Wohnungskonzerne enteignen?Das E-Wort

Der Kampf um die Kontrolle über den Immobilienmarkt erreicht in Berlin die nächste Eskalationsstufe: Bei einem Volksentscheid stimmte die Mehrheit für eine Enteignung der Wohnungskonzerne. Ist das realistisch?

Während Deutschland auf das langsame Einpendeln der Prognosebalken starrte, wurde in Berlin am vergangenen Sonntag auch noch eine andere Wahl ausgezählt. Eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten stimmte für den Volksentscheid mit dem klangvollen Namen „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Der fordert, die Immobilien der großen Wohnungskonzerne in die öffentliche Hand zu überführen und damit „vom Markt zu nehmen“. Konkret geht es um eine knappe Viertelmillion Wohneinheiten, etwa jede sechste Berliner Mietwohnung.

Menschenrecht Wohnen

Der Frust der Berliner ist gut nachvollziehbar. Ähnlich wie in anderen Großstädten haben sich die Mietpreise in der Hauptstadt in den letzten zehn Jahren in manchen Gegenden vervielfacht. Vor dreißig Jahren wurde die Gemeinnützigkeit für den Wohnungssektor abgeschafft, bis dahin geltende Gewinnbeschränkungen waren aufgehoben, und seitdem dreht sich die Preisschraube immer höher. Angetrieben von Investoren, die in Zeiten von Börsenschwankungen und Negativzins sichere Gewinne fordern. Und auf Kosten von Gering- und Normalverdienern, die mehr und mehr für das Privileg zahlen müssen, ihr Menschenrecht auf Wohnen wahrzunehmen.

Moralisch ist es sehr leicht, sich auf die Seite der Mieter und des Volksentscheids zu stellen. In der Praxis wird die Sache komplizierter. Denn – entgegen dem Namen – geht es bei der Forderung nicht um eine Enteignung, sondern um eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz. Hier wird festgeschrieben, dass „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ bei Bedarf in Gemeineigentum überführt werden können. Und während Enteignungen zum juristischen Alltag gehören und jährlich dutzendfach nach klaren Vorgaben ablaufen, wäre es das erste Mal in der Geschichte, dass Artikel 15 zum Einsatz käme.

Läuft es wie beim Mietendeckel?

Wichtige Fragen sind dabei noch ungeklärt. In anderen Großstädten dürfte man sehr genau beobachten, wie der Artikel gegen die Immobilienfirmen in Stellung gebracht wird. Allerdings glauben die wenigsten Experten, dass sich der Wohnungsmarkt wirklich so unter Kontrolle bringen lässt. Zu frisch sind die Erinnerungen an andere Versuche, wie den Berliner Mietendeckel, der erst als Weg aus der Krise angekündigt und dann vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde. Am Ende kam die Maßnahme, die die Mieter schützen sollte, viele teuer zu stehen.

Womöglich erwarten auch die Investoren, dass sich das Spiel so wiederholt. Beunruhigt scheint man jedenfalls nicht zu sein. Die Aktien der Wohnungskonzerne sind seit Sonntag sogar gestiegen. Die Börse nimmt die demokratische Entscheidung der Bürger nicht ernst. Das kann kein gutes Zeichen sein.

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