Zur Gründung des Menschenrechtsrates der Vereinten NationenEine klare Verbesserung

Seit kurzem gibt es den neu geschaffenen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen; die bisher bestehende UN-Menschenrechtskommission wurde aufgelöst. Ist damit lediglich eine neue Arbeitsform gefunden, in welcher sich die bekannten Probleme fortsetzen – oder bahnt sich eine wirkliche Reform des internationalen Menschenrechtsschutzes an?

Der Libanon-Krieg hat es erneut gezeigt: Es gibt durchaus unterschiedliche Standpunkte zur Frage, ob und wie die Menschenrechte zur Beurteilung von politischem Handeln herangezogen werden können. Während die einen zwar zugestehen, dass das Völker- und Menschenrecht beim Vorgehen des israelischen Militärs auch eine Rolle spielt, aber eben Bestandteil einer größeren politischen Gesamtbewertung sein muss, bestehen die anderen auf dem uneingeschränkten Primat dieser Rechte. Die Menschenrechte geben in dieser Sicht überhaupt erst den Rahmen vor, innerhalb dessen sich das politische und militärische Handeln eines Staates wie Israel abspielen darf. Erkennen kann man daran den speziellen Charakter der Menschenrechte: Sie sind als Rechte bereits Regeln mit einem Anspruch auf unbedingte Geltung, zugleich aber sind sie immer noch in Entwicklung; und gerade die politische Wirklichkeit mit Kriegen, Katastrophen und Notsituationen führt meist erst zur verbindlichen Ausformulierung dieser Rechte. Die Vereinten Nationen hatten seit ihrer Gründung immer den Anspruch, die zentrale weltpolitische Plattform für die Menschenrechte zu sein. Ihr Ziel war und ist es, aus vielen hehren Worten wirkliches Recht zu entwickeln und dies dann auch in Politik umzusetzen. Die 1948 verabschiedete „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und in der Folge zahlreiche Menschenrechtspakte zeugen davon. Dieser hohe Anspruch für die Arbeit der Vereinten Nationen wurde institutionell leider nicht eingelöst: Lediglich eine Fachkommission innerhalb des so genannten „Wirtschafts- und Sozialrates“ (ECOSOC) sollte sich um die Menschenrechte kümmern – die seit dem Jahr 1946 tätige, aus 53 Mitgliedern bestehende Menschenrechtskommission. Schon der Wirtschafts- und Sozialrat und in der Folge auch die Menschenrechtskommission erfüllten nicht die in diese Strukturen gesetzten Erwartungen. Immer stärker kam deshalb der Ruf nach einer grundlegenden Reform der Vereinten Nationen auf. Generalsekretär Kofi Annan hat dies zu einem seiner Arbeitsschwerpunkte in den vergangenen Jahren gemacht. Kern seiner Vorschläge und Entwürfe war die Forderung, die Menschenrechtspolitik der Staatengemeinschaft effektiver zu gestalten, weil sich daran letztlich die Glaubwürdigkeit der UNO als Ganzer entscheide. Nach einer Diskussions- und Entscheidungsphase von rund zwei Jahren kam es am 15. März dieses Jahres zur Gründung des neu geschaffenen „Menschenrechtsrates“ durch die UNO-Vollversammlung; zugleich wurde damit die bisher bestehende UNO-Menschenrechtskommission aufgelöst. Die entscheidende Frage lautet: Ist damit lediglich eine neue Arbeitsform gefunden, in welcher sich die bekannten Probleme und Blockaden fortsetzen – oder bahnt sich eine wirkliche Reform des internationalen Menschenrechtsschutzes an?

