BuchbesprechungJörg Stolz u.a., Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft. Vier Gestalten des (Un-)Glaubens

Fünf Forschende in Lausanne und St.-Gallen haben es in mehrjähriger Arbeit unternommen, die gegenwärtige religiös-spirituelle Situation der Schweizer Be­völkerung (ohne Berücksichtigung der nichtchristlichen Religionen) zu beschreiben und zu erklären. Mit den Daten einer quantitativen und einer qualitativen Teilstudie wurde zunächst eine Typologie religiös-säkularer Grossgruppen erarbeitet. Darauf wurde eine Theorie religiös-säkularer Konkurrenz entwickelt und davon die These einer Konkurrenzverschiebung abgeleitet, die das Wachsen und Schrumpfen dieser Typen erklären kann.

Gemäß der allgemeinen Theorie religiös-säkularer Konkurrenz geht es den Akteuren um Macht und Ansehen, um Einfluss und Bedeutung auf einer gesellschaftlichen Ebene, innerhalb von Organisationen und um individuelle Nachfrage nach Gütern (Kapitel 2). Anders als die Markttheorie betrachtet diese neue Theorie sowohl intra-religiöse als auch religiös-säkulare Konkurrenzverhältnisse. Die sozio-historische Konkretisierung der allgemeinen Theorie führt zu einer spezifischen Erklärung: Die kulturelle Revolution der sechziger Jahre mit dem Wirtschaftsboom und dem Wertewandel hat die industrielle Gesellschaft zur Ich-Gesellschaft umgestaltet und damit zum Regimewechsel religiös-säkularer Konkurrenz geführt.

Von der allgemeinen Theorie und ihrer Konkretisierung werden zehn Hypothesen abgeleitet, die abschließend empirisch überprüft werden (Kapitel 9). Zunächst wird aber die Typologie vorgestellt (Kapitel 3), und in den zentralen Kapiteln 4 bis 8 werden die verschiedenen Typen und Milieus unter verschiedenen Rücksichten eingehend beschrieben. Die Typologie baut auf zwei Dimensionen auf, einer institutionellen Religiosität und einer alternativen Spiritualität, woraus sich vier Typen ergeben: der institutionelle gehört der katholischen oder reformierten Kirche oder einer Freikirche an und ist überzeugt gläubig; der säkulare ist der Religion gegenüber gleichgültig oder lehnt sie ab; der alternative kultiviert andere Arten von Religiosität, zum Beispiel esoterische, synkretistische, holistische oder körperbezogene religiöse Praktiken; der distanzierte hat ein sehr lockeres bis distanziertes, aber nicht vollständig abgebrochenes Verhältnis mehrheitlich zur reformierten oder katholischen Kirche. Innerhalb dieser Typen lassen sich Subtypen in Form eines Milieus oder eines sozialen Aggregats (einer statistischen Grösse) ausmachen. So unterscheiden sich innerhalb des institutionellen Typus die Mitglieder der katholischen und reformierten Kerngemeinden („die Etablierten“) klar von den Freikirchlichen, und innerhalb der alternativen Religiosität beziehungsweise Spiritualität sind die Esoteriker die Kerngruppe.

Die Überprüfung der Hypothesen bildet den Wandel von Religiosität, Spiritualität und Säkularität in den letzten Jahrzehnten ab. Auf der Ebene der Individuen haben ein säkularisierendes Driften sowie eine religiöse Individualisierung und Konsumorientierung zugenommen. Auf der Ebene der Milieus sind die Etablierten geschrumpft und die Distanzierten und die Alternativen sehr stark angewachsen; leicht gewachsen ist auch das freikirchliche Milieu. Für die Zukunft erwarten die Forschenden „eine gewisse Polarisierung zwischen sehr religiösen Freikirchlichen und Esoterischen und einer sehr großen Gruppe von völlig indifferenten oder religionskritischen Personen“ (206).

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Jörg Stolz u.a.

Religion und Spiritualität in der Ich-GesellschaftVier Gestalten des (Un-)Glaubens

Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2014.