Salzburger Hochschulwochen„Es braucht mehr Theologie“

Wie geht es weiter? Auf der Salzburger Hochschulwoche werden große Fragen gestellt. Ein Gespräch mit Leiter Martin Dürnberger.

Martin Dürnberger ist assoziierter Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Seit 2015 leitet er die Salzburger Hochschulwochen.
Martin Dürnberger ist assoziierter Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Seit 2015 leitet er die Salzburger Hochschulwochen.

CHRIST IN DER GEGENWART: Nach zweijähriger Coronapause findet die Salzburger Hochschulwoche wieder in Präsenz statt. Wie fühlt sich der Neustart an?

Martin Dürnberger: Als ich am Montag in die Aula getreten bin, um die Hochschulwoche zu eröffnen, war da einfach nur Freude. Nach aller Ungewissheit bei der Planung bin ich unglaublich froh zu sehen, dass unser Programm immer noch so viele Menschen anzieht. Die Leute wollen sich wieder treffen, sie suchen den Input und den Diskurs – und das ist großartig!

Die Hochschulwochen stehen unter dem Slogan der „smarten Sommerfrische“. Was macht das Besondere dieser Tagung aus?

Ich habe diesen Slogan vor einigen Jahren eingeführt, weil er für mich sehr gut beschreibt, was die Hochschulwochen ausmacht: Wenn ich in den Urlaub fahre, brauche ich erst eine Weile, bis ich am neuen Ort zur Ruhe komme. Demgegenüber hat die Sommerfrische – also ein Ort, an den man wiederholt fährt – den Vorteil, dass man ihn schon kennt und dort schneller in den Modus der Erholung kommt. In dieser Gelassenheit können wir einen Schritt zurück machen, die Dinge aus der Distanz betrachten und besser verstehen. Dieser Modus des entspannten Nachdenkens macht die smarte Qualität der Salzburger Hochschulwochen aus.

Mit der Einführung der Salzburger Hochschulwochen 1931 wollte man die Wiederbegründung der Universität vorbereiten – was nach dem Krieg schließlich auch gelungen ist. Wie wirkt diese Idee der intellektuellen Belebung heute fort?

Damals wie heute ging es nicht darum, nur für uns selbst nachzudenken, sondern auch für die anderen. Wenn ich eine Uni gründen will, muss ich die Gesellschaft mitnehmen und ihr plausibel machen, warum es überhaupt Wissenschaft braucht – man muss die Kommunikation suchen. Ich verstehe uns dabei als eine Art Vorband: Die Vorband kann nicht auf einen festen Fankreis bauen, sondern muss das Publikum wirklich überzeugen. Ich darf nicht im Elfenbeinturm bleiben, sondern muss Menschen für akademische Diskurse gewinnen. Die reine Überzeugung „Wir sind von uns aus wichtig“ hat noch nie funktioniert – weder an den Universitäten noch in der Kirche. Und das ist die bleibende Herausforderung auch für die Salzburger Hochschulwochen: Themen aus der Gesellschaft aufzugreifen und sie für die Gesellschaft zu durchdenken und aufzuschlüsseln. Dieser Abgleich und Austausch sind wichtig, denn wenn ich merke, meine Argumente finden gar keine Resonanz, habe ich ein Problem.

Dieses Problem gibt es ja auch in anderen Wissens- bereichen: dass sie Theorien entwickeln, die fernab der Lebenswelt der Menschen sind.

Absolut. Ich habe sogar etwas Hoffnung, dass wir in der Theologie teilweise ein besseres Gespür dafür haben, wenn etwas nicht mehr mit den Ansprüchen der Wirklichkeit zusammenpasst, als in anderen Bereichen der Gesellschaft – zumindest als in anderen Bereichen der Kirche. Es gibt ohne Frage eine Krise der Theologie, unsere Zahlen sind rückläufig. Aber dieses Problem teilen wir mit vielen anderen Geisteswissenschaften und ich habe zumindest den Eindruck, dass wir einen Tick voraus sind, um dieses Kommunikationsdefizit aufzuholen.

„Wie geht es weiter?“, lautet das diesjährige Tagungsmotto. Und gemeint ist damit nicht nur die Zukunft der Kirche, sondern unserer ganzen Gesellschaft. Vergreift sich die Hochschulwoche nicht etwas, wenn sie diese ganz großen Fragen stellt?

