen (Begegnung), während „Seele“ Kürzel für die Einheit von Ich-Perspektive, geistigen Fähigkeiten sowie prinzipiellem Geöffnetsein für das Ganze und seinen göttlichen Grund sein kann.

Wenn es gute Gründe gibt für die Grundannahme einer unsere Welt übersteigenden Wirklichkeit (Gott), ohne die es kein neues Leben der verstorbenen Individuen geben kann, und für die Annahme eines vom physischen Körper und Gehirn unabhängigen Bewusstseins, welches die numerische Identität von prämortaler und postmortaler Person wahrt, ist zwar nicht bewiesen, aber durchaus vernünftig denkbar, dass es ein Leben der Person nach ihrem physischen Tod geben kann.

Wie aber kann christliche Auferstehungshoffnung konsistent gedacht werden, das heißt, ohne in sich widersprüchlich zu sein und ohne gesichertem heutigem Wissen zu widersprechen?

Vorweg: Von der Überzeugung, dass Gott den Verstorbenen neues Leben gibt, ist zu unterscheiden, in welchen Bildern man sich dieses vorstellt. Weisheitliche Beter hoffen, die Person beziehungsweise die mit ihr identische Totenseele werde von Gott „entrückt“, „erhöht“, „aufgenommen“ in seine Dimension. Apokalyptik glaubt, die Toten würden am Weltende auf eine erneuerte Erde „aufstehen“.

Nach dem Ausbleiben des Weltendes nimmt man auch nicht-apokalyptisch die Auferstehung in den Himmel mit neuem Leib an. Stärker hellenistische jüdische Texte denken an eine von Gott bewirkte Unsterblichkeit der nicht platonisch gedachten Seele. Es gibt zudem Texte, die an solchen Konkretionen kein Interesse zeigen. Auf(er)stehung ist also ein begrenztes Bild neben anderen und nicht die Sache selbst. Das Bildwort „auf(er)stehen“ kann das Aufstehen aus Schlaf oder Niederlage bezeichnen, aber auch übertragen als Metapher ersten Grades die wundersame Wiederbelebung, das Wieder-Aufstehen vom Tod zurück ins sterbliche Erdenleben, und dann als Metapher zweiten Grades die endgültige Auferstehung der Toten.

Wegen dieser Mehrdeutigkeit ist die Gefahr groß, letztere als Wiederbelebung des Leichnams misszuverstehen. Dem wehren andere Bilder wie Erhöhung, Entrückung, Aufnahme in den Himmel (heaven, nicht sky) also in die Dimension Gottes.

Wenn die Sadduzäer, die ein neues Leben der Toten ablehnten, „Auferstehung der Toten“ hörten, dann assoziierten sie naive Vorstellungen, als sollten die verwesten Körper wiederbelebt und frühere Verhältnisse vor dem Tod wiederhergestellt werden. Und eine so verstandene Auferstehung haben sie wegen der absurden Konsequenzen mit Recht als undenkbar abgelehnt. So machen sie Jesus gegenüber eine „Auferstehung“ lächerlich mit der Frage, wem denn dann eine Frau gehören solle, die nach dem Tod ihres Mannes der Reihe nach seine sieben Brüder heiratete, die ebenfalls alle verstarben.

Doch Jesus korrigiert sie, denn er versteht Auferstehung anders: „Wenn sie von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht mehr, sondern sind wie Engel in den Himmeln“ (Mk 12,24f.). Die Metapher „wie Engel in den Himmeln“ will sagen: in einer ganz anderen Seinsweise in der Dimension Gottes, also transformiert, verwandelt. Explizit spricht Paulus davon, dass wir im Tod „verwandelt werden“ (1 Kor 15,51f.; Phil 3,21; 2 Kor 3,18). Er denkt Auferstehung förmlich als Verwandeltwerden.

Leibhaftige Auferstehung meint daher nicht „Wiederauferstehung“ im Sinn von Wiederherstellung, nicht Fortsetzung, Verbesserung, Steigerung des jetzigen biologischen Lebens, sondern etwas radikal Neues: „Leibhaftiges“ Aufgenommenwerden der Person, das heißt mit ihren Relationen aus der vergänglichen materiellen Lebensform in die radikal andere Ewigkeitsdimension Gottes und damit in eine neue, nicht mehr physikalisch-biologisch zu fassende Seinsweise, in radikal andersartiges, unzerstörbares Leben. Und dabei, so gibt biblischer Gottesglaube zu hoffen, werden nicht einfach die früheren Beziehungen der Person festgeschrieben, so dass die gescheiterten, zerstörten, verweigerten Beziehungen der Person bleiben, wie sie sind, und ihre uneingeholten Möglichkeiten auch uneingeholt bleiben. Vielmehr wird alles verwandelt: heilgemacht, geläutert, zurecht-gebracht, gerichtet, erlöst, einer erfüllenden Vollendung zugeführt.

