Den Bau- und Konstruktionsbereich anregend gestaltenWir wollen hoch hinaus

Sie verbauen Quader mit Fahrradspeichen und Würfel mit Federn. Materialien mit Aufforderungscharakter und Erwachsene, die das Entstehen und das Werk von Kindern interessiert begleiten – das inspiriert Ruinenbaumeister*innen und Konstrukteur*innen.

Wir wollen hoch hinaus
© Udo Lange, Freiburg

Bauen und Konstruieren ist unabhängig von Alter, Geschlecht und kultureller Herkunft eines der zentralen und verbindenden Spielthemen in Krippe, Kita und Hort. Dem Erfindungsreichtum und der Leidenschaft sind dabei keine Grenzen gesetzt. Eine Vielzahl von Untersuchungen und Beobachtungen belegt, dass im Bau- und Konstruktionsspiel das Fundament für alle bedeutsamen Lerndispositionengelegt wird. Im freien Spiel und Materialexperiment erwerben die Kinder intuitives Wissen. Sie erschließen sich die Welt und deren Gesetzmäßigkeiten, lange bevor sie diese sprachlich benennen können.
Die spezifischen Eigenschaften des Baumaterials fordern wache Aufmerksamkeit, Anpassungsfähigkeit und eigene Lösungswege. Die Welt der Physik erschließt sich über die Begegnung mit den Gesetzen der Statik. Balance, Masse, Zugkraft und Hebelwirkung werden sinnlich erfahrbar. Jedes einstürzende Bauwerk ist Entwicklungs- und Lernmotor für weitere Vorhaben. Das Material ist kein passives Gegenüber, es zeigt Reaktion und fordert zum Dialog heraus. Wie ist der Untergrund beschaffen? Was sind die nächsten Schritte? Wo müssen plötzlich auftretende Probleme gelöst werden? Wie hoch will ich hinaus? Planungsvermögen und vorausschauendes Denken entscheiden zunehmend über Erfolg oder Misserfolg, Bauwerk und Kind bilden eine Einheit. Der Blick auf die unterschiedlichen Altersstufen zeigt, dass alle Formen der Bautätigkeit einem inneren Plan folgen und von individuellen Ausdrucksformen und Interessen bestimmt sind.

Vom Anfängerglück der Ruinenbaumeister*innen

Bereits im frühen Kleinstkindalter zeigt sich die Lust am vertikalen Stapeln und Aufschichten von Gegenständen. Becher, Dosen, Schachteln, Windeln und andere Beutestücke werden scheinbar willkürlich und unstrukturiert aufeinandergeschichtet. Das Fallenlassen und Aneinanderklopfen von Bauklötzen dient der Materialprüfung und ist Grundlage für alle späteren systematischen Bautätigkeiten. Mit etwa 2 Jahren verändert sich die Bautätigkeit. Das unspezifische Stapeln in die Höhe wird durch horizontales Legen und Bauen in Reihungen abgelöst. Die differenzierte und bewusste Auswahl von geeigneten Materialien rückt nun in den Vordergrund und die ersten wackligen Konstruktionsversuche von Turmbauten werden freudig kommentiert, wenn das Gebilde einstürzt. Die unwiderstehliche Lust, aufgetürmte Bauwerke geräuschvoll umzustoßen, ist wichtiger Bestandteil des Spiels, das mit den älteren Kita-Kindern oft zu heftigen Konflikten führt. Der Wunsch, robuste und tragfähige Konstruktionen aufzubauen, entwickelt sich erst mit zunehmendem Alter. Zuvor sind das Demontieren und Experimentieren mit Balance und Stabilität Ausgangspunkt aller Konstruktionstätigkeiten. Im Krippenalter sollten daher eher keine Stecksysteme wie beispielsweise Duplo angeboten werden. Sinnvoller sind Klötze mit unterschiedlichen Formen, Farben und Oberflächen, Softbausteine, Kartonbausteine, Schwämme, Becher und stapelbare Dinge, die vielfältige und individuelle Lösungen zulassen und herausfordern.

Fragen für die Beobachtung von Lerndispositionen

  • Wendet sich das Kind selbsttätig dem Bauen zu?
  • Was baut das Kind besonders gern, was sind seine Themen?
  • Kann das Kind eigene Ideen umsetzen?
  • Wie engagiert lässt sich das Kind auf die Bautätigkeit ein?
  • Wie ist die Handlungsplanung beim Bauen?
  • Wie zufrieden ist das Kind mit seinem Werk?
  • Wie groß ist seine Frustrationstoleranz, wenn etwas nicht klappt?
  • Wird der Austausch und Dialog mit anderen Spielpartner*innen gesucht?
  • Wie einigt sich das Kind bei unterschiedlichen Ideen mit seinen Spielpartner*innen.

