„Unierte Kirchen“ im Spannungsfeld von Katholizismus und OrthodoxieEs braucht ein differenziertes Urteil

Die katholisch-orthodoxe Dialogkommission, die nach siebenjähriger Pause im Juli im amerikanischen Baltimore wieder tagte, hat in einem Dokument von 1993 den „Uniatismus“ als Weg zur Einheit verworfen. Ernst-Christoph Suttner, Professor für Ostkirchenkunde in Wien, zeigt im folgenden Beitrag, dass „Union“ östlicher Christen mit Rom im Lauf der Jahrhunderte sehr verschieden ausgesehen hat und wendet sich gegen verbreitete, aber vereinfachende Deutungen dieser Geschichte.

Es ist ausdrücklicher Auftrag des Herrn, dass wir Christen eins sein und – falls Streitigkeiten ausgebrochen sind – uns versöhnen und wieder vereinigen. Einigung (lateinisch: Union) ist also etwas uns Christen ausdrücklich Gebotenes. Dennoch ruft das Wort Union in weiten Kreisen der Christenheit Unwillen hervor. Der Grund hierfür ist, dass bei bestimmten Bemühungen um das höchst lobenswerte Ziel der Vereinigung schwerwiegende Fehler geschahen, die das historische Ergebnis der Vorgänge nicht zu einer Behebung der bestehenden Streitigkeit werden ließen, sondern neuen, mitunter sogar noch ärgeren Streit veranlassten. Um der Sache der Unionen Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, dürfen die im Lauf der Geschichte geschlossenen Unionen weder mit Blick auf begangene Fehler in Bausch und Bogen abgelehnt, noch können sie mit Blick auf das lobenswerte Ziel in Bausch und Bogen als heilig bezeichnet werden.

Ein häufig gegen die Unionen erhobener Vorwurf lautet, beiden Unionen östlicher Christen mit Rom sei von den Katholiken eine neue Hierarchie gegen die bestehende Hierarchie der jeweiligen östlichen Kirche gesetzt worden, und die Verdoppelung der Bischöfe habe ein neues Schisma verursacht. Dies ist in der Tat bei einer Reihe von Unionen geschehen und war dann jeweils ein schwerer Verstoß gegen die Grundlagen der christlichen Einheit. Betrachten wir aber jene Unionsabschlüsse, aus denen die größten der heute bestehenden Unionskirchen hervorgingen, so ergibt sich: Im Fall der Union von Brest hielten sich zwei Bischöfe samt ihren Bistümern abseits und sowohl sie selbst, als auch ihre Bistümer wurden in der oppositionellen Haltung zur Union nicht behindert. Die übrigen Bischöfe schlossen 1596 die Union und für jene Kreise in ihren Bistümern, die sich der Union verweigerten, weihte gegen die bestehende unierte Hierarchie 1620 der Jerusalemer Patriarch Theophan eine neue Hierarchie. Die beiden der Union zunächst fern gebliebenen Bistümer wurden etwa ein Jahrhundert später durch ihre Bischöfe der Union zugeführt.