Ein widerspruchsfreies Denkmodell

Und wann soll das geschehen? Erst „am Jüngsten Tag“ oder bereits „im Tod“? Im Neuen Testament gibt es beide Vorstellungsmodelle. Die Vorstellung „Auferstehung erst am Jüngsten Tag“ ist durch das apokalyptische Weltbild bedingt, nach dem man die allgemeine Totenauferstehung für das nahe Weltende erwartete. Als das Weltende ausblieb und die Menschen starben, bekam man, sofern man an der apokalyptischen Bildwelt festhielt und sie als Faktenbeschreibung verstand, ein Problem: Was ist mit den Toten bis zur Auferstehung am Weltende? Man suchte nach Auswegen.

Der eine Ausweg: Seit etwa 100 n. Chr. wird in einigen jüdischen und zunehmend in christlichen Schriften apokalyptische Auferstehung am Weltende mit platonisch-dualistischen Ideen verknüpft zu folgender Auffassung: Der Tod ist Trennung von zerfallendem Körper und unsterblicher Seele, die zu Gott gelangt, aber leiblos-nackt bleibt und – in einem Zwischenzustand – warten muss bis zum Jüngsten Tag, wo sie wieder mit ihrem auferweckten Körper vereinigt wird. Diese Konzeption eines Zwischenzustands der leiblosen Seele ist nach Karl Rahner ein missglücktes Vorstellungsmodell. Von den Widersprüchen seien nur zwei erwähnt. Zum einen besteht das Problem der leiblos-nackten anima separata, die es laut Thomas von Aquin nicht geben kann: Sie wäre contra naturam animae, Person-Sein, Mensch-Sein, Ich-Bewusstsein mit Beziehungen kämen ihr nicht zu. „Wenn daher die Seele im andern Leben das Heil erlangte, wäre dennoch nicht ich oder ein Mensch im Heil“ (Kommentar zu 1 Kor 15 und öfter).

Zum anderen besteht das Problem der Zeit nach dem Tod: Ein Nacheinander und Warten auf noch Ausstehendes gibt es gewiss für uns, die wir noch im Zeitfluss sind, also in unserer Hinterbliebenenperspektive. Aber darf man es ins Jenseits der Todesgrenze projizieren und damit in Gottes Ewigkeit eintragen? Nebenbei bemerkt: Schon in vortodlichen Nahtoderfahrungen spielen Zeit- und Raumabstände keine Rolle mehr, aber lebendige Beziehungen sehr wohl.

Der andere Ausweg ist die Theorie vom Ganztod: Im Tod werde der ganze Mensch mit Leib und Seele vernichtet und am Weltende der ganze Mensch von Gott aus nichts neu geschaffen.

Gott interveniert nicht von außen, er ist der tragende Grund in uns

Aber mit dieser Theorie handelt man sich ein gravierendes anderes Problem ein: Wäre dieser von Gott ein zweites Mal aus nichts neu geschaffene Mensch überhaupt noch derselbe Mensch, der gestorben ist, oder vielmehr eine ihm qualitativ gleiche Kopie? Die nur qualitativ-identische Rekonstruktion hätte, selbst wenn sie alle Eigenschaften der gestorbenen Person besäße, eine andere Ich-Perspektive, sie wäre ein numerisch anderes Subjekt mit einem anderen Selbstgefühl und anderen Beziehungen.

Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Dass Gott diesen bestimmten Menschen liebt, darf doch nicht durch einen Ganztod mit nachfolgendem Nichtsein bis zur Neuerschaffung unterbrochen werden. Es ist schwer vorstellbar, dass Gott einen Jemand liebt und ihn auslöscht, um an seiner Stelle ein ihm gleiches Nachfolgemodell zu setzen. Denkbar ist vielmehr, dass er ein und denselben Jemand aufhebt und ihn zu einer alles übertreffenden Vollendung führt.

Beide Auffassungen, die eine Auferstehung erst am Weltende annehmen, sind folglich voller Widersprüche.

