Von der Generationengerechtigkeit zu den Rechten künftiger MenschenAnsprüche noch nicht Gezeugter

Politische Entscheidungen haben die Tendenz zur Privilegierung der Gegenwart und zur Vernachlässigung der Zukunft. Die Aufnahme des Staatsziels Generationengerechtigkeit in die Verfassung soll den berechtigten Ansprüchen der kommenden Generationen Rechnung tragen und so zum Abbau eines entscheidenden Strukturdefizits auch der deutschen Demokratie beitragen.

Am 9. November 2006 brachten über einhundert Abgeordnete des Deutschen Bundestages einen bemerkenswerten Gesetzentwurf ein, mittels dessen das Konzept der Generationengerechtigkeit im deutschen Grundgesetz verankert werden soll. Bemerkenswert nicht nur, weil (mit Ausnahme der Linken) Mitglieder aller im Parlament vertretenen Fraktionen und Altersgruppen den Antrag unterstützen, sondern auch deshalb, weil damit ein Strukturdefizit abgebaut werden soll, von dem keine real existierende Staatsform frei ist. Politischen Entscheidungen, so die Abgeordneten, wohne die Tendenz zur Privilegierung der Gegenwart und zur Vernachlässigung der Zukunft inne: „Bei Verteilungskonflikten (...) haben die nicht repräsentierten künftigen Generationen und die schwach repräsentierte junge Generation das Nachsehen.” (Bundestagsdrucksache 16/3399, 2) Lasten heutiger Entscheidungen würden auf morgen verschoben, wie an der Staatsverschuldung sichtbar werde, knappe Ressourcen würden ohne Rücksicht auf ihre spätere Verfügbarkeit verbraucht und Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung würden zu Gunsten von konsumtiven Ausgaben vernachlässigt. Durch diese drei folgenreichen Mechanismen würden die kommenden Generationen über Gebühr in ihrer Freiheit wie in ihren Entwicklungs- und Verwirklichungsmöglichkeiten beschnitten.

Konkret soll mit dem anvisierten Generationengerechtigkeitsgesetz ein neuer Artikel 20b mit folgendem Wortlaut in das Grundgesetz eingefügt werden: „Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen.” Mit diesem Staatsziel Generationengerechtigkeit soll der in Artikel 20a auf den Bereich der Umwelt konzentrierte Nachhaltigkeitsaspekt nunmehr auf allen Politikfeldern zum Tragen kommen. Darüber hinaus soll Artikel 109 GG um zwei weitere Erfordernisse erweitert werden. Der geänderte Absatz 2 würde dann lauten: „Bund und Länder haben bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, dem Prinzip der Nachhaltigkeit sowie den Interessen der künftigen Generationen Rechnung zu tragen.” (16/3399, 3) Als Begründung für beide Änderungswünsche nennen die Abgeordneten ebendiese Interessen kommender Generationen, die möglichst umfassend zu schützen seien (vgl. 5). Wohlgemerkt, hier wird auf die zu schützenden Interessen abgehoben. Obwohl es der im Gesetzestitel enthaltene Begriff der Gerechtigkeit nahelegt, von „Rechten” zu sprechen, wird dieser Terminus vermieden. Und dass, obwohl Gerechtigkeit doch nach der klassischen Definition des römischen Rechtslehrers Ulpian der feste und beständige Wille ist, jedem sein Recht zu geben. Zwar betont der Alternativantrag der Fraktion Die Linke „Soziale Gerechtigkeit statt Generationenkampf” vom 10. Oktober 2007 (16/6599) immerhin die Teilhaberechte aller Generationen, begründet dies aber ebenso wenig mit dem Gedanken, dass die kommenden Generationen Menschen- beziehungsweise Grundrechte haben werden, die heute schon unmittelbare Konsequenzen für politisches Handeln besitzen.

