„Pacem in terris“Eine bleibend aktuelle Enzyklika

Die am 11. April 1963 von Johannes XXIII. veröffentlichte Sozialenzyklika „Pacem in terris“ bleibt in einzelnen Passagen hochaktuell. Das hat jetzt eine gemeinsam von der Deutschen Kommission „Justitia et Pax“ und dem Katholischen Militärbischofs­amt veranstaltete Tagung zum 50. Jahrestag der Veröffentlichung gezeigt.

Es gibt wohl wenige Papstenzykliken, die innerkirchlich wie außerhalb der Kirche eine ähnliche Aufmerksamkeit sowie – den Versuch der Instrumentalisierung eingeschlossen – Rezeption erfuhren, wie die von Johannes XXIII. am Gründonnerstag des Jahres 1963 (11. April) veröffentlichte Enzyklika „Pacem in terris“; zwei Monate nach ihrer Veröffentlichung starb der Papst.

Vierzig Jahre später würdigte in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag Johannes Paul II. den visionären Mut und die prophetische Kraft, die „Pacem in terris“ nach Jahrzehnten „außergewöhnliche Aktualität“ verliehen, obwohl verfasst in einer Zeit der „tiefen Unordnung“ und „einem Klima gegenseitiger Verdächtigung und Misstrauen“. Das wechselseitige Vertrauen der Menschen wie der Staaten untereinander stellt entsprechend in „Pacem in terris“ eine der zentralen Kategorien dar. Johannes Paul II. selbst begründete mit der historischen Reminiszenz während des Irakkonflikts im Jahr 2003 sein striktes Nein zum Angriff der USA und ihrer „Koalition der Willigen“ auf den Irak (vgl. HK Februar, 2003, 58 f.).

Neuer Stil in der Soziallehre

Innerkirchlich stellte die Enzyklika unter verschiedener Hinsicht etwas Neues dar, auch wenn Johannes XXIII. offenbar daran gelegen war, durch reichliche Bezüge und Verweise in seiner Enzyklika vor allem die Kontinuität zu seinem Vorgänger Pius XII. hervorzuheben. Vielfach ist beschrieben worden, wie mit „Pacem in terris“ und der schon zwei Jahre zuvor von Johannes XXIII. veröffentlichten Sozialenzyklika „Mater et magistra“ ein neuer Ton und ein neuer Stil in die kirchliche Sozialverkündigung und -lehre Einzug gehalten haben.

Im Falle von „Pacem in terris“ war dies zum einen die erstmalige Adressierung einer Enzyklika „an alle Menschen guten Willens“, zum anderen der Ansatz einer selbstredend auch weiterhin naturrechtlich fundierten Auseinandersetzung bei den „Zeichen der Zeit“: „Pacem in terris“ benennt Anfang der sechziger Jahre als solche Zeichen der Zeit den Aufstieg der Arbeiterklasse, die Emanzipation der Frauen und das Freiheitsrecht der Kolonialvölker.

Inhaltlich schrieb Johannes XXIII. mit dieser Enzyklika zweifach Geschichte: Mit „Pacem in terris“ erfuhren, nach einer langen Phase der Ablehnung und Gegnerschaft, die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit wertschätzende Achtung sowie eine eigenständige theologische Begründung aus der jeder Person von Gott her zukommenden unveräußerlichen Würde; verbunden war dies konkret mit der Forderung nach einer Weltautorität beziehungsweise der Würdigung der Vereinten Nationen zum Schutz dieser überstaatlichen Rechte.

Zugleich stellt „Pacem in terris“ einen wichtigen Markstein in der Entwicklung der kirchlichen Friedenslehre dar, gemeinhin gewertet als – unter dem Eindruck eines drohenden Atomkrieges verfasst – endgültiger Abschied von der Lehre des „gerechten Krieges“. Veröffentlicht wurde das später oft nur noch kurz als „Friedensenzyklika“ apostrophierte Schreiben mitten im „Kalten Krieg“, ein halbes Jahr beispielsweise nach der so genannten „Kubakrise“; seinerzeit hatte die Welt für viele zeitgeschichtliche Beobachter hart am Rand eines mit Atomwaffen ausgetragenen Konfliktes zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion gestanden.