Nun kennt das Neue Testament wie schon das Alte Testament aber noch ein ganz anderes Denkmodell: Jeder einzelne Verstorbene geht unmittelbar mit seinem Tod in die Dimension Gottes ein, ins ewige Leben. „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“, sagt der gekreuzigte Jesus zum reumütigen Schächer (Lk 23,43). Paulus wünscht sich im Gefängnis, die drohende Hinrichtung vor Augen, abzuscheiden und ganz, „nicht nackt“, beim Herrn zu sein (Phil 1,23; 2 Kor 5,1–8). Im Johannesevangelium, für das die Erhöhung (beziehungsweise die Auferstehung) Jesu schon am Kreuz geschah, sagt Jesus: „Wer mir nachfolgt, wird im Tod dort sein, wo ich bin, und der Vater wird auch ihn verherrlichen“ (11,25; 12,23–33).

Auf dieser Linie konnte die kirchliche Tradition zumindest für Märtyrer und andere privilegierte Personen wie Maria, die Apostel, den reumütigen Schächer oder die Patriarchen eine volle Auferstehung und Seligkeit bereits mit ihrem Tod annehmen.

Wenn aber, so hat Rahner gefragt, prinzipiell eine sofortige Auferstehung im Tod möglich ist, warum soll dies dann nur für ein paar Ausnahme- und Sonderfälle gelten? Von den biblischen Grundlagen her sowie aus systematischen Gründen leuchte viel eher ein, dass die Auferstehung sich für jeden Menschen im Augenblick seines persönlichen Todes ereigne. Auferstehung im Tod, ohne Zwischen- und Wartezustand. So gesehen stirbt die Person nicht ins Nichts, sondern in Gott hinein: Sie wird im Sterben von Gott gehalten und im Moment ihres Todes mit einem neuen, unzerstörbaren Leben beschenkt. Und zwar die Person nicht als nackte Seele, sondern „leibhaftig“, das heißt, sie höchstpersönlich mit ihren Beziehungen zu sich, zu anderen, zur Welt.

Auferstehung wird denkbar als im Tod erfolgendes Aufgenommenwerden der Person, deren materieller Körper zerfällt in die Ewigkeitsdimension Gottes und in die dieser entsprechenden immateriellen, unvergänglichen Seinsweise.Dabei muss Gott nicht von irgendwo außen intervenieren, weil er der schon immer präsente tragende Grund in uns ist. Gott, der Christus von den Toten erweckt hat, wird auch euch „lebendig machen durch seinen Geist, der schon in euch wohnt“, sagt Paulus (Röm 8,11). In Nicht-Glaubenden ist Gottes Geist zumindest im Modus des Angebots.

Ewiges Leben als Anteilbekommen an Gottes Ewigkeit

Wenn der Tod Ausstieg aus der uns geläufigen Raum-Zeit-Dimension und Eingehen in die allgegenwärtige Ewigkeit Gottes ist, dann wäre die Alternative „Auferstehung im Tod oder Auferstehung am Jüngsten Tag“ eigentlich hinfällig. Denn was man herkömmlicherweise „Jüngsten Tag“ nennt – Wiederkunft Christi, Gericht, Vollendung – das würde für jeden Menschen mit seinem Tod unmittelbare Realität: In meinem Tod erlebe ich den wiederkommenden Christus.

Eingehen in die allgegenwärtige Ewigkeit Gottes: Im Denken sich dem anzunähern, verlangt einerseits, unsere Raum-Zeit-Kategorien (mit Auseinanderfall von Hier und Dort, Früher und Später) zu übersteigen, andererseits aber nicht einen erwartungslosen In-eins-Fall und Stillstand zu denken, sondern Lebendigkeit Gottes und ewiges Leben als prozessuales Beziehungsgeschehen voller Dynamik.

Echte Ewigkeit (aeternum), die allein Gott zukommt, wäre mit dem spätantiken Gelehrten Boethius zu denken als „der völlige und zugleich vollkommene Besitz unbegrenzbaren Lebens“, nicht dagegen als endlose Dauer (perpetuum oder schlechte Ewigkeit), die nach Boethius vielleicht dem anfangs- und endlosen Kosmos zukommen mag. Ewiges Leben wäre zu denken als Anteilbekommen an Gottes Ewigkeit, als „Leben in Fülle“ (Joh 10,10), voller Dynamik und freudiger Überraschung, in einer allumfassenden familia dei. Augustinus konnte formulieren: „Wir werden uns erfreuen an Gott und aneinander in Gott“ (frui deo et invicem in deo).

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