OsternEin Lied, leise zu singen

Von Ostern darf nicht nur der Triumph bleiben. Der Glaube weiß auch um die Erfahrung des Schweigens Gottes.

Christ ist erstanden // von der Marter alle // Des solln wir alle froh sein // Christ will unser Trost sein – Kyrieleis.“ Tastend und zart kommt dieses alte Osterlied daher, ein Lied, in dem der erlittene Schrecken noch nachklingt, das mehr fragt als behauptet und das in aller Gebrochenheit doch den Horizont öffnet – weiter zu sehen und weiter zu hoffen, weiter als alles, was die Gewalt vermag. Es weiß darum, dass die Freude sich nur zaghaft einstellt und dass das Leid durch Ostern nicht in ein einfaches Alles-wieder-Gut aufgehoben wird. Ein zartes Lied, das auch zu Kriegszeiten noch singbar ist, gerade weil es sich zur Hoffnung vortastet, anstatt sie vor sich herzutragen.

Eine Kirche, die dieses Lied weitersingt, weiß um die Abgründigkeit der Gewalterfahrung. Und umgekehrt: Eine Kirche, deren Hoffnung nur bis zum frühen brausenden Triumph reicht und nicht bis in die bleibende Erfahrung des Schweigens Gottes hinein, die steht permanent in der Versuchung, unempfindlich zu werden und die Leiderfahrung ihrer Form von Rechtgläubigkeit zu opfern.

Zur Kirche, zu ihrer DNA gar, wie Bischof Heiner Wilmer pointiert formuliert hat, gehört beides. Das leise Osterlied mit seiner gebrochenen Hoffnung wie auch der laute Triumph, der so schnell in Machtmissbrauch kippt, und der darum immer eine Gefahr für die Kirche darstellt, die leise Hoffnung zu verfehlen.

Eine intime, leise Erfahrung ist auch die, von der das 20. Kapitel des Johannesevangeliums erzählt: Der Auferstandene haucht seine Freundinnen und Freunde an und deutet dies zugleich aus mit dem Wort „Empfangt die heilige Geistkraft“. Es ist dieselbe Geistkraft, die im Anfang über den Wassern wehte und die in der zweiten Schöpfungserzählung den Erdling lebendig macht. Wer Gottes rettender Macht durch die Erfahrung der Todesverzweiflung hindurch vertraut, hat Teil an einer neuen Schöpfung. Und auch das ist kein Alles-wieder-Gut, sondern die tragende Erfahrung einer unauslotbaren Güte, einer Verbundenheit mit der Kraft des Lebens, im Leid wie im Heilsein, die tiefer reicht als jede Zerstörung, die Menschen anrichten können.

Vor dem Hintergrund, dass Sündenvergebung immer Gottes Sache ist und Taufe, Geistempfang und Sündenvergebung drei Gestalten dieser einen Erfahrung des Gerettetseins sind, lassen sich auch die anschließenden Sätze lesen: „Wen ihr aus der Sündenverstrickung herausholt – weil ihr sie oder ihn in Kontakt mit dem Osterglauben bringt –, die oder der wird daraus erlöst. Wen ihr in dieser Verstrickung belasst, sie oder er bleibt darin.“

In einer Kirche, die sowohl die Komplexität des Johannesevangeliums und seine ausgefeilte Rhetorik als auch sein Weltbild immer weniger mitlesen konnte, wurde dieser Auftrag zur Sündenvergebung auf das Priesteramt hin enggeführt. Und die Möglichkeit, im Bereich der Sünde und des Todes zu verbleiben, erschien dann nicht mehr als Konsequenz einer Abkapselung der Gemeinde von ihrer Umwelt, sondern wurde in Verbindung mit einem moralisierenden Sündenbegriff zum Machtinstrument über die Gewissen.

Und doch ist es nicht dem Evangelium anzulasten, wie es gelesen wird. Der Machtmissbrauch, er scheint mir nicht in der ursprünglichen DNA der Kirche angelegt zu sein, sondern gewissermaßen in den Bereich der Epigenetik zu gehören: eine, grob gesagt, durch Geschichte erworbene Anpassung der Erscheinungsweise eines Lebewesens, die aber dennoch erblich ist. Machtmissbrauch folgt aus der Eingliederung des Christentums in eine patriarchal organisierte Gesellschaft, tragischerweise gerade, obwohl die Ursprungsgestalt des Glaubens selber patriarchalem Machtmissbrauch zum Opfer gefallen war. In diesem Bild ist aber Lernen möglich. Gerade aus der Ostererfahrung der Verbundenheit über Abgründe hinweg darf kein Zwang erwachsen. Ich bin froh über jede Kirche, die die leisen Lieder singt.

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