Pauschale Vorwürfe gegen die Unionen sind nicht berechtigt

In der Diözese Mukacevo (Karpato-Ukraine), die ihre Union 1646 schloss, wurde in Stalins Tagen (nicht früher!) ein orthodoxer Gegenbischof eingesetzt. Für Siebenbürgen, wo die Union mit dem Bistum der Rumänen in den Jahren 1697– 1701 verhandelt und abgeschlossen wurde, begann 1761 ein orthodoxer Gegenbischof zu amtieren. Beim Zustandekommen der Union der Thomas-Christen Südindiens im 16. Jahrhundert mag man von Skepsis erfüllt sein; doch zu einer Verdoppelung der Hierarchie kam es bei ihnen erst anlässlich der Ereignisse, die auf das Jahr 1653 folgten und ihre Kirche ein erstes Mal spalteten. Ein anderer Vorwurf lautet, staatlicher Druck habe die Unionen erzwungen. Tatsächlich geschah es wegen der neuzeitlichen Devise „cuius regio, eius religio“ bisweilen in katholischen Staaten und im russischen Zarenreich, dass staatliche Instanzen auf die Vereinigung der „Andersgläubigen“ mit der Staatskirche hinarbeiteten. Aber wiederum gilt, dass bei weitem nicht überall geschah, was sich in einzelnen Fällen ereignete. Als die Maroniten ihre Union mit der römischen Kirche eingingen, gab es niemanden, der auf sie Druck hätte ausüben können. Auch lässt ein unvoreingenommenes Studium der einschlägigen Dokumente keinen Zweifel, dass die ersten Schritte zur Union der Kiever Metropolie mit Rom nicht vom polnischen König und auch nicht von den Jesuiten, sondern von den ostslawischen Bischöfen gesetzt wurden. Und welche Staatsmacht hätte bei der Union des Bistums Mukačevo „nachhelfen“ sollen, wo es damals doch ein wichtiges Unionsmotiv war, durch die Einigung mit den Katholiken dem Druck des kalvinischen Landesherrn zu entgehen?

Des weiteren heißt es, die Unionen wären gegen die Einheit der orthodoxen Kirche beziehungsweise gegen die einer altorientalischen Kirche gerichtet gewesen. Wo nur mit bestimmten Gläubigen, mit einzelnen Pfarreien oder mit Einzelbistümern aus einer bestimmten orthodoxen oder altorientalischen Kirche über die Union verhandelt wurde, trifft dieser Vorwurf zweifellos zu. Was aber dann, wenn, wie im Fall der Kiever Synode, des Bistums Mukačevo oder des armenischen Katholikosats von Kleinarmenien die Gesamtheit der Kirche einer Region, die sich für befugt zu autonomen Entscheidungen hielt, die Verhandlungen führte? Im 20. Jahrhundert, insbesondere seitdem durch die panorthodoxen Konferenzen und den Römischen Stuhl ein offizieller theologischer Dialog zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche in Gang gebracht ist, gilt die Devise, dass entweder alle autokephalen orthodoxen Kirchen gemeinsam einer Union zustimmen werden, oder dass für keine einzige von ihnen eine solche zustande kommen wird. Aber hat mit derselben Klarheit eine solche Überzeugung auch im 16. und 17. Jahrhundert bestanden? Ehemals hatte der byzantinische Kaiser das gemeinsame Handeln der Kirchen byzantinischer Tradition veranlassen können. Doch nach seinem Ausfall hatte es für längere Zeit kein klares Bewusstsein gegeben, dass es eines neuen Verfahrens bedürfe, durch welches auch weiterhin das gemeinsame Handeln dieser Kirchen hätte in Gang gebracht werden können.

Das langsame Vorankommen der panorthodoxen Bewegung im 20. Jahrhundert bezeugt, dass es bis heute noch nicht gut bestellt ist um ein explizites Bewusstsein von der Existenz eines Mindestmaßes an institutionellen Bindungen zwischen den autokephalen Kirchen. Darf angesichts eines solchen historischen Befundes an die Bischöfe der Kiever Metropolie oder an das Bistum Mukačevo wegen der gesonderten Unionsverhandlungen ohne weiteres der Vorwurf des Bruchs der orthodoxen Solidarität gerichtet werden? Erst recht ist es abwegig, das Entstehen der unierten melchitischen Kirche eine Spaltung der Orthodoxie zu nennen. Denn als wegen umstrittener Patriarchenwahlen im antiochenischen Patriarchat bereits ein Schisma bestand und eine der beiden Parteien des Schismas Schutz suchen musste, weil sie alleine zu schwach war, um sich im Osmanenreich zu behaupten, wandte sich diese an Rom mit dem Ansuchen um eine Union. Wie aus den genannten Fehlern keine allgemeinen Vorwürfe gegen die Unionen in ihrer Gesamtheit gemacht werden können, darf auch niemand, der sich auf die Dokumente der orthodox-katholischen Dialogkommission stützen will, den Vorwurf des Uniatismus generell gegen alle Unionen richten. Denn ausdrücklich und genau beschrieb die Kommission das Verfahren, das sie Uniatismus nannte und bezüglich dessen die katholischen Delegierten gemeinsam mit ihren orthodoxen Kollegen darlegten, dass es als ein „der gemeinsamen Tradition unserer Kirchen widersprechender Weg zur Einheit“ zu verwerfen ist. Das verwerfliche Verfahren fand zwar bei bestimmten Unionen Anwendung, bei weitem jedoch nicht bei allen.