Ein Grund für das Scheitern der Menschenrechtskommission war der Kalte Krieg

Im Auge haben sollte man zunächst die Wege, die einem Gebilde wie der UNO überhaupt zur Verfügung stehen, um die Menschenrechte zu schützen: Staaten schließen sich in ihr zusammen, geben ihre Souveränität dabei aber nicht einfach ab. Allerdings begeben sie sich in einen neu geschaffenen Raum der Öffentlichkeit. Andere haben plötzlich ein Recht zuzusehen, was bei einem selbst geschieht, und Erkundigungen einzuholen, wenn gegen die gemeinsamen Grundlagen verstoßen wird. Eine solche Form der Öffentlichkeit wirkt zwar nicht unmittelbar, aber doch indirekt disziplinierend. Noch unabhängig von der letzten Instanz wirtschaftlicher und sogar militärischer Sanktionen bedeutet bereits jede Minderung des Ansehens im Rahmen einer verfassten internationalen Gemeinschaft einen Verlust für das eigene Land. Wo die internationale Reputation sinkt, man gar am Pranger steht, schmälern sich sukzessive auch die Möglichkeiten für florierende Außenbeziehungen in Handel, Kultur und Wissenschaft.

Die UNO mit ihrem Gremiensystem schafft eine internationale Vernetzung, in der Staaten zu Auskünften und regelmäßiger Rechenschaft verpflichtet sind. Dass die Menschenrechtskommission diese Rolle in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte nicht spielen konnte, hatte verschiedene Gründe: Auf die Arbeit der Vereinten Nationen insgesamt, insbesondere aber auf deren Menschenrechtsengagement schlug der Kalte Krieg in voller Härte nieder. Die verfeindeten Blöcke warfen sich gegenseitig Menschenrechtsverletzungen vor, so der Osten dem Westen dessen angeblich fehlende Sensibilität für die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte, und die Staaten des Westens zogen die Regime des Ostblocks für deren Verletzung der Bürgerrechte und die Beschränkung der individuellen Freiheiten zur Rechenschaft. Ergebnis war, dass die Menschenrechte zum Versatzstück gegenseitiger Vorwürfe wurden und Bemühungen um eine Politik der kleinen Schritte im Namen der Menschenrechte regelmäßig im Sande verliefen. Die Menschenrechtskommission wurde zum Forum der Blockkonfrontation. Ebenso aber trugen die Arbeitsformen des Gremiums zu seinem Bedeutungsverlust bei: Als Fachkommission war sie kein UN-Hauptgremium und tagte deshalb nicht ständig, sondern lediglich sechs Wochen im Jahr. Eine kontinuierliche Überwachung der Menschenrechtslage war dadurch nicht möglich und jedes unmittelbare Reagieren auf akute Notlagen erschwert. In den Kommentaren und Analysen, die zur jetzigen Reform führten, spielte schließlich auch das Moment der so genannten „Politisierung“ der Menschenrechtskommission eine Rolle. Dabei ist es ja gerade Ziel der Vereinten Nationen, die Menschenrechte zum Maßstab für politisches Handeln zu machen. Gemeint war mit der Redeweise eher eine Instrumentalisierung des Gremiums zum eigenen nationalen Vorteil oder die Marginalisierung des Anliegens aus Proporzgesichtspunkten heraus – wenn etwa Libyen im Jahr 2003 in die Kommissionspräsidentschaft gewählt wurde oder Sudan trotz massiver Menschenrechtsverletzungen auf der Frühjahrssitzung 2004 zum Mitglied der Kommission bestimmt wurde. Wie könne, so der Tenor der Kritik, ein Gremium im Namen der Völkergemeinschaft für die Menschenrechte sprechen, in dem selbst Staaten sitzen, die zu den heftigsten Menschenrechtsverletzern gehören? Die Unzufriedenheit wurde in den vergangenen Jahren immer deutlicher geäußert, und dabei spielten die USA eine entscheidende Rolle. Aber auch aus Deutschland kamen Forderungen, so vom Forum Menschenrechte, dem Zusammenschluss von rund 50 Menschenrechtsorganisationen: In einem 10-Punkte-Programm vom Juni 2005 wurden zentrale Kriterien für die Reform definiert. Wert legte man insbesondere darauf, dass auch im neuen Rat Einzelorganisationen, die über Konsultativstatus bei den Vereinten Nationen verfügen, Rederecht bekommen. Oft haben über dieses Ticket Nichtregierungsorganisationen (NGO) besonders eindrückliche Menschenrechtsverteidiger nach Genf eingeladen und so ermöglicht, dass sich Staatenvertreter auch eine Perspektive von Betroffenen oder deren Fürsprechern aus erster Hand anzuhören hatten.

