Humanistische Führungskonzepte

Kita-Leitungskräfte benötigen praxistaugliche Konzepte, um die komplexen Anforderungen ihres Arbeitsalltags handhaben zu können. Dieser Beitrag gibt Denkanstöße für eine Führungs- und Organisationskultur, die den humanistischen Grundsätzen entspricht, welche im pädagogischen Alltag eine wichtige Rolle spielen.

Humanistische Führungskonzepte
© Matthias Enter – AdobeStock

Die Leitungsebene wurde auch im Gute-Kita-Gesetz1 als eines der zehn Handlungsfelder verankert, die für die Qualitätsentwicklung in Kitas von zentraler Bedeutung sind. Dort heißt es:
„Eine starke Leitung ist die Schlüsselperson in der Kita. Sie organisiert die pädagogische Arbeit, begleitet das Team, ist Ansprechperson für Familien und Partner im Sozialraum – und leistet so einen wichtigen Beitrag für die Qualitätsentwicklung. Für diese wichtigen Aufgaben brauchen Kitaleiterinnen und Kitaleiter eine gute Ausbildung, Möglichkeiten zur Weiterbildung und genügend Zeit im Arbeitsalltag.“

Grundsätzlich gibt es kein Patentrezept für gute Führung. Vielmehr steht jede Leitungskraft vor der Herausforderung, ihr Führungsverhalten auf die Gegebenheiten der Kita (z. B. Trägerstruktur, pädagogisches Konzept) und deren „Mitspieler*innen“ (Team, Kinder, Eltern, Trägervertreter*innen) abzustimmen. Frederic Laloux, ein Pionier innovativer Entwicklung von Organisationen, zeigt in seinem Werk „Reinventing Organizations“ (2015) eine Form von Führung auf, bei der die Mitarbeiter* innen erfolgreich ihre Potenziale zum Wohle der Organisation entfalten und einsetzen können. In seinem Vergleich mit der Natur beschreibt er Organisationen als evolutionär. Analog zur Natur werden auch Organisationen als Lebewesen betrachtet, in denen der Mensch danach strebt, seine Fähigkeiten zu entfalten und dem Umfeld zur Verfügung zu stellen. Diese entwicklungs- und menschenorientierte Haltung bildet den Kerngedanken humanistischer Psychologie – Grundlage zahlreicher Beratungsschulen2 und pädagogischer Konzepte. Auf die von Carl Rogers begründete Personzentrierte Psychotherapie – die am weitesten verbreitete Richtung humanistischer Psychologie – soll näher eingegangen werden. Bereits 1981 traf Rogers folgende Aussage:
„Das Paradigma der westlichen Gesellschaft lautet, dass der Mensch im Grunde gefährlich ist; deshalb müsse er belehrt, geführt und kontrolliert werden. Doch unsere Erfahrung hat gezeigt, dass ein anderes Paradigma für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft weitaus effektiver und konstruktiver ist. Dieses besagt, dass die Menschen, sofern ein geeignetes Klima vorhanden ist, vertrauenswürdig, schöpferisch eigenmotiviert, tatkräftig und konstruktiv sind“
(Rogers 1981, S. 103f).

Das humanistische Menschenbild eignet sich ideal für den Kita-Kontext, da Kinder dort in ihrer Entwicklung gefördert und unterstützt werden. Dies geschieht allerdings nur dann erfolgreich und nachhaltig, wenn Mitarbeitende nicht als Zahnrad einer Maschine betrachtet werden, sondern ebenfalls die Gelegenheit bekommen, sich zu entwickeln und ihre Fähigkeiten einzubringen. Im Mittelpunkt des Personzentrierten Ansatzes nach Rogers steht die „hilfreiche Beziehung“ (1973, S. 53), die durch die drei Basisvariablen Empathie, Kongruenz und Wertschätzung gekennzeichnet ist. Er geht davon aus, dass jeder Mensch zwei Grundbedürfnisse befriedigen möchte, nämlich das nach Liebe und Wertschätzung sowie das nach Selbstverwirklichung. Mittlerweile wird Beziehungsqualität vor dem Hintergrund der Bindungstheorie nach Bowlby (1969) und aufgrund von Wirksamkeitsstudien als der zentrale Wirkfaktor für positive Entwicklungsprozesse betrachtet.

