MeditationWie geht „richtig“ meditieren?

Meditation gilt als Ausgleich zum digitalen Dauerstress. Das kontemplative Beten im Schweigen entlastet nicht nur junge Erwachsene, wie unseren Autor, von der ständigen Erreichbarkeit und Aufgabenfülle. Doch es geht um mehr als nur Stressabbau.

In mir ist es unruhig, ich fühle mich gestresst, ich bin nervös, müde, vielleicht unzufrieden, spüre eine innere Leere oder Einsamkeit. Im Alltag bin ich gewohnt, diese und ähnliche Gefühle zu übergehen, sie beiseitezuschieben, zu verdrängen und abzuwerten. Solche gemeinhin als „negativ“ bewerteten Regungen kann ich nicht gebrauchen. Ich habe Angst, dass sie mich von Produktivität und Funktionieren abhalten. Im To-do- und Leistungsmodus lasse ich sie nicht zu – und wundere, ja ärgere mich dann abends, nachts, am Wochenende, dass sich diese Gefühle einfach ihren Raum nehmen: Ich will Feierabend, Pause machen, schlafen, Freude an freier Zeit haben, schöne Dinge genießen, meine Partnerschaft pflegen. Aber stattdessen fühle ich mich rastlos, angespannt, innerlich taub, leer. Meine inneren Geister lassen sich nicht austricksen.

Wer oder was genau löst eigentlich Stress in mir aus? Für diese Unterscheidung muss ich meine Wahrnehmung schulen. Sie kann dann nach und nach der erste Schritt zum kontemplativen Beten werden. Im Alltag bin ich daran gewöhnt, alles sofort zu bewerten, um schnell Entscheidungen zu treffen und ins Handeln zu kommen. Dabei übergehe ich nicht selten wertvolle Hinweise, die mir meine Gefühle geben könnten, wenn ich sie erst einmal wahrnähme, ohne sie zu bewerten: alle Gefühle, auch die vermeintlich schlechten.

Wahrnehmen heißt: Ich bin aufmerksam und spüre, was sich meinen inneren und äußeren Sinnen zeigt. Die kann ich zum Beispiel bei einem Spaziergang in der Natur öffnen und schulen. Oder ich nehme mir zuhause ein paar Minuten Zeit – mit mir selbst, ohne Smartphone, setze mich hin und meditiere. Ich versuche, meinem Atem zu lauschen, darauf, was mein Körper und mein Geist mir zeigen wollen – äußerlich wie innerlich. Und ich versuche, nicht krampfhaft bestimmte „gute“ oder „schlechte“ Dinge zu fühlen oder das, was ich gerade spüre, zu verändern.

Für mich sind solche Meditationsübungen sehr herausfordernd. Es fällt mir nicht leicht, aus dem Denken, Entscheiden, Bewerten und Handeln herauszugehen und quasi „nichts“ zu tun. Meine Gedanken schweifen ab, mein Geist zerstreut sich, ich denke an die nächsten Aufgaben, E-Mails, Meetings, lande gedanklich bei einem alten Konflikt…

Durch Hinweise von geistlichen Begleiterinnen und Begleitern im Haus Gries der Jesuiten Kronach im Frankenwald habe ich gelernt, nicht gegen solche Fragen und Gedanken in der Meditation anzukämpfen, sondern wahrzunehmen, dass sie da sind, sie kurz anzuschauen und dann die Entscheidung zu treffen, mich nicht in ihnen zu verlieren. In der Meditation kann ich die Probleme und Ideen sowieso nicht bearbeiten, dafür habe ich ja den ganzen restlichen Tag Zeit. Wenn ich versuche, sie bloß wegzuschieben, gerate ich in den Modus des Bewertens, Tuns und Leistens, komme weg von der Wahrnehmung, für die ich diese kurze Zeit am Tag eigentlich reserviert habe.

Je mehr ich versuche, diese Störungen in der Meditation zu ignorieren, desto stärker melden sie sich irgendwann zurück. Wenn ich versuche, immer wieder in die Wahrnehmung zurückzukommen, etwa über die Aufmerksamkeit für meine Atmung, die von alleine kommt und geht, kann ich üben, die tieferen Regungen und Sehnsüchte wahrzunehmen, die sich hinter diffusen Gedankenspiralen oder bestimmten Gefühlen verbergen.