Am 11. Oktober 2007 kam es zur ersten parlamentarischen Beratung sowohl des Antrags der Linken wie des fraktionenübergreifenden Gesetzentwurfes. Letzterem gehe es darum, so Anna Lührmann von den Bündnis-Grünen, „die Interessen künftiger Generationen (...) in den Fokus der Politik zu stellen”. Sie sollen „mindestens die gleichen Lebenschancen haben wie wir, die heute leben”. Der Gesetzentwurf, so die Parlamentarierin weiter, ziele darauf, dass die künftigen Menschen „zu Rechtssubjekten gemacht werden”. Dieses Anliegen, so Michael Kauch von der FDP, unterscheide die Debatte von der über die Kinderrechte. Denn darin gehe es ja um Menschen, die „heute schon Grundrechtsträger sind”. Nach Auffassung der Abgeordneten, beide Unterstützer des Entwurfs, sind die Ungezeugten für die geltende Rechtsordnung also weder Rechtssubjekte noch Grundrechtsträger. Sie sollen aber so behandelt werden, als seien sie es bereits beziehungsweise als ginge von ihrem zukünftigen Status eine entsprechende Wirkung aus. Im parlamentarischen Prozess ist dazu das letzte Wort noch nicht gesprochen; die entscheidende Abstimmung steht noch aus. Vorerst liegen der Antrag wie der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung in den zuständigen Ausschüssen. Die Federführung liegt beim Rechtsausschuss.

Das von den Abgeordneten angesprochene, aber nicht gelöste Problem bringt der in Frankfurt am Main lehrende Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik auf den Punkt: „Lässt sich gehaltvoll davon sprechen, dass Menschen, von denen heute niemand wissen kann, ob sie überhaupt jemals existieren werden, Rechte haben?” Brumlik antwortet darauf mit einer rhetorischen Frage, die schon in die Richtung weist, in der eine Lösung zu suchen ist: „Wie soll andererseits eine langfristige Verantwortung für Natur und Gesellschaft gedacht werden, wenn den heute noch nicht bekannten, möglichen Menschen nicht mindestens ein schwacher moralischer Anspruch eingeräumt wird?” (Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Frankfurt 1997, 21f.). Das Gemeinsame Wort der Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit” von 1997 bleibt nicht bei einem schwachen Anspruch stehen, sondern spricht ausdrücklich von dem Recht der künftigen Generationen auf ein Leben in intakter Umwelt (Nr. 122). Dennoch liegen beide Positionen nicht allzu weit auseinander. Denn gesteht man kommenden Generationen zu, dass sie einen Anspruch auf ein bestimmtes Handeln Heutiger haben, dann haben sie auch ein Recht darauf. Denn ein Anspruch ist nichts anderes als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können (vgl. BGB § 194).

Was heißt universal in Bezug auf die Menschenrechte?

Auch auf der Ebene der Vereinten Nationen ist das Problem noch ungelöst. Allerdings heißt es in der einstimmig angenommenen Schlusserklärung der Wiener UN-Menschenrechts-Konferenz von 1993 an prominenter Stelle, dass der „universale” Charakter der Rechte und Freiheiten außer Frage stehe (Vienna Declaration 1993, Nr. I.1). Was aber heißt hier universal? Meint es nur „weltweit” und damit die räumlich entgrenzte Geltung (was schon viel wäre), oder ist es auch in der Bedeutung von „allgemein” in einem zeitübergreifenden Sinn zu verstehen? Nur die zweite Deutung und damit die „raumzeitliche Interpretation des Prinzips der Universalität” (Werner Veith, Intergenerationelle Gerechtigkeit, Stuttgart 2006, 155) ist angemessen, da ansonsten nicht von wirklicher Universalität gesprochen werden kann. Interessant ist, dass das Wiener Schlussdokument immerhin von Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen der zukünftigen Generationen ausgeht (vgl. Vienna Declaration 1993,Nr. I.11). Es schließt sich damit fast wörtlich dem Brundtland-Bericht von 1987 an, nach dem die Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse die Fähigkeit der zukünftigen Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährden dürfe (vgl. World Commission on Environment and Development, WCED, Our Common Future, Overview, Nr. 27). In beiden Dokumenten ist mit der Rede von den Bedürfnissen der kommenden Generationen bereits die Brücke zu der Frage geschlagen, ob diesen grundlegenden Bedürfnissen künftiger Menschen denn auch Rechte korrespondieren.