Konkret steht „Pacem in terris“ für viele schließlich auch für eine Wende im Verhältnis von Vatikan und Kirche gegenüber der Sowjetunion und dem Kommunismus. Theologisch fundiert wurde diese Neuausrichtung durch die in der Enzyklika vorgenommene Unterscheidung zwischen den in ihren politischen Absichten unter Umständen auch Gutes wollenden „Irrenden“ und dem „Irrtum“, den falschen Ideologien selbst. So wurde „Pacem in terris“ auch als Auftakt einer neuen vatikanischen Ostpolitik und einer grundsätzlich offeneren Haltung gegenüber den kommunistischen Regimen dieser Zeit betrachtet – nach Jahren der strikten Konfrontation.

Der Papst als sein eigener Exeget

Die Rezeption und Wirkungsgeschichte von „Pacem in terris“ einerseits und zugleich die Frage nach deren Aktualität standen auch im Zentrum einer fast am Jahrestag veranstalteten Fachtagung in Berlin, gemeinsam verantwortet von der Deutschen Kommission „Justitia et Pax“, dem Katholischen Militärbischofsamt und dem „Zentrum für Ethische Bildung in den Streitkräften“ (Zebis). Dabei skizzierte der Potsdamer Historiker Thomas Brechenmacher, spezialisiert unter anderem auf den „politischen Katholizismus“ und die Kirche im Nationalsozialismus, sehr anschaulich die durchaus sehr gemischten Reaktionen, die die Enzyklika innerkirchlich und in der politischen Öffentlichkeit, im Westen wie im Osten ­erfuhr, gerade wegen des neuen Tons gegenüber Kommunismus und Sowjet­union.

Bei aller Wertschätzung für die Friedensbotschaft des Papstes sorgten sich westliche Politiker vor einem zu offenen Gesprächsangebot an die kommunistischen Regime. Brechenmacher hob dabei hervor, dass Johannes XXIII. sich vor diesem Hintergrund selbst in drei Reden um die richtige Lesart der Enzyklika bemühte und dabei drei Aspekte einschärfte: „Pacem in terris“ stelle keinen Politikbruch gegenüber dem Pontifikat Pius XII. dar; der wahre Weg zum Frieden könne ausschließlich der christliche sein und die „Irrenden“ würden letzten Endes von der Wahrheit überzeugt; und schließlich sei die Enzyklika, wiewohl auf die großen politischen Themen der Zeit bezogen, kein Wahlkampfinstrument.

Ein engagiertes „Zeitzeugen-Gespräch“ während der Tagung ließ dabei heute noch erahnen, wie sehr man seinerzeit politisch um die rechte Interpretation der einschlägigen Passagen der Enzyklika hatte streiten können.

Der DDR-Bürgerrechtler und evangelische Theologe Markus Meckel, von April bis August 1990 (der letzte) Außenminister der DDR, Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion bis 2009 und als im Jahr 1952 Geborener schon fast kein Zeitzeuge mehr, zog, hörbar begeistert von seiner Erstlektüre der Enzyklika, dabei Parallelen: unter anderem zur Rede Egon Bahrs in der Evangelischen Akademie in Tutzing im Juli 1963, überschrieben mit dem programmatischen „Wandel durch Annäherung“.

Der frühere CDU-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen und langjährige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bernhard Vogel, betonte vor allem den mit „Pacem in terris“ vollzogenen fundamentalen Perspektivenwechsel in der kirchlichen Soziallehre, als bleibende Erinnerung an den „Erstkontakt“ mit der Enzyklika als junger Dozent für Soziologie und Volkswirtschaftslehre in Heidelberg.

Mit Blick auf die bleibende Aktualität von „Pacem in terris“ setzte Brechenmacher bei der Tagung in Berlin noch einen anderen Akzent: Johannes XXIII. habe in der Enzyklika unmissverständlich betont, dass die großen Menschheitsfragen der Zeit globale Fragen seien und entsprechend habe er auch appelliert, dass in dieser globalisierten Welt auch globale Lösungen gesucht werden müssten, unter Anerkennung der naturrechtlich begründeten Würde des Einzelnen in Recht und Freiheit.

