Assistierter SuizidGescheitert? Nicht ganz!

Was die Ablehnung der Gesetzesvorschläge zum assistierten Suizid bedeutet und wie es nun weitergehen kann, erläutern unsere Autorinnen.

In den vergangenen Tagen wurde im Bundestag – auch wenn es die mediale Berichterstattung anders vermuten lässt – nicht nur über das „Heizungsgesetz“ abgestimmt. Auf der Tagesordnung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier stand auch die Neuregelung der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid. Die Erstellung eines gesetzlich verankerten Schutzkonzeptes war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung des assistierten Suizids für nichtig erklärt hatte. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stieß daraufhin die Ausarbeitung eines sogenannten legislativen Schutzkonzeptes an. Darin sollte das verfassungsmäßige Anliegen des Lebensschutzes zum Tragen kommen sowie der Missbrauch der Suizidbeihilfe verhindert werden. Letzte Woche nun fand dieser Prozess durch die Debatte über die zwei vorgelegten Gesetzentwürfe seinen Abschluss – und doch nicht ganz. Denn es zeigte sich: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Beide Gesetzentwürfe scheiterten, der legislative Prozess beginnt damit von vorn.

Dieses Ergebnis hatten wir nicht vorhergesehen, und im ersten Moment waren wir einigermaßen ernüchtert. Bei dieser unbefriedigenden Einschätzung möchten wir aber nicht stehenbleiben, denn eine vertiefte Betrachtung des Ergebnisses der parlamentarischen Debatte fördert drei weitere Einordnungen zutage.

Zum Ersten können wir eine positive Beobachtung anstellen: Der Antrag des SPD-Abgeordneten Lars Castellucci und anderer hat 303 Ja-Stimmen bekommen (von 689 abgegebenen Stimmen insgesamt). Wir begrüßen das deshalb, weil dieser Entwurf nach unserer Einschätzung der Idee eines gesetzlichen Schutzkonzeptes am besten gerecht wird, um die Freiverantwortlichkeit bei Menschen mit Suizidgedanken festzustellen. Außerdem beschränkt er die notwendige Beratung beispielsweise nicht nur auf den Suizidwunsch selbst. Vielmehr werden auch ausdrücklich soziale Belange angesprochen und es wird auf das schon bestehende Beratungssystem zurückgegriffen.

Aber ein schaler Beigeschmack bleibt doch zurück. Es ist eben kein Gesetzentwurf durchgekommen. Der „liberalere“ Vorschlag von Renate Künast und Katrin Helling-Plahr erhielt 286 Ja-Stimmen. Somit besteht für die Betroffenen (Suizidwillige, An- und Zugehörige, Helfer etc.) weiterhin eine unsichere rechtliche Lage.

Suizid und die Beihilfe dazu wird auch von den Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht als normale Option gesehen, aus dem Leben zu scheiden.

Positiv wiederum stimmt, und dies ist die dritte Einordnung, dass das von vielen Abgeordneten geforderte Suizidpräventionsgesetz mit 687 Ja-Stimmen angenommen wurde und ausgearbeitet werden soll. Der Deutsche Ethikrat hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine solche Rahmung der Debatte durch die Fragen der Suizidprävention braucht. Nachzulesen ist dies beispielsweise in der Stellungnahme Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit aus dem vergangenen September.

Als Theologische Ethikerinnen sehen wir nie nur die reinen Zahlen. Noch bedeutsamer als die Quantität ist die Qualität der Argumente. Insgesamt kann die Debatte, die der Abstimmung vorausgegangen ist, als nachdenklich bezeichnet werden. Das Bemühen um eine humane Lösung war auf allen Seiten spürbar, was vor allem dadurch deutlich wurde, dass viele unterschiedliche Perspektiven von Betroffenen und Erfahrungsberichte eingebracht wurden.

Zentral ging es um die Frage nach der Freiverantwortlichkeit. Diese bestimmt der Deutsche Ethikrat folgendermaßen: „Eine in hinreichendem Maße selbstbestimmte und deshalb moralisch vor sich selbst sowie auch den Anderen, die von der Entscheidung unausweichlich (mit-)betroffen sind, zu verantwortende Entscheidung kann als freiverantwortlich bezeichnet werden. Das Maß der Selbstbestimmung muss für eine freiverantwortliche Entscheidung umso höher sein, je schwieriger Handlungsoptionen für die betroffene Person zu übersehen und zu bewerten, und je gravierender die Folgen dieser Entscheidung für grundlegende Güter der Person selbst oder für Dritte sind.“

Für die Beurteilung eines Suizidwunsches ist zum einen der Ausschluss von Pathologien wichtig, dass also der Suizidwunsch nicht einer psychischen Erkrankung entspringt. Dieses Kriterium kann durch psychologische beziehungsweise psychiatrische Gutachten einigermaßen sichergestellt werden. Hier hat der Ansatz von Lars Castellucci unserer Meinung nach einen richtigen Weg vorgeschlagen, weil er gleich zwei Begutachtungen vorsieht.