In mehreren Exerzitien-Tagen am Stück, in einem Haus in der Natur, mit anderen Teilnehmenden und Begleiterinnen und Begleitern fällt es mir viel leichter, mich auf solche Übungen einzulassen. Im Alltag tue ich mich schwer damit, traue mich selten, mir solche Zeiten zu gönnen. Dabei fühle ich mich nach den meisten Meditationen oft etwas entspannter, ruhiger, besser als vorher. Ich komme zur Ruhe, auch körperlich. Ich spüre mich ganz. Mein Dasein ist ja nicht nur geistig, sondern auch physisch.

Als Mensch bestehe ich aus Leib und Seele, nicht dualistisch, sondern als Einheit von beidem, untrennbar, auch aus christlicher Sicht ist das eigentlich ganz klar. Als im Digitalen verwurzelter, vor Bildschirmen lebender Geisteswissenschaftler vergesse ich das leicht. Ich mute meinem Körper ziemlich viel zu, halte es irgendwie für selbstverständlich, dass er den ganzen Stress und Druck des Alltags für mich aushält, sehe ihn oft nur als Werkzeug und Hilfsmittel, nehme Müdigkeit, Rückenschmerzen oder Verspannungen, Verdauungsprobleme oft nicht als Anzeichen von tieferliegendem Stress und Druck ernst. Deshalb tue ich mich mit dem Spüren aller Teile des Körpers, meiner Atmung, meines Herzschlags, des Lebens bei der Kontemplation besonders schwer. Gerade am Anfang fühle ich mich innerlich sehr unruhig, meine Atmung ist flach und unregelmäßig, mein Puls schnell, ich bin aufgeregt und habe das Gefühl, das Ein- und Ausatmen kontrollieren zu müssen, um Herzschlag und Atmung zu verlangsamen, in Ruhe zu bringen, zu mir kommen zu können.

Die Angst vor diesen Phasen der Meditation lässt mich im Alltag oft erst gar nicht damit anfangen. Ein selbstausbeuterischer, leistungsorientierter Geist in mir kämpft gegen diese kostbaren Zeiten der Wahrnehmung, versucht mir weiszumachen, diese eigentlich elementar wichtige Dimension des Menschseins dürfe ausgerechnet ich mir nicht zugestehen, ich könnte doch auch ohne sie funktionieren. Ich erkenne die kapitalistisch konditionierte Versuchung, meinen Wunsch nach Ruhe und Entspannung, nach Stille und Nichtstun im Alltag zu ignorieren, Müdigkeit und Rastlosigkeit zu übergehen, weiterzumachen, wenn ich eigentlich nicht mehr kann.

So gelange ich aber nicht zu meinen Sehnsüchten und auch nicht in gelingende Beziehungen. Denn ich entwickle unterbewusst die Haltung, es käme in allen Lebensbereichen auf Leistung an, darauf, etwas zu tun, zu schaffen, zu verbessern, Ziele zu erreichen, meine Freizeit, Freundschaften und Partnerschaft besser zu gestalten, mich selbst zu optimieren.

Diese leistungsorientierte Haltung überträgt sich auch auf den spirituellen und religiösen Bereich. Ich meine, auch im Gebet käme es darauf an, alles richtig zu machen, Gott erwarte Leistung von mir, dass ich im Gebet etwas tue und erreiche.

Wenn ich meinem Wunsch nach innerer und äußerer Stille nachgehe, mir Zeiten von innerer und äußerer Aufmerksamkeit möglichst regelmäßig gönne, dann übe ich, meine kleinen, vielleicht banal erscheinenden Sehnsüchte wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Ich erlaube mir, innerlich weicher zu werden, durchlässiger, ich lerne, die ganze Bandbreite meiner Gefühle zuzulassen, „positive“ wie „negative“. Ich entdecke spirituelle Anklänge und tiefere, sogar religiöse Ebenen in meinen scheinbar bloß profanen Bedürfnissen.

Meine Gefühle und Sehnsüchte können mich auf diese Weise zu meinen größeren, tieferen Lebenssehnsüchten führen – Meditation kann so zu Gebet und Gottesbeziehung werden.

Gefühle, die ich in der Meditation ignoriere, melden sich später umso stärker zurück. Innere Geister lassen sich nicht austricksen. Deshalb: Bewusst wahrnehmen, die Zerstreuung unterbrechen.

Anzeige: In der Tiefe der Wüste. Perspektiven für Gottes Volk heute. Von Michael Gerber

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