Wir sahen Neues kommen

Die „Herder Korrespondenz“ hat über die neue Weltzuwendung der Kirche nicht nur berichtet, sie hat sie auch selbst vorangetrieben.

Zeitschriften begleiten ihre Leser durch die Zeit, oft jahrzehntelang. In meiner Jugend begann es mit dem „Fährmann“ und der „Wacht“, später kamen „Hochland“ und „Merkur“ dazu. Aber nur eine einzige Zeitschrift habe ich buchstäblich mein ganzes Leben lang gelesen und halte sie bis heute abonniert: die „Herder Korrespondenz“. Die ersten Exemplare – ich war noch Schüler – drückte mir eine meiner Schwestern, die bei Herder arbeitete, in den späten Vierzigerjahren in die Hand.

Die „Herder Korrespondenz“ war damals etwas Offizielles, fast Amtliches; ihr Untertitel hieß von 1948 bis 1967 „Orbis Catholicus“. Sie enthielt päpstliche und bischöfliche Verlautbarungen und weltkirchlich bedeutsame Schreiben aller Art. Nach der Isolierung durch Krieg und NS-Zeit sollte das Ganze der katholischen Welt, ihre Universalität, ihr geistlicher Anspruch auch in Deutschland wieder sichtbar werden. Erst allmählich kamen zu den offiziellen Texten Kommentare und Stellungnahmen hinzu – und nach rund zwei Jahrzehnten gewann die „Herder Korrespondenz“ ihr bis heute ausgeprägtes journalistisches Profil.

Blättere ich in den alten Heften, so tritt die kirchliche Nachkriegszeit unmittelbar vor Augen und mit ihr das (damals) „typisch Katholische“: Papst und Vatikanstaat, Kardinäle und Nuntien, Hochaltäre, geistliche Feste, Prozessionen und die farbigen Gewänder der Liturgie. Es war eine hierarchische Welt: Wir Jugendlichen verehrten unsere Pfarrvikare und Religionslehrer, die uns oft genug im Unterricht vor der NS-Ideologie bewahrt hatten. Wir sahen auf zu den Bischöfen, zum Papst in Rom (es war Pius XII., das einzige Staatsoberhaupt weltweit, das nach dem Zweiten Weltkrieg ein gutes Wort für die verfemten Deutschen gefunden hatte). Geistliche galten nach wie vor als etwas Besonderes, auch für die Laien. Ein wenig selbstironisch zitierte mein Schulkamerad und Freund Klaus Hemmerle, der spätere Aachener Bischof, einen alten Spruch aus der Kulturkampfzeit: „Wo ein Priester schreitet, da zittert der Staub.“

Nun, diese Zeit ist lange vorbei. Schon seit den Fünfzigerjahren sahen wir jungen Leute in der Kirche Neues kommen. Am deutlichsten wandelte sich das Kirchenjahr, vorab die Fasten- und die Osterzeit. Die überlieferte Auferstehungsfeier am Karsamstagabend wich einer rundum erneuerten Osternachtliturgie. Das Konzil brachte große Veränderungen: Gottesdienste in der Volkssprache, freistehende Altäre statt der Hochaltäre, neue Leseordnungen, die Wendung des Priesters zum Volk, eine aktivere Teilnahme der Gläubigen am Gottesdienst. Vor allem: Unter Johannes XXIII. und Paul VI. wurden die Beziehungen der Gläubigen zum Judentum, zu anderen Konfessionen und Religionen, auch zu den Ungläubigen, neu definiert. Nirgends wird das deutlicher als in den neugefassten Karfreitagsbitten. Die„häretischen“ Protestanten, die „götzendienerischen“ Nichtchristen, die „treulosen“ Juden verschwanden aus den liturgischen Texten. Ich habe in Freiburg den mutigen Kampf Gertrud Luckners und Karl Thiemes gegen die alte Karfreitagsbitte „pro perfidis Judaeis“ aus nächster Nähe miterlebt. Und ich habe es sehr bedauert, dass der von mir hochgeschätzte Theologe Joseph Ratzinger als Papst die „außerordentliche Form“ des römischen Ritus wieder zuließ, in der die alten Töne neuerlich anklingen. Für die „Erleuchtung“ der Juden zu beten, das hat für Christen nach dem Holocaust einen Hauch von Anmaßung. Man sollte dem „Ratschluss Gottes“, an den die neue Form der Bitte für die Juden zu Recht erinnert, nicht vorgreifen.

Die „Herder Korrespondenz“ hat über die neue Weltzuwendung der Kirche nicht nur berichtet, sie hat sie von den späten Sechzigerjahren an selbst vorangetrieben. Unter den Chefredakteuren Karlheinz Schmidthüs, Franz Greiner, David Seeber, Ulrich Ruh – ich kannte alle persönlich – wurde die Zeitschrift zu einem wichtigen Organ im innerkirchlichen Dialog. Ohne sich mit einer bestimmten Strömung zu identifizieren, steht sie heute für die ökumenische Öffnung der Kirche, für ihre Zuwendung zur Religionsfreiheit, für die neue Nähe zu Menschenrechten, Freiheit, demokratischer Ordnung. Dabei spielt die Verantwortung der Laien eine unverwechselbare Rolle.

Fazit: Auch wenn die katholische Kirche unserer Zeit an inneren Schwächen leidet, auch wenn sie vieles aufzuarbeiten hat, was in der Vergangenheit fehlgegangen ist, auch wenn sie sich in vielen Teilen der Welt gegen heftige äußere Verfolgung wehren muss, und auch wenn sie manchmal Mühe hat, sich selbst zu verstehen und auszuhalten – für ihre Zukunft ist mir gleichwohl nicht bange. Ich vertraue auf das non praevalebunt des Evangeliums. Und ich wünsche von Herzen, die „Herder Korrespondenz“ könne die Kirche auf ihrem Weg noch lange Zeit begleiten – aus geistlicher Nähe und mit kritischem Sinn.

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