Daneben ist auch der Ausschluss eines Zwangs von außen zu betrachten. Konkret gefasst: Niemand darf zum Suizid gedrängt werden. Dies aber ist oft noch schwieriger zu bestimmen und in jedem Fall extrem komplex. Relativ sicher lässt sich eine unmittelbare Nötigung durch Dritte ausschließen. Aber wie sieht es bei mittelbarem Zwang durch Angehörige aus, die womöglich unter finanziellen Nöten leiden? Wie steht es um den gefühlten Druck der Betroffenen, für Angehörige eine mentale und für die Gesellschaft eine finanzielle Bürde darzustellen? Der ökonomische Faktor darf hier keinesfalls unterschlagen werden, wenn Menschen sich nicht dazu gedrängt fühlen sollen, „sozialverträglich abzuleben“.

Für uns als Theologische Ethikerinnen ist vor allem die Denkform der relationalen Autonomie zentral. Das bedeutet: Wir gehen davon aus, dass sich Freiheit immer auch in Beziehung vollzieht. Eine Form von Beziehung ist dabei unter theologischem Vorzeichen auch die Gottesbeziehung.

Es ist äußerst irritierend wahrzunehmen, dass scheinbar die einzige Partei, die theologische Deutungskategorien in der Debatte aufnimmt, die AfD ist. Beatrix von Storch kam auf den Wert zu sprechen, in Freiheit und Verantwortung sein Leben zu führen – und dies vor Gott. Anfang und Ende des Lebens lägen allein in Gottes Hand. Damit begründete sie ihre Ablehnung beider Gesetzentwürfe. Diese Argumentation findet sich eins zu eins in der offiziellen Position der katholischen Kirche zum Suizid wieder. Das sogenannte Souveränitätsargument lautet: Gott sei der Herr über Leben und Tod, diese seien dem Menschen entzogen (so der Katechismus der Katholischen Kirche in der Nummer 2280).

Aus theologischer Perspektive ergeben sich deutlich kritische Anfragen an ein solches Gottesbild. Es muss viel differenzierter gezeichnet werden. Ein souveräner Patriarch, der über Leben und Tod herrscht, passt nicht zur Vorstellung eines personalen Gottes, der mit Liebe im Dialog mit den Menschen ist. Das Anliegen, das Leben des Menschen in Beziehung zueinander und zu Gott zu denken, kann nur begrüßt werden, daraus abgeleitete autoritäre Normen müssen aber abgelehnt werden.

Wenn zudem vorgebracht wird, dass ein Suizid „der Liebe zum lebendigen Gott“ widerspreche (wie es auch im Katechismus heißt), ist dies ebenso zu hinterfragen. Schlägt hier nicht das Wesen der Liebe Gottes, der das Leben will, in einen Zwang zum Leben um? Von ethischer Seite gilt es, nach den Sinndimensionen des Lebens zu fragen, wenn Normen aufgestellt werden. Ein eindeutiges „Richtig und Falsch“ ist dann oft nicht mehr möglich. Zu überwinden wäre außerdem, dass vom Suizid als Sünde gesprochen wird. Er stellt doch eigentlich eine Hoffnungsabsage an uns und an Gott dar. Und das ist in der Tat ein Tabubruch.

Um sich als Katholische Kirche nicht mit rechtsradikalen Positionierungen zu „verschwistern“, sehen wir es als Aufgabe von Lehramt und Theologie, einen seriösen Lebensschutz mit Gehalt zu füllen und eine klare Abgrenzung zur AfD vorzunehmen.

Abschließend kann gesagt werden: Wir erkennen das tiefgehende Ringen der Abgeordneten bei diesem Thema. Das Abstimmungsergebnis zeigt zudem: Ein Recht auf assistierten Suizid, welches als einzige Einschränkung die Feststellung der Freiverantwortlichkeit vorsieht, wird der Komplexität der Fragestellung und der Realität von Menschen nicht gerecht. Dies ist kein Abschluss der Debatte, sondern erst deren Anfang. Die Schutzwürdigkeit jeglichen Lebens ist sicherzustellen – ohne daraus eine Pflicht zum Leben abzuleiten. Dass Suizidbeihilfe von den Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht als normale Option, aus dem Leben zu scheiden, angesehen wird, kann jedenfalls als positives Ergebnis festgehalten werden.

Für den weiteren Gesetzgebungsprozess können wir als Theologische Ethikerinnen nur hoffen, dass dieser von dem Geist getragen ist, mit dem auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, das Abstimmungsergebnis kommentiert hat: „Ein ... Schutzkonzept muss die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches so weit wie möglich gewährleisten und zugleich ein dem Leben zugewandtes Gesamtklima und eine Kultur gegenseitiger Fürsorge und Zuwendung bewahren.“

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