Als das entscheidende Charakteristikum des verwerflichen Uniatismus wird in der gemeinsamen Erklärung das Nichtbeachten des Umstandes benannt, „dass die orthodoxe Kirche eine Schwesterkirche ist, die selbst Gnaden- und Heilsmittel anbietet“. Also nur dann und nur dort, wann und wo man katholischerseits die Sakramentalität jener Glaubensgemeinschaft, aus der die Unierten kamen, übersah oder gar bestritt, hat sich ereignet, was die Dialogkommission Uniatismus nennt. Ehe also ein Unionsvorgang im Sinn der Dialogkommission als uniatisch bezeichnet werden darf, ist kirchengeschichtlich ernsthaft zu untersuchen, ob die katholische Kirche beim betreffenden Vorgang in der Tat die ekklesiale Würde der in Frage stehenden östlichen Kirche missachtete. Wenn abendländische und morgenländische Kirchen zueinander im Schisma standen, war es von jeher so, dass jede Seite die Schuld daran auf der je anderen suchte. Sie warf ihr gewisse Abweichungen von dem vor, was für sie richtig wäre, hielt sie für „befleckt“, erachtete sie als beeinträchtigt in ihrer kirchlichen Würde und hielt es für gerechtfertigt, die Communio mit ihr ausgesetzt zu lassen, bis die verlangte Korrektur erfolgt ist. Doch blieb es Jahrhunderte lang so, dass für die Wiederaufnahme der Communio ein Vorgehen angewandt wurde, welches beweist, dass am Fortbestehen der Kirchlichkeit der „schismatischen“ anderen Seite trotz ihres „Beflecktseins“ kein Zweifel aufkam.

>Bis ins 17. Jahrhundert bestand eingeschränkte Sakramentengemeinschaft

So gilt zum Beispiel die aus Griechen und Lateinern bestehende Kirche des spätantiken Römischen Reiches wegen der gemeinsam gefeierten sieben ökumenischen Konzilien in allen kirchengeschichtlichen Abhandlungen als „ungeteilt“. Doch bei genauem Zusehen ergibt sich, dass Rom und Konstantinopel damals mehr als 200 Jahre lang zueinander im Schisma standen. Störungen der Communio, die miteinander, grob gerechnet, knapp die halbe Zeit ausmachten, sind zweifellos mehr als nur nebensächliche Zwischenfälle. Aber den Zusammentritt des nächsten gemeinsamen Konzils der einen Kirche verhinderten sie nicht, weil die Heiligung derer, die in der Zeit der Spaltung hier wie dort heilige Sakramente empfangen hatten, und die geistlichen Vollmachten der hier wie dort geweihten Amtsträger von niemandem bestritten wurden. Zur Zeit der normannischen Eroberung Süditaliens, unter den Kreuzfahrern und in den Kolonien der italienischen Handelsstädte beendete man die Schismen zwischen Griechen und Lateinern einfach dadurch, dass man Hierarchen einsetzte, die für beide Seiten gemeinsam verantwortlich waren. Die Normannen hielten die griechischen Kirchen in dem von ihnen eroberten Land für so nahe mit ihrer eigenen Kirche verwandt, dass sie ihre lateinischen Bischöfe über die Griechen genauso amtieren ließen wie über die lateinischen Gläubigen ihres eigenen Volkes. Die Kreuzfahrer handelten ähnlich. Anfangs unterstellten sie sich selbst einem griechischen Patriarchen, aber recht bald sorgten sie dafür, dass ein Lateiner dessen Nachfolge antrat, und diesem unterstanden dann auch die Griechen. Dieses Vorgehen mag man imperialistisch nennen und für falsch halten; damit es aber überhaupt durchgeführt werden konnte, mussten beide Seiten das zwischen ihnen bestehende Verhältnis ebenso eingeschätzt haben, wie in der Spätantike zur Zeit der sieben ökumenischen Konzilien das gegenseitige Verhältnis zwischen Griechen und Lateinern verstanden worden war.

