Welchen Sinn hat der schulische Religionsunterricht, wenn immer weniger Kinder und Jugendliche einen Zugang zum Glauben haben? Dazu hat der Leiter des Feuilletons der „Frankfurter Allgemeinen“, Jürgen Kaube, Stellung bezogen. Er spricht sich trotz aller religiösen Krisenerscheinungen und zunehmender Säkularisierung in Gesellschaft und Kultur für einen anspruchsvollen Unterricht aus. „Religion ist etwas Altes, das in unsere Gegenwart hineinragt, etwas, das die Menschheitsgeschichte seit Zehntausenden von Jahren prägt. Gesellschaften ohne Religion, ohne Mythologien, Riten, Vorstellungen vom Heiligen und Erzählungen über das Unsichtbare sind unbekannt, obwohl es Individuen gibt, die ohne Religion auskommen.“
Ohne Religionsverständnis lassen sich ganze Epochen, Kunstwerke, Alltagspraktiken nicht erschließen. Religion ist weit mehr als Ethikvermittlung, Lebenshilfe oder eine Botschaft, die sich – so Kaube – „irgendwo zwischen Grundgesetz, Biografiebegleitung und Glückskekseweisheiten ansiedelt“. Der Journalist spricht sich für ein „Mehrwissen“ aus, damit Antworten auf letzte Fragen und der Sinn für den Ernst von Religion nicht weiter verlorengehen. Die Schüler sollten wissen, „was sie zu glauben glauben, die Muslime von den Christen und die Christen von den Juden, diese von jenen und alle voneinander. Zu diesem ‚alle‘ gehören mehr und mehr solche Schüler, die sich gar keiner Konfession zuordnen, aber deswegen nicht weniger umgeben sind von Religion.“
Derweil haben die Kirchen in Sachsen, wo Religion ordentliches Schulfach ist, vereinbart, ab 2020/2021 einen „konfessionell-kooperativen Unterricht“ anzubieten. Weil es schwierig ist, genügend Schüler für den Religionsunterricht zu finden, wird er, unter Wahrung der Bekenntnisse, von katholischen und evangelischen Lehrern schuljahresweise abwechselnd erteilt. „Religionsunterricht hilft, eigene und fremde Kulturen besser zu verstehen“, sagte Bischof Heinrich Timmerevers. Für Landesbischof Carsten Rentzing ist religiös-ethische Bildung „erforderlicher denn je“. Erzbischof Heiner Koch von Berlin wiederum bevorzugt für seine Region einen konfessionell geprägten Religionsunterricht, damit Schüler ihren Standpunkt finden können. Das sei besser als ein nur religionskundliches Fach. In Brandenburg und Berlin gibt es als allgemeines ordentliches Schulfach nur „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“. Religionsunterricht in Verantwortung der Kirchen kann am Rande bloß in freiwilliger Wahl zusätzlich erteilt werden.