Kein ständiges Gremium

Angestoßen durch den Bericht einer Expertengruppe, vor allem aber durch die Vorschläge von Kofi Annan selbst beschloss die Vollversammlung dann die Einrichtung des Menschenrechtsrates. Bereits der Name, der in bewusster Parallele zum Sicherheitsrat gewählt wurde, zeigt an, dass eine Aufwertung der Menschenrechtspolitik angestrebt ist. Worin bestehen die Unterschiede zur vormaligen Menschenrechtskommission? Seine Legitimation erfährt der Rat nunmehr von der Vollversammlung; in ihr werden die 47 (bisher: 53) Mitgliedsstaaten gewählt, mit absoluter Mehrheit sowie nach einem geografischen Schlüssel. Afrika stellt 13 Mitglieder (-2), Asien 13 (+1), Osteuropa 6, Lateinamerika/Karibik 8 (-3), Westeuropa/westliche Länder 7 (-3). Die Amtszeit beträgt in der Regel drei Jahre, eine Wiederwahl ist nur ein Mal möglich, danach muss ein Staat zumindest pausieren. Die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen ist weiterhin gewährleistet. Der Menschenrechtsrat hat seinen Sitz in Genf, entgegen der ursprünglichen Planung konnte aber nicht durchgesetzt werden, dass er als ein ständiges Gremium eingerichtet wird. Seine Sitzungszeiten wurden verlängert: Gegenüber den sechs Wochen der alten Kommission betragen sie für den Rat nun mehr zehn Wochen, die sich auf drei verteilte Sitzungsperioden im Jahr verteilen. Neu ist die Möglichkeit von Sondersitzungen: Bei Votum eines Drittels der Mitglieder muss die Zusammenkunft einberufen werden. Eine entscheidende Neuerung gegenüber der Kommission ist eine „peer review function“: Darunter muss man sich einen wechselseitigen Kontrollmechanismus vorstellen, bei dem die Mitgliedsstaaten des Rates sich einer regelmäßigen Kontrolle ihrer eigenen Menschenrechtsbilanz unterziehen. Damit soll die eigene Glaubwürdigkeit erhöht werden und auch die Möglichkeit geschaffen sein, bei Bedarf Mitglieder mit guten Gründen aus dem Rat auszuschließen.

Nach der formellen Einsetzung des Rates war klar, dass zwar die weiter gehenden und auch von der Politik der deutschen Bundesregierung unterstützten Reformvorschläge nicht vollständig umgesetzt werden konnten. Das Ergebnis hat aber dennoch wesentlich bessere Erfolgschancen, als dies bei der ehemaligen Menschenrechtskommission der Fall war. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier begrüßte in einer Presseerklärung vom 16. März die Einsetzung des Rates und plädierte dafür, das Erreichte anzuerkennen, wenngleich weitere Fortschritte zu wünschen gewesen wären. Hervorzuheben in diesem Statement eines Mitglieds der Bundesregierung ist, dass die gelungene weitere Einbindung der Nichtregierungsorganisationen eigens und als Verhandlungserfolg hervorgehoben wird. Das zeigt einen Wandel im Verständnis staatlicher Politik an, der noch vor 15 Jahren in selber Weise nicht vorstellbar gewesen wäre: Mittlerweile schätzt die Bundesregierung in vielen Bereichen das Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft, anstatt im Wirken der NGOs eine Erschwernis ihrer Arbeit zu sehen. Für eine grundlegende Bewertung bleibt dennoch abzuwarten, wie die neue Institution mit Leben gefüllt wird. Ein erster Schritt war die Wahl der Mitgliedsstaaten durch die UN-Vollversammlung am 9. Mai. Noch vor Ländern wie Frankreich, Großbritannien und der Schweiz wurde Deutschland mit 154 Stimmen in den Rat gewählt. Die Freude bei deutschen Diplomaten über dieses Ergebnis war groß und wurde intern als Anerkennung der beständigen Unterstützung des UN-Systems durch Deutschland, aber auch seines Einsatzes für das Thema Menschenrechte gewertet.