Autoren des 19. oder 20. Jahrhunderts, die ein solches für die landläufigen heutigen Vorstellungen unmöglich erscheinendes Vorgehen nicht verstanden, redeten von der „Begründung lateinischer Patriarchate durch die Kreuzfahrer“. Aber sie erläutern nicht, wieso es berechtigt sein sollte, die Wahl von Lateinern zu Nachfolgern von griechischen Amtsträgern für die Gründung neuer Rechtsinstitutionen auszugeben. Sie nehmen es nicht zur Kenntnis, dass die neu gewählten Lateiner genau jenen Patriarchenthron einnahmen, auf dem vor ihnen ein Grieche gesessen hatte und auf den nach der Vertreibung der Kreuzfahrer wieder Griechen zu sitzen kamen. Für diese Autoren stand von vorne herein fest, dass lateinische Amtsträger nur Patriarchen für die Lateiner gewesen sein konnten. Daher setzten sie voraus, dass es anlässlich der Wahl von Lateinern zu Patriarchen in Antiochien, Jerusalem und Konstantinopel zum Bestehen eigener lateinischer Jurisdiktionen gekommen sein musste. Ihre apriorische Annahme wird widerlegt durch das 4. Laterankonzil. Denn dieses erließ in aller Form eine kirchenrechtliche Bestimmung, die für die Einheit der Kirche lediglich die Unterstellung der Griechen unter lateinische Bischöfe forderte. Die gemeinsamen Sakramente genügten dem Konzil, um die Kirche der Griechen für zusammenfügbar mit der Kirche der Lateiner zu halten. Diese (von unseren Kirchenhistorikern meist ignorierte) Bestimmung haben wir Lateiner ernst zu nehmen, denn bekanntlich gehört das 4. Laterankonzil zu den 21 von unserer Kirche als ökumenische Konzilien anerkannten Kirchenversammlungen. In den Kolonien der italienischen Handelsstädte blieb es mancherorts bis ins 18. Jahrhundert, als die Osmanen die Italiener von dort vertrieben, bei dieser Verordnung.

Im Jahrhundert des Tridentiner Konzils und hinein ins nachfolgende 17. Jahrhundert standen Jesuiten und ihre sie entsendende Heimatkirche in voller Communio mit den südindischen Thomas-Christen und mit der Kirche Äthiopiens, und Jesuiten übten in diesen Kirchen das Bischofsamt aus. Dies taten sie schon, solange sie diese Kirchen noch expressis verbis für „häretisch“ und ihre Kirchenbräuche für „verderbt“ erklärten. Die schweren Vorwürfe hinderten die Jesuiten und die kirchlichen Autoritäten Europas, welche die Jesuiten entsandt hatten, nicht, die Thomas-Christen und die Äthiopier schon für uniert mit der römischen Kirche zu halten. Das Korrigieren der „Häresien“ und „Verderbnisse“ hatte man nicht zur Vorbedingung für die Communio gesetzt, wie dies Apologeten der jüngeren Zeit für notwendig halten würden; man erhoffte es damals als Frucht aus der Communio. Denn das, was trotz der schwer gerügten Fehler die südindische und die äthiopische Kirche mit den Kirchen Europas verband, galt als heilig und wertvoll genug, um in ihnen Schwesterkirchen zu sehen, denen die entsandten Jesuitenpatres geistlich dienen sollten.