Die Auffassung, dass zukünftige Generationen Menschenrechte besitzen, stößt allerdings nach wie vor auf großen Widerspruch. Dagegen wird unter anderem eingewandt, dass Rechte nur habe, wer auch Pflichten übernehmen könne. Dem ist entgegenzuhalten, dass etwa in der deutschen Rechtsordnung selbst ungeborene Menschen schon Rechte haben (zum Beispiel das Recht auf Leben nach § 219 I StGB oder Erbrecht nach § 1923 II BGB), ohne dass dem irgendwelche Pflichten korrespondieren. Sind aber, so wird weiter gefragt, zukünftige Generationen nicht dadurch einseitig im Vorteil, dass sie nur Rechte gegenüber den Lebenden haben, während die Heutigen ihnen gegenüber nur Pflichten haben? Dem lässt sich mit dem Bochumer Ethiker Klaus Steigleder entgegenhalten, dass „zukünftige Menschen selbst wiederum in der gleichen Weise wie wir Pflichten gegenüber (von ihnen aus gesehen) zukünftigen Menschen haben, die in deren Rechten begründet sind” (Between Ordinary Politics and Politics for Future Generations, in: Shan Jigang u. a., Politics and Ethics, Peking 2006, 5). Und auch die gegenwärtigen Generationen hatten ja schon vor ihrer Existenz Rechte gegenüber den Vorfahren, die ihrerseits den damals noch nicht existenten Menschen gegenüber nur Pflichten hatten. Dies ist eine logische Konsequenz des weitestgehend anerkannten Konzepts der „phasenverschobenen Gerechtigkeit” (Otfried Höffe). Als weiteres Gegenargument ist zu hören, dass kommende Generationen keine Rechte haben könnten, da von Rechten nur dann die Rede sein könne, wenn es identifizierbare Interessen gäbe. Von solchen wiederum könne nur gesprochen werden, wenn identifizierbare Individuen existierten, denen zu schützende Interessen zugeordnet werden könnten. Richtig daran ist, dass uns bezogen auf die kommenden Generationen aufgrund fehlender Informationen über deren exakte Umstände, das heißt ihre konkrete Situation und die damit verbundenen spezifischen Bedürfnisse und Interessen, keine andere Wahl bleibt, als unsere mindestens grundlegenden gegenwärtigen Bedürfnisse und Interessen zu extrapolieren.

Man muss einen Anspruch nicht selbst erheben können

Worin aber könnte der Fehler eines solchen Vorgehens liegen? Ist es denn wirklich wahrscheinlich anzunehmen, dass sich die condition humaine so sehr ändert, dass es besser erscheinen könnte (für wen?), ihnen nicht wenigstens annähernd die gleichen basalen Bedürfnisse und Interessen wie den Heutigen zu unterstellen? Auch die im Detail unterschiedlichen Präferenzen der jetzt Lebenden führen ja nicht zu einer Abkehr von universalen Menschenrechten, etwa auf Leben oder leib-seelische Unversehrtheit. Schließlich handelt es sich um Rechte auf Grundgüter, welche die Bedingung der Möglichkeit (guten) menschlichen Lebens darstellen (transzendentale oder konditionale Güter). Zudem ist die universale Geltung grundlegender Rechte auch heute durchaus mit unterschiedlichen inhaltlichen Füllungen vereinbar, wie am Begriff des „soziokulturellen” Existenzminimums deutlich wird. Kann es vielleicht sein, dass es sich bei dem Gegenargument nur um den Versuch handelt, sich die Ansprüche künftigen Menschen „vom Leibe” zu halten?

Manche fordern nun, es sei notwendig, ein Bewusstsein der eigenen Rechte zu haben oder Rechte selbst einfordern zu können, um tatsächlich Trägerin oder Träger von Rechten zu sein. Dazu ist zu sagen, dass wir dies aus gutem Grund auch bei Lebenden nicht zur Voraussetzung machen. Denn sonst müssten Menschen im tiefen Koma oder mit schwerster geistiger Behinderung aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen werden. Wie will man (ganz abgesehen von der Inhumanität dieses Ansinnens) angesichts fließender Übergänge und nicht auszuschließender individueller oder medizinisch-technischer Entwicklungen eine Zäsur begründen, die einen Zustand mit Rechten von einem solchen ohne Rechte scheidet?