Ein erster Dämpfer besteht darin, dass aus der asiatischen Gruppe mit China, Saudi-Arabien und Pakistan Staaten mit einer sehr zweifelhaften Menschenrechtsbilanz gewählt wurden. Aber auch Russland und Kuba wurden Mitglieder des Rates. Nichtregierungsorganisationen machen daran ihre Kritik fest – dass der Wahlmodus über Kontinentallisten und ohne große Mehrheiten beinahe zwangsläufig Staaten einen Platz garantiert, deren Politik unter starker internationaler Kritik steht. Die Tatsache jedenfalls, dass die Wahl der Mitglieder nunmehr nicht in einem der UN-Untergremien, sondern durch die Vollversammlung stattfindet, darf als Fortschritt bewertet werden. Es hat sich bereits gezeigt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für den Menschenrechtsrat dadurch gestiegen ist und mit der Wahl ein öffentlicher Gradmesser dafür existiert, welchem Land innerhalb der Kontinentalgruppen zugestanden wird, in Sachen Menschenrechtspolitik mitzureden. Kritisch ist zu sehen, dass die Mitglieder nur der absoluten Mehrheit in der Vollversammlung bedürfen, um in den Rat zu gelangen. Die USA hatten eine Zweidrittelmehrheit verlangt, um damit eine höhere Hürde gegen Menschenrechtsverletzer aufzubauen. Im Ringen mit denjenigen, die das Projekt des Menschenrechtsrates und der Reform generell kritisierten, fiel diese Hürde schließlich, um überhaupt zu einer Neuerung zu kommen.

Die Rolle der Sonderberichterstatter

Die Themen, mit denen sich die erste Sitzungsperiode des Rates beschäftigte, waren die Lage der Menschenrechte in Palästina, die Situation in Darfur/Sudan, Fragen nach einer ausreichenden Wertschätzung von Religion im öffentlichen Raum, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit, der Lage von Migrantinnen und Migranten sowie der Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Insbesondere die lateinamerikanischen Staaten brachten das Thema der wirtschaftlich-sozialen Menschenrechte ein, ebenso die Forderung nach einem verbindlichen Recht auf Entwicklung, das seit einiger Zeit die Menschenrechtsdebatte bewegt. Um andere Themen für die weiteren Beratungen wird noch gerungen. Dazu zählen die Menschenrechte von Frauen und Kindern und der Schutz indigener Völker. Eine sensible Frage ist der weitere Umgang mit von der ehemaligen Menschenrechtskommission praktizierten Länderevaluierungen: Einzelne Länder wurden dabei unter die Lupe genommen und gegebenenfalls konnte eine Resolution oder Erklärung mit deutlichen Forderungen an die jeweilige Regierung verabschiedet werden. Damit wurde gleichfalls die höchste Alarmstufe eingeläutet und die Scheinwerfer der Weltgemeinschaft waren auf das entsprechende Land gerichtet. Mit Ausnahme der westlichen Staatengruppe haben sich große Mehrheiten aus den anderen Regionalgruppen gegen eine solche institutionalisierte, herausgehobene Lagebeurteilung eines Landes und dessen Regierungsführung ausgesprochen. Als Alternative steht künftig die thematische Befassung mit einem aktuellen Menschenrechtsproblem im Vordergrund, die dann speziell an einem besonderen Länderkontext festgemacht werden kann. Dabei soll im Mittelpunkt stehen, wie die jeweilige Regierung bei der Überwindung des Problems unterstützt werden sollte.