Gegenseitiges geistliches Dienen führte zu einer eingeschränkten Sakramentengemeinschaft zwischen Griechen und Lateinern, die in islamisch dominierten Territorien bis ins 17. Jahrhundert gepflegt wurde und sogar die gegenseitige Erteilung des Weihesakraments über die Grenzen des Schismas hinweg ermöglichte. Missionare, die von der Sacra Congregatio de Propaganda Fide seit ihrer Gründung im Jahr 1622 in großer Zahl ins osmanische Reich entsandt wurden, konnten sich fast ein Jahrhundert lang in orientalischen Kirchengemeinden in ähnlicher Weise in Glaubensunterweisung, Sakramentenspendung und Caritasdiensten betätigen, wie es ihre Mitbrüder in den Heimatländern neben dem dortigen Pfarrklerus taten. Zwischen ihnen und den Ortskirchen entwickelte sich ein Verhältnis, von dem sich in etwa sagen lässt: Obwohl die Missionare in jurisdiktioneller Abhängigkeit von der sie entsendenden römischen Kongregation und von ihren höheren Ordensoberen verblieben, war ihr priesterliches Wirken tatsächlich, wenngleich in kirchenrechtlich nicht eindeutig geklärter Weise in das Leben der orientalischen Schwesterkirchen einbezogen. Jene, die so handelten, und ihre kirchlichen Oberen zu Hause mussten zweifellos anerkannt haben, dass die Kirche, der eine solche Mitarbeit galt, „eine Schwesterkirche ist, die selbst Gnaden- und Heilsmittel anbietet“.

Im 18. Jahrhundert wurde der Uniatismus geboren

Es meldeten sich aber in der nachtridentinischen katholischen Kirche auch Stimmen, die ernste Zweifel anmeldeten, ob die Kirche Christi wirklich und im wahren Sinn gefunden werden könne, wo dem Papst nicht ausdrücklich als dem Nachfolger Petri und dem sichtbaren Repräsentanten Christi gehuldigt wird. Von solchen Zweifeln war zum Beispiel die Bulle „Magnus Dominus“ geleitet, die Clemens VIII. 1595 für die Union der Ruthenen erließ; doch auch dieser Papst ließ gelten, dass die Kirche der Ruthenen auch vor der Union Gnaden- und Heilsmittel hatte anbieten können. Je mehr Zeit aber seit dem Tridentinum verstrich, desto eindeutiger festigte sich unter den Theologen der Lateiner die Überzeugung, dass alles, was außerhalb der pastoralen Zuständigkeit des Papstes geschah, außerhalb der Kirche Christi geschehe; dass es ohne päpstliches Zutun keine echten geistlichen Vollmachten für kirchliche Amtsträger geben könne, und dass Sakramente, welche von Bischöfen oder Priestern vollzogen werden, die keine jurisdiktionellen Bande zum Papst besitzen, unerlaubt (illegitim) seien. Schließlich lehrten sie ab dem 18. Jahrhundert immer deutlicher, dass jenseits der kanonischen Grenzen der vom Papst geleiteten römischen Kirchengemeinschaft die Kirche Christi nicht gefunden werden könne. Dort vermuteten sie nur mehr in die Irre gegangene Gemeinschaften, die eigentlich gar nicht an den Sakramenten der Kirche partizipieren dürften und deren Gläubige zum Heil ihrer Seelen zum Anschluss an die einzig wahre, vom Papst geleitete Kirche aufzufordern seien. Nur durch den Abschluss einer Union mit dem Römischen Stuhl hätten die Orientalen gemäß dieser Neuerung in der Ekklesiologie wieder zur Kirche zurückkehren können. Die römische Kurie verbot 1729 jegliche „communicatio in sacris“ (nicht nur die „communicatio in sacramentis“!) von Katholiken mit „getrennten Ostchristen“. Der Zweifel der Katholiken an der Berechtigung der griechischen Kirchen zur Spendung der heiligen Sakramente und die Konkurrenz zwischen Unierten und Orthodoxen, die immer lebhafter wurde, beunruhigte die griechischen Patriarchen sehr. Im Juli 1755 versammelten sich die Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien und Jerusalem und erklärten die Lateiner für ungeheiligt und ungetauft; ihre sakramentalen Riten verstanden sie als leere Zeremonien, die keine Gaben des Heiligen Geistes vermitteln.