Drei grundlegende Prinzipien hat Frederic Laloux definiert, wie Organisationen zu „evolutionären Organisationen“ werden: Selbstführung, Ganzheit und evolutionärer Sinn. Nachfolgend sollen diese kurz dargestellt, mit Rogers‘ humanistischer Grundhaltung verknüpft und dann beispielhaft auf den Kita-Alltag übertragen werden.

Selbstführung besagt, dass Organisationen hierarchiefrei funktionieren und Führungskräfte auf Machtausübung verzichten (vgl. Laloux 2015, S. 60). Entscheidungen werden nicht mehr an der Spitze getroffen – fernab der praktischen Wirklichkeit. Vielmehr wird Autorität auf selbstführende Teams verteilt, die Verantwortung für alle Aufgaben übernehmen, die vorher bei verschiedenen Zuständigkeiten lagen (vgl. ebd., S. 63). Die Entsprechung in Rogers’ humanistischem Gedankengut wird anhand seines Bezugs auf Laotse anschaulich:
„Wenn ich Menschen nicht dazwischenfahre, passen sie auf sich selbst auf, wenn ich Menschen nicht befehle, verhalten sie sich von selbst richtig. Wenn ich Menschen nicht predige, werden sie von selbst besser, wenn ich mich Menschen nicht aufdränge, werden sie sie selbst“
(Rogers/Rosenberg 1980, S. 196).

Selbstführende Teams kann es auf allen Ebenen geben: Erzieher*innen und Eltern arbeiten in selbstführenden Teams, die auch ohne Einbeziehung der Leitung Entscheidungen treffen können, wenn sie vorher den Rat von Betroffenen oder externen Expert*innen einholen (vgl. Laloux 2015, S. 100). Für Kinder gibt es bekanntlich zahlreiche Partizipationskonzepte: vom Kinderparlament, das Beschlüsse über die Mittelverteilung fasst, über den Kinderrat, der regelmäßig Gespräche mit der Leitung führt, bis hin zur Mitbestimmung über die Anschaffung von Spielgeräten oder die Gestaltung von Räumen. Für die Koordination und den Wissensaustausch zwischen den Teams sind ausgewählte Teammitglieder zuständig, die sich regelmäßig treffen (vgl. ebd., S. 77).

Ganzheit bedeutet, die professionelle „Maske“ abzusetzen und mehr Lebendigkeit an den Arbeitsplatz zu bringen. Aufgabe der Leitung ist es, alle Akteur*innen zu ermutigen, ihr Selbst zum Ausdruck zu bringen mit allen Eigenarten, Stimmungen, Hoffnungen und Vorlieben (vgl. ebd., S. 145). Damit sich alle Beteiligten das ohne Angst vor Spott trauen, bedarf es einer sicheren Umgebung. Diese lässt sich z. B. durch gemeinsam erarbeitete Grundregeln des Umgangs miteinander erreichen. Nach Rogers (1977) entwickeln sich Menschen automatisch in eine konstruktive Richtung, wenn die Umstände – im Sinne guter Beziehungsqualität – förderlich sind. Wichtig ist es, neue Mitarbeiter*innen in der Einarbeitungsphase mit den Regeln vertraut zu machen und das bestehende Team zu regelmäßigen Treffen einzuladen, um sich dieser Regeln zu vergewissern oder deren Inhalte zu diskutieren. Rogers versteht den Drang zur Entfaltung der Persönlichkeit als Selbstaktualisierungstendenz:
„Es ist der Drang, der sich in allem organischen und menschlichen Leben zeigt: sich auszuweiten, auszudehnen, zu entwickeln, autonom zu werden, zu reifen; die Tendenz, alle Fähigkeiten des Organismus in dem Maße auszudrücken und zu aktivieren, in dem solche Aktivierung den Organismus sich entfalten lässt oder das Selbst steigert“
(Rogers 2002, S. 49).