Auch die Nichtregierungsorganisationen sind gefordert

Wichtig wird ebenfalls sein, wie künftig mit den von der ehemaligen Menschenrechtskommission eingesetzten so genannten „Sondermechanismen“ verfahren wird. Darunter fallen all die unabhängigen Experten, Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen, die zu speziellen Ländern oder Themen mit einem Mandat versehen worden sind und in ihren Arbeitsfeldern zum Teil hervorragende und für die internationale Auseinandersetzung unverzichtbare Stellungnahmen beisteuern. Zu erwähnen sind beispielsweise Hina Jilani, die als Beauftragte des Generalsekretärs für die Situation von Menschenrechtsverteidigern tätig ist, der Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler,oder Wolfgang Nowak,der Sonderberichterstatter über Folter. Die Beauftragten haben nach UN-Vereinbarung das Recht, jederzeit in ein Land, das sie untersuchen möchten, zu reisen und müssen von der dortigen Regierung bei ihrem Untersuchungsauftrag unterstützt werden. Solche Mandate erfreuen sich deswegen bei zahlreichen Staaten keiner großen Beliebtheit. Der Menschenrechtsrat hat alle Mandate nun zunächst um ein Jahr verlängert, aber auch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um über deren Zukunft grundsätzlich zu beraten. Einige Nationen wie China oder Kuba, die nicht nur mit der weiteren Einbindung von NGOs in die Arbeit des Rates, sondern auch mit den Sondermechanismen ihre grundsätzlichen Probleme haben, konnten die Verlängerung vorerst nicht verhindern. Gerade auch gegenüber der Institution des UN-Hochkommissariates für Menschenrechte fallen zahlreiche Staaten derzeit in eine immer offenere Haltung des Protestes und werfen der Behörde „Parteilichkeit“ oder „Politisierung“ vor, so zum Beispiel Myanmar, Usbekistan oder auch Russland. Leider ist der Grund für solche Vorhaltungen oftmals der Ärger über allzu unbequeme Gutachten des Hochkommissariates zur menschenrechtlichen Lage im entsprechenden Land.

Ein wirklicher Prüfstein für die Effizienz des neuen Rates wird der interne Kontrollmechanismus sein (Universal Periodic Review), mit dem die Mitgliedsstaaten gegenseitig einem Monitoring zur eigenen Menschenrechtsbilanz unterzogen werden sollen. Bislang steht vor allem fest, dass es solch einen Mechanismus geben soll, noch weitgehend offen ist, wie genau er ausgestaltet sein wird. Mit den Sondierungen informeller Art hat man im Juli und August bereits begonnen. Bis Ende des Jahres soll daraus ein entscheidungsreifer Vorschlag gewachsen sein, so dass mit der Überprüfung der ersten Staaten unmittelbar begonnen werden kann. Es ist kein Geheimnis, dass es zum Teil deutlichen Protest gegen diesen Mechanismus gibt, etwa von Ländern wie China, Pakistan oder Kuba. Ziel solcher Staaten ist es in der Regel, die als zu unabhängig empfundenen Verfahren und Informationsquellen einzuhegen und durch staatsnahe Quellen und eigens definierte Kriterien zur Beurteilung der Menschenrechtslage zu ersetzen. Für die Glaubwürdigkeit des neuen Rates wird viel davon abhängen, ob es gelingt, ein aussagekräftiges Rechenschaftssystem einzuführen. Noch vollkommen offen ist aber, was geschieht, wenn einzelne Staaten dann für ihre Politik kritisiert werden und diese entweder ändern oder aber den Rat verlassen müssten.