Somit setzte sich im 18. Jahrhundert bei Lateinern und Griechen eine früher nicht gekannte Bewertung der geistlichen Situation der von ihnen durch das Schisma getrennten Christen durch. Deren Gemeinschaft anerkannten sie nicht mehr als „Schwesterkirche, die selbst Gnaden- und Heilsmittel anbietet“. Also musste es auch zu einer neuen Beurteilung dessen kommen, was zu geschehen hat, wenn einzelne „Verirrte“ oder auch ganze Pfarreien bzw. Bistümer von ihnen zur „wahren Kirche zurückkehren“. Man meinte, dass ihnen bei der „Rückkehr“ die Gnaden zu vermitteln wären, die sie in ihrer bisherigen Glaubensgemeinschaft nur vermeintlich, aber nicht wirklich empfangen hatten. Der von der Dialogkommission verurteilte Uniatismus war geboren. Fehler waren auch bei den früheren zahlreichen Aussöhnungsvorgängen gemacht worden; aber dass man versuchte, einen Weg zur Einheit einzuschlagen, von dem die Dialogkommission leider feststellen musste, dass er „der gemeinsamen Tradition unserer Kirchen widerspreche“, war eine Neuerung des 18. Jahrhunderts. Unbeirrt blieb man aber auch unter den neuen Bedingungen beim alteingebürgerten Ausdruck „Union“. Man fuhr fort, es weiter wie ehedem Union zu nennen, wenn Orientalen die Gemeinschaft mit dem Römischen Stuhl aufnahmen. Der Wandel im Verständnis von dem, was früher unter „Union“ gemeint war, und was seit dem Ausbrechen aus der gemeinsamen Tradition unserer Kirchen darunter verstanden wird, ist grundsätzlich; er ist groß genug, dass es unter ekklesiologischer Rücksicht eigentlich keinen Sinn machen kann, für beides dieselbe Bezeichnung zu verwenden. Viele Missverständnisse bezüglich der Unionen haben ihre Ursache darin, dass ganz verschiedene Inhalte denselben Namen tragen.

Denn die einen, die das alte Verständnis fortpflegen und an das Zusammenführen von Kirchen im Sinn des Einheitsauftrags Christi denken, wenn sie von „Union“ reden, verstehen nicht, weswegen andere die Unionen verabscheuen. Die anderen hingegen, denen nur das neue Verständnis von „Union“ geläufig ist und die stets an die uniatischen Vorgänge denken, die ebenfalls Union genannt werden, können begreiflicherweise daran nichts Lobenswertes und nichts Heiliges finden.

Einheit, die der gemeinsamen Tradition entspricht

Gemäß dem nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis gibt es nur eine einzige Kirche Christi; sie heißt die eine, heilige, katholische und apostolische und umfasst alle Ortskirchen, die in der weiten Welt bestehen. Eine jede Ortskirche muss in sie einbezogen sein, damit sie in Wahrheit Kirche genannt werden darf. Kirchen, die sich gegenseitig als Kirche Christi achten, können sich, wenn sie zueinander im Schisma stehen, der Weisung des Herrn soweit widersetzen, dass sie untereinander unchristliche Rivalitäten und Streitigkeiten austragen und sich lieblos oder gar gehässig zueinander verhalten. Doch sich voneinander lossagen können sie nicht. Nur Gemeinschaften, die aufgehört haben, sich gegenseitig als Kirche anzuerkennen, sind in der Lage, sich ganz voneinander zu distanzieren. Als bei Lateinern und Griechen im 18. Jahrhundert die Stimmen übermächtig geworden waren, welche die Sakramentalität der je anderen Seite in Zweifel zogen bzw. sogar ganz bestritten, nahmen sie ein solch kompromissloses Abgrenzen voneinander tatsächlich vor. Eine jede Seite betrachtete sich selbst als die ganze Kirche Christi, und die andere Seite hielt sie für eine fremde Konfession, die zwar gewisse Elemente des Christlichen wahrte, das Entscheidende aber verloren hat. Es verfestigte sich die Meinung, dass die Gemeinschaft aller Ortskirchen, die (damals 19, mit den beiden Vatikanischen Konzilien heutzutage) 21 ökumenische Konzilien und den Papst anerkennen, eine katholische Kirche seien, und die Gemeinschaft aller Ortskirchen, die sieben ökumenische Konzilien und keinen Papst anerkennen, eine orthodoxe Kirche, und dass diese beiden Kirchen voneinander „im Glauben getrennt“ seien. An diese Sicht der Dinge hat man sich inzwischen gewöhnt, und vielen fällt es nicht einmal mehr auf, dass sie ekklesiologisch unhaltbar ist.