Während im Kita-Alltag der Fokus ganz selbstverständlich darauf gerichtet ist, was das einzelne Kind in der Entwicklung individueller Fähigkeiten weiterbringt, spielt das bei den erwachsenen Akteur*innen oft (leider) keine Rolle. Leitungskräfte benötigen Coaching-Kompetenzen, um die Potenziale der Mitarbeiter* innen zu erkennen und deren Persönlichkeitsentwicklungen zu fördern. Dazu kann die Schaffung interdisziplinärer Teams als weitere Maßnahme dienen – auch um Verschiedenartigkeit als Stärke zu nutzen. Gleichzeitig sollten Wege zu persönlicher Weiterbildung eröffnet werden.

Evolutionärer Sinn: Evolutionäre Organisationen sind nicht mehr nur auf Selbsterhalt durch Konkurrenz und Wachstum fixiert. Vielmehr leben sie für einen übergreifenden, höheren Sinn, der sich ergibt aus ihrer Identität, ihrer Berufung, ihrem kreativen Potenzial mit dem Ziel, einen wertvollen Beitrag für die Welt zu leisten (vgl. Laloux 2015, S. 194f). Auch hier legt nicht die Führungskraft eine Strategie fest, der alle folgen müssen und die regelmäßig überwacht wird, sondern die Organisation wird als lebendiges System betrachtet, das nicht vorhersagbar ist. Alle Akteur*innen werden als Teil des Systems ermutigt, ihrer Wahrnehmung für Sinn und Richtung der Organisation zu trauen und in den Arbeitsalltag einzubringen (vgl. ebd. S. 208). Hier können geeignete Methoden wie z. B. Focusing (Weiterentwicklung des Personzentrierten Ansatzes) Menschen wieder in Kontakt mit dem eigenen Erleben bringen. Schon 1959 spricht sich Rogers für Prozessorientierung und gegen Vorhersagbarkeit aus. Für ihn ist persönliches Wachstum im Sinne von Selbstentfaltung nur in Austausch und Begegnung mit anderen Menschen möglich (vgl. Rogers 1972, S. 36). Bezogen auf den Kita-Kontext kommt so beispielsweise dem Vernetzungsgedanken eine wichtige Rolle zu. Stärkere Vernetzung der Einrichtung kann sich sowohl auf die Familien als auch auf andere Einrichtungen beziehen. Die Möglichkeit, Einblick in den pädagogischen Alltag einer anderen Einrichtung zu gewinnen und sich mit den dortigen Kolleg*innen auszutauschen, wurde im Rahmen des Projekts (s. Kasten) als Hospitationsprogramm ermöglicht und von allen Beteiligten als Erfolg verbucht.

Der Beitrag entstand im Rahmen eines von der Robert- Bosch-Stiftung geförderten Projekts (www. bosch-stiftung.de/de/projekt/handbuch-organisati onsentwicklung-kitas-beispiele-gelungener-praxis), das sich in unterschiedliche Phasen gliedert: In der ersten Phase diskutierten Expert*innen aus Praxis, Politik und Wissenschaft eine vom Projektteam zuvor erstellte Bestandsaufnahme konzeptioneller Grundlagen für die Organisationsentwicklung im Elementarbereich (vgl. Buhl/Freytag/Iller 2016). In der zweiten Phase wurde im Sinne des good practice Ansatzes auf der Grundlage von Fallstudien in frühpädagogischen Einrichtungen ein Praxishandbuch erstellt, das von Trägern, Leitungen oder in Teams genutzt werden kann, um für die Qualität der eigenen Einrichtung Organisationsentwicklungsprozesse anzustoßen (vgl. Mieth/Baier/Buhl/Freytag/Iller 2018). In der dritten Phase ging es um die Analyse verschiedener Verbreitungsstrategien und den Wissenschafts- Praxis-Transfer. Die aktuelle Projektphase fokussiert die Stärkung der Leitung in ihrer Rolle als Führungskraft.

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