Zukünftige Rechte können durch Handlungen in der Gegenwart verletzt werden

Auch Neugeborene ließen sich als Gegenargument anführen, auch wenn diese – größtenteils – einmal das geforderte Bewusstsein haben werden und dies dann auch äußern können. Aktuell werden sie der vorgebrachten Bedingung nicht gerecht. Und trotzdem spricht ihnen (abgesehen von einigen wenigen, wie etwa Peter Singer) niemand den Status eines Rechtssubjektes ab. Man muss deshalb, auch darin ist Steigleder zuzustimmen, unterscheiden zwischen „einen Anspruch erheben” und „einen Anspruch haben”. Nur letzteres sei für Anspruchsrechte von Belang (4). Eine weitere Kritik geht dahin, dass es völlig ausreiche, von der Verantwortung oder von Pflichten der jetzt lebenden Generationen zu sprechen. Dies hätte den Vorteil, nicht die schwierige Konstruktion der Rechte Ungezeugter bemühen zu müssen. Der vorgeschlagene neue Artikel 20b GG geht mit dem Postulat einer staatlichen Schutzpflicht für die Interessen künftiger Generationen ganz offenbar diesen Weg. Dagegen spricht allerdings, dass die gegenwärtigen Generationen einen starken Anreiz haben, die genaue Definition ihrer Pflichten jeweils zu ihren Gunsten und zu Lasten künftiger Generationen auszulegen, so die in Washington lehrende Rechtswissenschaftlerin Edith Brown Weiss (Intergenerational Fairness and Rights of Future Generations, in: Generational Justice!, Nr. 3, 2002, 6). Rechte (der kommenden Generationen) bieten nach ihrer Auffassung einen höheren Schutz als Pflichten (der jetzt lebenden). Werden etwa die kommenden Menschen auch Inhaber der universalen Menschenrechte sein, so ist aufgrund des inzwischen erreichten Niveaus der juristischen Auslegungspraxis eine Umdeutung oder Abschwächung weniger leicht möglich.

In der Zukunft, so Steigleder, werden Menschen leben, „die Rechte haben werden und zwar die gleichen Rechte wie wir” (3f). Und diese Zukunft beginnt im jeweils nächsten Augenblick. Gegenwärtig werden in jeder Sekunde durchschnittlich 4,4 Kinder geboren und eine noch größere Zahl gezeugt (vgl. www.weltbevoelkerung.de). Die zukünftigen Rechte der Kommenden seien schon jetzt Ansprüche an alle Handlungsfähigen. Von ihnen hänge es ab, ob die zukünftig Lebenden über die allen Menschen zustehenden Voraussetzungen für eine handelnde Selbstentfaltung verfügen oder nicht. „Entsprechend erwächst uns aus den Rechten, die zukünftige Menschen haben werden, heute die Pflicht, diese Rechte zu achten und entsprechend zu handeln.” (4) Den Künftigen komme es zu, dass wir in all unserem Tun und Lassen heute „dem normativen Status, den sie besitzen werden”, Rechnung tragen. Die Position des Ethikers Steigleder deckt sich weitgehend mit der des Leipziger Rechtswissenschaftlers Herwig Unnerstall. Allerdings spricht Letzterer nicht von Rechten zukünftiger Generationen, wohl aber von „zukünftigen Rechten zukünftiger Individuen”. Aber auch diese Rechte hätten, und darin liegt die Übereinstimmung, „schon normative Konsequenzen in der Gegenwart; denn zukünftige Rechte können durch Handlungen in der Gegenwart verletzt werden” (Unnerstall, Rechte zukünftiger Generationen, Würzburg 1999, 450). Dies mahnte übrigens schon der Brundtland-Bericht an, als er feststellte, dass „die Folgen der gegenwärtigen Verschwendung die Optionen der kommenden Generationen in rasantem Tempo verringern” (WCED Our Common Future 1987, Overview, Nr. 26). Die Entscheidungen, die wir heute fällen, beeinflussen das Wohlergehen aller Menschen, die nach uns kommen, wie die Integrität und Stabilität des Planten, den sie erben werden (vgl. Brown Weiss, 1). In die gleiche Richtung weisen Äußerungen aus der katholischen Kirche Australiens. Die künftigen Generationen dürften nicht beraubt, ihnen dürften nicht Sonderlasten auferlegt werden, denn sie hätten einen Anspruch auf eine faire Verwaltung der Ressourcen der Erde durch die jetzt Lebenden (vgl. Catholic Earthcare Australia, Climate Change, 2005, 15).