Die mit dem Menschenrechtsrat bewirkten Veränderungen können, auch wenn weitergehende Reformen wünschenswert gewesen wären, als eine klare Verbesserung gegenüber der früheren Menschenrechtskommission gesehen werden. Garantieren können sie ein besseres Funktionieren nicht, aber sie bieten Chancen und unterstützen eine schlüssigere Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen, wo und sobald Mitgliedsstaaten dies anstreben. Ein Selbstläufer ist solche Politik nie – auch unter den veränderten Bedingungen wird es wesentlich darauf ankommen, dass es die Einsicht und den politischen Willen gibt, die Menschenrechte zum Kriterium und zur Bewertung des Handelns zu machen. Die Menschenrechtsdebatte der vergangenen Jahre war von sehr unterschiedlichen Themen geprägt: Von den Nichtregierungsorganisationen insbesondere westlicher Industriestaaten werden Mechanismen eingefordert, mit denen Unternehmen der freien Wirtschaft stärker in die Pflicht genommen werden können, die Menschenrechte im Zuständigkeitsbereich ihrer Tätigkeiten wirkungsvoll zu schützen. Die Frage, wie wirtschaftliche und soziale Menschenrechte auch individuell eingeklagt werden können, stand ebenso zur Diskussion wie die Debatte um einen schleichenden Akzeptanzverlust des absoluten Folterverbotes. Manche nichteuropäische Staaten bringen nach wie vor die Frage auf, ob nationale und kulturelle Hintergründe nicht stärker bei der Beurteilung der Menschenrechtslage zu berücksichtigen sind. Die Aussagen der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz von 1993 zur universellen Gültigkeit der Menschenrechte werden damit wieder offen in Frage gestellt. Schließlich ist generell seit den Anschlägen des 11. September 2001 zu beobachten, dass die verstärkten Bemühungen um Sicherheit in vielen Staaten auf Kosten konkreter Menschenrechtsstandards umgesetzt werden. Vor diesen Hintergründen zeigt die Einsetzung des Menschenrechtsrates, dass es trotz vieler pessimistischer Anzeichen durchaus eine weltweit wachsende Sensibilität für die Relevanz effektiver Menschenrechtspolitik gibt. Zwar mag man bedauern, dass damit zunächst nur ein Schritt in struktureller Hinsicht gelungen ist. Die neue Struktur kann sich aber mit der Zeit als Voraussetzung für bessere Politik erweisen. Ein Appell, die neue Struktur mit Leben zu erfüllen, ist nicht nur an die Regierungen zu richten, sondern auch an manche Nichtregierungsorganisation: Gerade in Genf tummeln sich derart viele Einrichtungen und Organisationen, dass es zu Wettbewerb und Konkurrenzkampf kommt – um das eigene Profil und um entsprechende Fördermöglichkeiten. Im Sinne der Sache ist aber ein abgestimmtes und kooperatives Vorgehen, zumeist einzig Erfolg versprechend. Die deutschen Menschenrechtsorganisationen praktizieren dies bereits seit mehreren Jahren mit Erfolg und entsenden einen gemeinsamen Beobachter nach Genf. Dessen Berichte und Einschätzungen dienen nicht nur der besseren Bewertung der UNO-Arbeit, sondern helfen auch bei der anschließenden Lobbyarbeit auf die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung und deren Mitwirken im internationalen System hin.

Eine Einsicht mag am Ende der Debatten und Analysen um die Ansprüche und Ziele einer UN-Menschenrechtspolitik stehen: Es gibt keine Alternative zu ihr! Als der einzige weltweite Rahmen, in dem die Staaten eine verbindliche Form der Zusammenarbeit vereinbart haben, die weit über Handel oder militärische Sicherheit hinausgeht, sind die Vereinten Nationen mehr als ein Zusammenschluss unter anderen. Nicht resignierend, sondern realistisch muss man deshalb festhalten: Selbst ein mehr schlecht als recht arbeitendes UN-Menschenrechtsgremium ist besser als gar keines. Unbeschadet einer berechtigten Kritik im Detail haben gerade kirchliche Akteure wie die Deutsche Kommission Justitia et Pax diese Position immer in die Diskussion eingebracht. Angesichts der theologischen Vision von der einen Menschheitsfamilie ist die Unterstützung der weltweiten Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen durch die Kirche eine verpflichtende Aufgabe. Allen Auguren und negativen Kommentaren zur UN-Menschenrechtspolitik zum Trotz ist der nun unternommene Reformschritt grundsätzlich zu begrüßen. Es kommt jetzt darauf an, das neue Gremium mit seinen Ansprüchen ernst zu nehmen und sowohl von staatlicher als auch von zivilgesellschaftlicher Seite zu unterstützen. Das ist die oftmals vernachlässigte Rückseite eines möglichen politischen Prozesses: Dieser kommt meist erst dann in Gang, wenn es eine relevante Öffentlichkeit gibt, die eine Erwartung darstellt und zum Ausdruck bringt. Angesichts der Tatsache, dass zumindest für die nächsten drei Jahre die Bundesrepublik – mit der höchsten Stimmenzahl unter den Europäern! – Mitglied des Rates ist, ergibt sich daraus eine Chance und Pflicht auch für die deutsche Öffentlichkeit.

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