Denn entweder beide Gemeinschaften verdienen den Namen Kirche; dann können sie nicht „im Glauben getrennt“ sein. Kirche sein, heißt nämlich, das „Jerusalem von oben“ sein und vom Heiligen Geist geführt werden. Die Führung durch den Heiligen Geist schließt aus, dass es eine Kirche gäbe, die irrgläubig wäre. Wenn beide Gemeinschaften die Kirche sind, kann der Unterschied zwischen ihnen keine „Trennung im Glauben“ sein; er kann nur eine Verschiedenheit in den Lehrformulierungen sein, welche die Gemeinschaften als Ausdruck für den heiligen Glauben schufen. Was landläufig Glaubensspaltung genannt wird, kann also in Wirklichkeit nur eine Verschiedenheit in dem sein, wie die Kirchen den gemeinsamen Glauben beim Glaubensunterricht in menschlicher Unvollkommenheit, also einseitig, aussagen. Dann aber sind sie vor Gott weiterhin „eins im heiligen Glauben“, auch wenn sie vielleicht selbst dies wegen der irdischen Mangelhaftigkeit der Ausdrucksformen, die sie dem heiligen Glauben gegeben haben, nicht erkennen. Die unerbittliche gegenseitige Ablehnung, zu der es im 18. Jahrhundert kam, ist dann unbegründet und muss schnellstens widerrufen werden.

Falls aber das, was sich im 18. Jahrhundert ereignete, berechtigt war, ist es eine ekklesiologische Ungereimtheit, beide Seiten mit dem Namen „Kirche“ zu beehren und sowohl von einer katholischen Kirche als auch von einer orthodoxen Kirche (und von altorientalischen Kirchen usw.) zu reden. Die einzige ekklesiologisch vertretbare Aussage wäre dann: Seit dem 18. Jahrhundert wird vor aller Welt bekundet, dass nebeneinander mehrere Gemeinschaften existieren, von denen eine jede sich für die ganze Kirche Christi hält und glaubt, es dem Herrn schuldig zu sein, über die anderen Gemeinschaften das Anathem auszusprechen. Seither müssen alle Katholiken und alle Orthodoxen, die dem vernichtenden Urteil über die anderen zustimmen, bezüglich der Heilschancen für deren Gläubige in Sorge sein, und seeleneifrige Hirten, welche die von ihnen Getrennten nicht von ihrer Liebe und Fürsorge ausschließen, fühlen sich im Gewissen verpflichtet, diese zur Konversion zur eigenen Kirche aufrufen und auch alles zu unternehmen, was ihnen nötig erscheint, um zu verhindern, dass die Bekehrten zu ihrer früheren Glaubensgemeinschaft zurückkehren. In diesem Sinn ergab sich für die katholische Kirche als erstes die Notwendigkeit, für die Unierten, die es vielerorts im osmanischen Reich gab, eigene Bischöfe einzusetzen, sie also zu gesonderten Kirchen zusammenzuschließen. Denn sie bedurften von nun an eines gesonderten sakramentalen Lebens, weil ihnen die katholische Kirche die Gemeinschaft mit ihren bisherigen Bischöfen untersagt hatte, und weil diese sie in den Kirchengemeinden unter ihrer Jurisdiktion gemäß dem inzwischen auch bei ihnen verbreiteten neuen Verständnis auch gar nicht mehr zu den heiligen Sakramenten zugelassen hätten. Wegen der Rechtslage im osmanischen Reich bestand überdies auch eine weltlich-rechtliche Notwendigkeit, für sie eigene Bischöfe einzusetzen. Denn gemäß dieser Rechtslage bedurften sie auch um zivilrechtlicher Belange willen einer eigenen Hierarchie. Sonst wäre den nichtkatholischen Kirchenbehörden die Möglichkeit offen gestanden, durch bürgerlichen Druck die Rückkehr der zur katholischen Kirche Konvertierten zu den nicht unierten Pfarreien zu erzwingen.