Lustvolles Bauen und Konstruieren braucht Katalysatoren

Die meisten Kinder verfügen daheim über viel spezialisiertes Spielzeug. Was häufig fehlt, ist ein wildes Sammelsurium an „Zeug zum Spielen“. Die Bauecke im Kindergarten sollte darauf reagieren und sich zu einer Werkstatt entwickeln, in der alles zu finden ist, was zum Bauen, Konstruieren, Gestalten, Erfinden, Planen, Nachbauen und Abgucken, Reparieren und Optimieren einlädt. Hier findet neben den klassischen Bau- und Konstruktionsmaterialien vor allem „Echtzeug“ einen Platz und wartet darauf, von den Kindern fantasievoll in ihr Spiel eingebunden zu werden. „Echtzeug“ meint bedeutungsoffene Materialien, die aus der realen Welt stammen und nicht eigens für Kinder hergestellt wurden. Hierzu zählen Holzabschnitte in regelmäßigen und unregelmäßigen Formen, Kartons, Verpackungsmaterialien, Eisbecher, Schnurspulen, Klinkersteine, Parkettstäbchen, Fliesen- und Plexiglasreste sowie Papprollen in allen Größen. Gerade die scheinbar wertlosen Materialien im Rohzustand sind für Kinder attraktiv und regen sie an, sich mit ihnen zu beschäftigen. Der Wert von Dingen hängt in diesem Alter von ihrem Aufforderungscharakter ab. Was inspiriert, welche Vorstellungsbilder werden ausgelöst, was aktiviert den Erfindungsgeist?
Neben den Materialien und Dingen braucht es vor allem Raum, um vielfältige Möglichkeiten zum klein- und großräumigen Spiel anzuregen. Da stoßen viele Bauecken schnell an ihre Grenzen. Daher werden zunehmend Raumkonzepte entwickelt, die schwerpunktmäßig bestimmte Tätigkeitsbereiche unterstützen, ohne nur darauf festgelegt zu sein. So verwandelt sich die Ecke mit dem Bauteppich in eine großzügige Bauwerkstatt, in der ein Materialregal mit Pappen, Schachteln, Stoffresten, Folien, Schnüren, Kreppband, Draht, Klammern, Kleber und geeigneten Werkzeugen vorhanden ist. Ein Wandklapptisch schafft bei Bedarf Platz, kleine Podeste und Teppichfliesen lassen sich verschieben und bieten gleichzeitig Raum für Rückzug und Abgrenzung. Kisten für die Baumaterialien sorgen für überschaubare Ordnung und können nach dem Leeren ins Spiel einbezogen werden. Je differenzierter der Baubereich ausgestattet ist, desto wichtiger sind die Erwachsenen, die die Kinder bei ihrem Spiel begleiten und anregen. Die Pflege und Attraktivität einer Bauwerkstatt setzt ein authentisches Interesse der Fachkraft am Entstehenden und den Werken der Kinder voraus. Es braucht die wache Aufmerksamkeit und manchmal den ermutigenden Zuspruch, um die Kinder in ihrem Tun zu unterstützen und herauszufordern. Flüchtige Kommentare wie „Das hast du aber schön gebaut!“ sind ungeeignet, um ein Baustellengespräch zu öffnen und echtes Interesse am Tun der Baumeister*innen zu signalisieren. Die regelmäßige Dokumentation und eine ansprechende Sortierung und Präsentation schaffen eine inspirierende Atmosphäre. Mit etwas Geschick können Materialien so in Szene gesetzt werden, dass sie die Aufmerksamkeit der Kinder aktivieren und die Wertschätzung im Umgang damit ohne wortreiche Erklärungen vermitteln. Die Auswahl der Belebungsmaterialien sollte sich nicht auf die gängigen Fahrzeuge und Spielfiguren beschränken, sondern die kulturelle Vielfalt von Bauformen und Ausstattungsgegenständen spiegeln. Wo sind die Schatzbausteine und prunkvollen Zierelemente für den Palastbau? Unser Bauernhof braucht Stroh und Reststücke vom Kunstrasen für die Tiere. Der Zauberwald mit den Aststücken, Rinden, Muscheln und Schneckenhäusern beginnt gleich hinter dem Haus mit den Zwiebeltürmen. Hier lebt das Einhorn mit der Zauberin.
Die belebenden Elemente und Fundstücke wecken Begehrlichkeiten und laden alle Altersgruppen ein, unabhängig von ihrem Geschlecht und der Nationalität. Hier zeigt sich die enge und sprachanregende Verbindung von Bau- und Fantasiespielen, bei der die Fertigstellung des Bauwerks nicht immer im Mittelpunkt stehen muss.
Die attraktive Gestaltung des Bau- und Konstruktionsbereichs ist nicht von der Quadratmeter zahl der Räume abhängig. Wenn es dennoch an Platz mangeln sollte, richten wir den Blick auf das Außenspielgelände.

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