Zugegeben, wir setzen unsere Themen auch etwas nach dem Lustprinzip (lacht). Die Frage, wie es weitergeht, war einfach dran – nicht nur in der Kirche, sondern auch im Hinblick auf den Klimawandel oder die Energiekrise. Wir stellen aktuell auf schmerzhafte Weise fest, dass wir in vielen Bereichen lange über unsere Verhältnisse gelebt haben. Wenn es so nicht weitergehen kann, stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie denn dann? Und die Universitäten sind noch immer wichtige Laboratorien für solche Orientierungsdiskurse.

Natürlich geht niemand nach dieser Woche nach Hause und hat die Lösung für unsere gesellschaftliche Zukunft in der Tasche. Aber ich glaube, der erwähnte Schritt zurück kann einen wertvollen Blick auf das Ganze ermöglichen: auf das Ganze der Kirche, unserer Glaubenstradition oder der Gesellschaft. Und dieser Blick eröffnet neue Perspektiven, deshalb trauen wir uns gerade auch die großen Fragen zu.

Helmut Hoping hat kürzlich vor einer Übermacht der akademischen Theologie gewarnt, die das kirchliche Lehramt unter Druck setze. Wie viel Theologie braucht die Kirche?

Das ist schwer zu beantworten. Klar ist, dass es ohne Theologie auf keinen Fall geht. Die Folgefrage ist doch: Welche Theologie braucht die Kirche? Es gibt Theologien, die seit Jahrhunderten eine große Übermacht in der Kirche hatten – und wenn nun zunehmend auch neue Perspektiven Gehör finden, kann das meiner Meinung nach nur positiv sein. Die Ausdifferenzierung von Positionen ist Teil der Moderne. Also bin ich versucht zu sagen: Es braucht mehr Theologie, als viele glauben. Aber da steckt auch eine déformation professionelle dahinter: Schließlich sitze ich hier als Theologe und wünsche mir, dass uns noch viel mehr zugehört würde.

Evangelium oder Zeichen der Zeit: Was sollte in der Theologie den Ton angeben?

Ich plädiere hier für einen wechselseitigen Durchdringungsprozess: Ich sehe nicht, wie ich mir vom Evangelium her alles direkt und unvermittelt beantworten können sollte, was uns die Gegenwart an Herausforderungen bietet. Die Gegenwart erschließt uns also durchaus die Bedeutung des Evangeliums. Die Emanzipation der Frauen, die sich erst in jüngerer Geschichte durchgesetzt hat, eröffnet uns zum Beispiel ein besseres Verständnis, wie ein evangeliumsgemäßes Zusammenleben aussehen kann. Andererseits hat auch das Evangelium eine bleibende Erschließungskraft, denn die Zeichen der Zeit sind nun einmal ambivalent. Die Apartheit etwa war noch im vergangenen Jahrhundert eine gesellschaftspolitisch anerkannte Form des Zusammenlebens, die vielen schlicht vernünftig erschien – und es brauchte Menschen wie Martin Luther King, die aus einer klaren Glaubensperspektive heraus widersprochen haben. Diese wechselseitige Lernbereitschaft ist wichtig: Es braucht eine Theologie, die von den Zeichen der Zeit lernt, aber auch das tiefe Vertrauen, dass mir das Evangelium wirklich Leben erschließen kann.

Sind dann letztverbindliche Aussagen im Glauben überhaupt möglich?

Das ist eine fundamentaltheologische Schlüsselfrage, die auch hinter vielen Kirchenkonflikten unserer Zeit steht: Wie kann ich religiösen Glauben so denken, dass er sowohl gewissheitsförmig als auch lernbereit ist? Gewissheit braucht es, um einen verlässlichen Grund zu haben im Leben und im Tod. Und gleichzeitig braucht es Offenheit, um nicht zu erstarren und sich abzukapseln. Ich glaube, mit der angesprochenen Lernbereitschaft geht das. Es gibt ja Gewissheiten, die mitwachsen – so wie Kinder, die mit einem mitwachsen, während die Liebe zu ihnen unverändert bleibt.

Nochmal zur Salzburger Hochschulwoche: Was findet ein Christ in der Gegenwart hier?

Ein Netzwerk der Vernunft in Zeiten des Wahnsinns (lacht). Die Vorträge, Diskussionen und Gottesdienste sollen nicht nur das eigene Denken anregen, sondern auch helfen, sich eine lernbereite Grundspiritualität zu bewahren. Man könnte fast ironisch sagen, dass wir die unaufgeregte Religiosität der alten Volkskirche praktizieren: Es ist für jeden etwas dabei – und vor dem Hintergrund der sommerlichen Festspielstadt gelingt das besonders gut.

„Die Gegenwart erschließt uns die Bedeutung des Evangeliums.“

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