Außerdem hielten sich die in den Osten entsandten katholischen Missionare jetzt für gewissensmäßig verpflichtet, überall, wo dies noch nicht geschehen war, auf den Bau unierter Gotteshäuser zu drängen und sich um das Entstehen weiterer unierter Gemeinden zu bemühen. Es begann die Zeit, in der sich die katholische Kirche für streng verpflichtet hielt, in allen Ländern neben den orientalischen Gemeinschaften, denen sie die Eigenschaft des Kirche-Seins nicht mehr zubilligte, unierte Sondergemeinschaften unierter Gläubiger einzurichten und überall den Ruf zur Konversion laut und deutlich zu erheben. Die Katholiken anerkannten von nun an nur mehr die neuen unierten Gemeinschaften, nicht aber die altehrwürdigen orthodoxen Gemeinschaften als die Kirche Christi für das betreffende Land und Volk. So entstanden mancherorts – zum Beispiel bei Griechen, Äthiopiern, Bulgaren und Russen – kleine und kleinste unierte Minderheitskirchen, die aufgrund der ekklesiologischen Selbsteinschätzung, dass sie allein die Kirche ihres Volkes seien, großen Bekehrungseifer entwickelten und meinten, ihrem Volk die Möglichkeit, zur Kirche zu gehören, erst bringen zu müssen. Hauptsächlich auf sie geht es zurück, dass manche Orthodoxe, denen der Eifer der Kleriker dieser unierten Kirchen über die Maßen groß erscheint, keinen Unterschied mehr gelten lassen möchten zwischen Union und Proselytismus.

Im 19. und 20. Jahrhundert verbreitete sich auch in den älteren katholischen Ostkirchen uniatistisches Gedankengut; auch bei ihnen setzte sich jene exklusivistische Auffassung durch von der Notwendigkeit des Zugehörens zum Papst, die den Uniatismus charakterisiert, und von der Verpflichtung zum missionarischen Wirken unter den orthodoxen Gläubigen. So kam es, dass sich in jenen unierten Kirchen, deren Union nach einem Unionsverständnis aus früherer Zeit geschlossen worden war, spätestens im 19. Jahrhundert jenes Verständnis von Union und von der Heilsnotwendigkeit des Zugehörens zum Papst durchsetzte, das aus dem ekklesiologischen Umbruch des 18. Jahrhunderts erwachsen ist. Es verursachte Missverständnisse, wenn man aus dem Unionsverständnis, das in jüngerer Zeit in einer unierten Kirche verbreitet war, zu erschließen suchte, welches Verständnis ihren Unionsabschluss leitete. Nüchternes Darlegen der Fehler von Apologeten und Widersachern der Unionen ist nur sinnvoll, wenn es kein „Abrechnen“ sein soll, sondern geschieht als Beitrag beim Suchen nach einem Weg zur Einheit, der der gemeinsamen Tradition unserer Kirchen entspricht und zu vermeiden trachtet, was in der Vergangenheit schon als schädlich erwiesen wurde. Diese Ausführungen seien jenen gewidmet, die sich damit befassen.

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