Den unverändert aktuellen Kulminationspunkt der Enzyklika stelle daher das Bekenntnis zu den in der UN-Charta niedergelegten allgemeinen Menschenrechten dar sowie zum weltpolitisch-überstaatlichen Regulativ der Vereinten Nationen. „Fast paradoxerweise“ liege entsprechend das Besondere der Enzyklika weniger in der Öffnung der Kirche gegenüber dem Kommunismus, als in „deren endgültiger Ankunft im Westen“.

Unlösbare Verbindung von Freiheit und Personenwürde

Dieses Bekenntnis zu den allgemeinen Menschenrechten, vor allem aber die systematisch unauflösbare Verknüpfung von menschlicher Freiheit und gottgeschenkter Personenwürde in der theologischen Begründung der Menschenrechte sowie die Betonung der menschlichen Freiheit als Ordnungsprinzip – darin liegt für Heiner Bielefeldt das revolutionär Neue von „Pacem in terris“.

Vor dem Hintergrund seiner konkreten Erfahrungen als Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Vereinten Nationen sieht der Professor für Menschenrechte und Menschrechtspolitik an der Universität Nürnberg-Erlangen die bleibende Bedeutung der Enzyklika vor allem in aktuell nicht zu übersehenden Versuchen, die Menschenrechte in ihrer Geltung zu relativieren. Heute getraue sich zwar niemand mehr, die Menschenrechte offen infrage zu stellen. Bedrohlich seien dagegen vielfach zu hörende „Ja, aber … „-Argumentationen: Im Namen von Gemeinschaft, von Religion oder traditionellen Werten würden – etwa in China, Russland und muslimischen Staaten – die Freiheitsrechte des Einzelnen und insbesondere das Recht auf Religionsfreiheit eingeschränkt oder mit undurchschaubaren Vorbehalten versehen (vgl. HK, Dezember 2010, 609 ff.).

Eindringlich appellierte Bielefeldt vor diesem Hintergrund an die Kirche, sich deutlich stärker als bisher in den Menschenrechts-Diskussionen im Kontext der Vereinten Nationen zu engagieren, gerade wo es um die Religionsfreiheit gehe.

Gerechter Friede

Unter der programmatischen Überschrift „Kirche als Friedensakteur. Teil des Problems oder Teil der Lösung?“ ordnete der Münchner Erzbischof und frühere Professor für Christliche Gesellschaftslehre, Kardinal Reinhard Marx, „Pacem in terris“ noch einmal in den größeren Zusammenhang der kirchlichen Friedenslehre ein und beschrieb dabei den fundamentalen Perspektivenwechsel von der traditionellen „Lehre vom gerechten Krieg“ hin zum Leitbild eines „Gerechten Friedens“, in dessen Zentrum die unbedingte Gewaltvermeidung steht; „Gerechter Frieden“ lautet auch der Titel der im Jahr 2000 von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten friedenspolitischen Erklärung. Ausdrücklich betonte Kardinal Marx dabei, dass die konstruktive Mitwirkung an der Überwindung von Konflikten und dem Schaffen von Frieden nicht eine Aufgabe der Kirche unter vielen sei. Die Kirche habe nicht eine Friedenslehre, sondern sei selbst von ihrem Innersten her Friedenslehre.

Selbstredend seien die in ihre Geschichte und Gesellschaften hineinverflochtenen Ortskirchen weltweit in unzähligen Konflikten der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart, sowohl Teil des Problems wie auch Teil der Lösung (gewesen) – mahnte Marx zu Selbstkritik und einem realistischen Blick.

Eine der ersten Aufgaben kirchlichen Friedenshandelns sei, eine differenzierte Wahrnehmung der Gewaltförmigkeit der gesellschaftlichen Bedingungen zu fördern. Es reiche nicht, Gewalt abstrakt abzulehnen, man müsse sie konkret in den Blick nehmen. Immer gelte es der Versuchung zu widerstehen, sich ins rein Prinzipielle zu flüchten.

 „Die Hilflosigkeit so mancher kirchlicher Verlautbarungen zu Konflikt und Gewalt ist auf mangelhafte Bereitschaft zurückzuführen, sich den konkreten Anfragen und Anfeindungen wirklich zu stellen.“ Verführerisch einfach sei es, im Prinzip Recht zu haben, weitaus schwieriger, sich zu konkreten Nöten und Begrenzungen in Beziehung zu setzen.

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