Neue Miniserie „Deutsches Haus“Übersetzerin des Grauens

Das Geschichtsdrama ist Erinnerungskultur in Bestform und zugleich wichtige, traurig-aktuelle Mahnung für die Gegenwart.

Zu Beginn der ersten Folge wartet die Protagonistin Eva im Schneegestöber vor der elterlichen Gaststätte Deutsches Haus auf die Ankunft ihres designierten Verlobten Jürgen. Eine Flocke schmilzt auf ihrer Schulter und weist sie somit von der ersten Minute an als (manchmal einziges) warmherziges Wesen inmitten einer unmenschlichen, kalten Umgebung aus. Jürgen wird in das bieder-kleinbürgerliche Wohnzimmer der Familie geführt und mit Gänsebraten bewirtet, als ein Anruf die heimelige Szenerie durchbricht: Eva, die als Polnisch-Übersetzerin arbeitet, muss kurzfristig am Gericht einspringen. Dort wird das „naive Fräulein“ durch die Aussage eines polnischen KZ-Überlebenden zum ersten Mal mit den Gräueltaten der Nazis in Auschwitz konfrontiert.

Erschüttert von diesen Abgründen erklärt sich Eva bereit, auch im bevorstehenden Auschwitz-Prozess als Übersetzerin zur Verfügung zu stehen. Von da an lässt sie die Zuschauer auf bewegende Weise an diesem geschichtsträchtigen Verfahren teilhaben. In den Zeugenaussagen berichten zahlreiche Überlebende von den Grausamkeiten: von Folter, Erschießungen und massenhaften Morden im Gas. Die angeklagten NS-Verbrecher reagieren auf die Schilderungen mit Eiseskälte, selbstgefällig und ohne jedes Schuldbewusstsein. Der Oberstaatsanwalt wird am Ende resümieren: „Ein menschliches Wort ist nicht gefallen.“

Für Eva endet der aufwühlende Prozess nicht mit Dienstschluss. Sie beginnt auch in ihrer Familie unbequeme Fragen zur Judenvernichtung zu stellen. Dort stößt sie auf Schweigen oder Ausflüchte. Doch Eva bleibt hartnäckig, und langsam gelingt es ihr, die dunkle Wahrheit hinter der Fassade ihrer Eltern aufzudecken – plötzlich sind der Auschwitz-Prozess und die Schuldfrage für sie nicht mehr nur eine berufliche, sondern auch eine akute Familienangelegenheit. Am Ende wird Eva(!) nicht nur eine reflektierte, erwachsene und selbstbestimmte Frau sein, sondern auch die Einzige in ihrer Umgebung, die sich nicht in irgendeiner Form schuldig gemacht hat.

Mit Deutsches Haus haben sich die Macher zum Ziel gesetzt, die Shoah, den Auschwitz-Prozess und die Frage nach der Verantwortung in Form einer Miniserie filmisch aufzuarbeiten, als Mahnung für die Gegenwart. Das ist ihnen auf äußerst eindrucksvolle und überzeugende Weise gelungen. Neben dem starken Drehbuch von Annette Hess, die auch die Romanvorlage geschrieben hat, sind es vor allem die herausragenden schauspielerischen Leistungen von Iris Berben als traumatisierte KZ-Überlebende, Anke Engelke als hoch ambivalente Mutter und natürlich von Katharina Stark als Hauptdarstellerin, die die Serie so berührend und sehenswert machen.

Die Serie nimmt sich bewusst Zeit – um zu erzählen, aufzurütteln und Raum zum Nachdenken zu geben. Ausführlich und ohne Schnitt wird zum Prozessbeginn die Anklageschrift verlesen, minutiös und sachlich, mit allen nur erdenklichen Grausamkeiten. Bei der Begehung im KZ wird vor der „Schwarzen Wand“, an der zahllose Häftlinge erschossen wurden, in Echtzeit eine Schweigeminute eingelegt, die zum Innehalten einlädt. Nicht zuletzt unterstützt das Szenenbild eindrücklich die Handlung: In den Innenräumen sind alle Lichtquellen mit Gardinen oder Lampenschirmen verhangen, auch die Natur liegt in einem diesigen Zwielicht, so als sei die Welt mit dem Grauschleier der Vergangenheit oder mit der Asche aus den Schornsteinen der KZ-Krematorien überzogen. Nur in einer Einblendung ist für einen einzigen Moment gleißender Sonnenschein zu sehen – als ein 16-jähriger Häftling getötet und daraufhin vom Licht bestrahlt wird. Alle anderen Figuren verbleiben im unerlösten Grau.

Die Serie ist Erinnerungskultur in Bestform und eine wichtige Mahnung und Warnung, die angesichts des Wiedererstarkens von Antisemitismus und Rechtsextremismus leider genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.


DEUTSCHES HAUS
Fünf Episoden, jeweils ca. eine Stunde, bei „Disney+“
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