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein ungewöhnlicher Justizfall, von dem der philippinische Rechtsanwalt Antonio Oposa berichtet. Am 20. März 1990 klagten 43 Kinder in ihrem Interesse und im Interesse der kommenden Generationen gegen die Regierung der Philippinen, um diese gerichtlich dazu zu veranlassen, zum Schutz des noch verbliebenen tropischen Regenwaldes des Landes alle bereits erteilten Holzeinschlag-Linzenzen zurückzuziehen. Der Fall gelangte vor den Obersten Gerichtshof, weil ein Gericht niederer Instanz ein Klagerecht der Kinder bestritten hatte. Die Kläger beziehungsweise ihr Anwalt Oposa beriefen sich auf folgenden Artikel der philippinischen Verfassung von 1987: „Der Staat schützt und fördert das Recht der Menschen auf eine ausgeglichene und gesunde Ökologie im Einklang mit dem Rhythmus und der Harmonie der Natur.” (Art. 2, Section 16) Im Juli 1993 traf das Gericht seine einmütige Entscheidung. Zunächst einmal stellte es fest, dass es durchaus möglich sei, dass die Kinder eine Sammelklage für sich, für andere ihrer Generation wie für die nachrückenden Generationen führten. Sie könnten sich, so der Supreme Court, mit Blick auf die kommenden Generationen dazu auf das Konzept intergenerationeller Verantwortung stützen, das einen gerechten Zugang zu den natürlichen Ressourcen sowohl für die gegenwärtigen als auch für die künftigen Generationen vorsehe. Eigentlich, so die obersten Richter, müsste dieses Grundrecht auf eine im Gleichgewicht befindliche und gesunde Umwelt noch nicht einmal in der Verfassung stehen, da es als von Beginn der Menschheit an existierend betrachtet werden könne. Dass es eigens in die Verfassung aufgenommen worden sei, habe seinen Grund in der berechtigten Sorge, dass, obschon dieses Recht durch die Verfassung selbst garantiert werde, der Tag nicht weit sei, an dem nicht nur für die gegenwärtige, sondern auch für die kommenden Generationen alles verloren sein würde – Generationen, die nichts als verwüstete Erde erbten, unfähig Leben zu erhalten, so die Richter. Obwohl es bei dieser Entscheidung zugunsten der Kinder nur um deren in Frage stehendes Klagerecht ging, zog das staatliche „Department of Environment and Natural Resources” der Philippinen noch während der Verhandlung vor dem obersten Gerichtshof alle erteilten Konzessionen zum Holzeinschlag in den Urwäldern des Landes zurück. 1992 wurde dann ein Gesetz verabschiedet, das die verbliebenen Urwälder als Teil des nationalen integrierten Schutzgebiete-Systems unter dauerhaften Schutz stellte – „zum Wohl der gegenwärtigen wie der nachrückenden Generationen” (Oposa, In Defence of Future Generations, in: Generational Justice! Nr. 3, 2002, 7).

Politische Entscheidungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf künftige Generationen prüfen

Der juristische Sieg der Kinder und ihres Anwaltes unterstreicht, dass es nicht genügt, wie die Kirchen in ihrem Gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialwort von 1997 zutreffend schreiben, „das Handeln an den Bedürfnissen von heute oder einer einzigen Legislaturperiode auszurichten, auch nicht allein an den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generation” (Nr. 1). Vielmehr gilt es, die Forderung von Brown Weiss einzulösen, dass alle wichtigen politischen Entscheidungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf künftige Generationen genau geprüft werden müssen (Brown Weiss, 6). Die Verankerung der Generationengerechtigkeit im deutschen Grundgesetz geht in diese Richtung. Aber ist ein weiteres Staatsziel im Grundgesetz wirklich mehr als bloße Verfassungsrhetorik, mehr als die Weckung von unerfüllbaren Erwartungen, die das Grundgesetz damit letztlich entwerten? Dagegen ist zu sagen, dass Staatsziele von ihrem rechtssystematischen Stellenwert her alles andere als „unverbindliche Absichtserklärungen” sind, als die sie etwa auch der CDU-Rechtspolitiker Michael Grosse-Brömer in der zitierten Plenardebatte diskreditiert hatte. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich umschriebener Ziele – vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen oder sonstigen Rechtsvorschriften” (BMJ/BMI [Hg.], Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen / Gesetzgebungsaufträge, Bonn 1983, 21). Der Einbau des Staatszieles Generationengerechtigkeit in das deutsche Grundgesetz ist somit ein erster wichtiger Schritt zur Verringerung der Zukunftsvergessenheit gegenwärtiger Politik, wie sie derzeit in besonders eklatanter Weise am anthropogenen, das heißt menschengemachten Klimawandel sichtbar wird, der schon jetzt, aber noch mehr in der Zukunft negative Auswirkungen zeitigen und insofern die kommenden Generationen aufgrund der aktuell vorherrschenden Produktionsund Konsummuster, vor allem der industrialisierten Länder, in erheblichem und unverantwortlichem Maße beeinträchtigen wird (vgl. Lienkamp, Die Ungerechtigkeit des Klimawandels, in: Amos international, Nr. 1, 2008, 3–9).

In diesem Sinne kann man den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Bundesrates nur dringend empfehlen, den berechtigten Ansprüchen der kommenden Generationen durch die Aufnahme des Staatsziels Generationengerechtigkeit in die Verfassung Rechnung zu tragen und so zum Abbau eines entscheidenden Strukturdefizits auch der deutschen Demokratie beizutragen.

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