Neue Synagogen in DeutschlandZwischen Zukunft und Vergangenheit

Sechzig Jahre nach der Shoa sind neue Synagogen in Deutschland wieder ein hochaktuelles Thema. Spektakuläre Neubauten finden Aufmerksamkeit. Es stellt sich aber auch die Frage, wie die nicht zerstörten Gebetshäuser in Dörfern und kleineren Städten heute zu nutzen sind.

Die jüdischen Gemeinden, noch Ende der achtziger Jahre vom Aussterben bedroht, sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Nach der Wende in Osteuropa wanderten in den vergangenen 10–15 Jahren vor allem aus den GUS-Staaten zahlreiche Jüdinnen und Juden nach Deutschland ein. Hiesige Gemeinden haben sich daher vielerorts stark vergrößert und stoßen mit ihren wenigen – in der Nachkriegszeit meist bescheiden oder gar nur provisorisch errichteten – Bauten zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. In zahlreichen Städten ist es daher notwendig, Vorhandenes zu erweitern, oft gänzlich Neues zu entwickeln. Hierbei sind in den letzten Jahren bereits eine ganze Reihe interessanter, teils spektakulärer Neubauten entstanden – etliche weitere sind zur Zeit im Bau oder in der Planung. Auf Zukunft hin werden sie einerseits weitere anstehende Projekte richtungsweisend beeinflussen, andererseits im Bauen der Religionsgemeinschaften in Deutschland insgesamt zunehmend Wegmarken setzen.

Eigenständige Formschöpfung in Dresden

In diesem Zusammenhang führt die historische Dimension zu grundlegenden, schwierigen Diskussionen: Architektinnen und Architekten ebenso wie jüdischen Gemeinden stellt sich immer wieder neu die Frage, ob und inwieweit heutiger Synagogenbau Bezüge zur Shoa aufnehmen und mahnenden Charakter haben muss. Die Antworten fallen keineswegs einheitlich, vielmehr äußerst gegensätzlich aus. Folglich zeigen die neuen Architekturen entweder exklusive Bescheidenheit und hohe Funktionalität oder eine zeichenhaft aufgeladene, dominante Expressivität.

Mit am stärksten beachtet und diskutiert wird derzeit die neue Synagoge der Architekten Wandel, Hoefer, Lorch + Hirsch (Saarbrücken/Frankfurt am Main) in Dresden, eingeweiht am 9. November 2001. Die große Resonanz erklärt sich zum einen durch ihre außergewöhnliche Architektursprache, zum anderen durch ihre städtebaulich höchst empfindliche Lage am Elbufer, inmitten des Dresdner Stadtkerns. So erhebt sie sich linkselbisch auf einem schmalen Grundstück östlich der Brühlschen Terrasse, zwei steinerne Kuben beherbergen hier Synagoge und Gemeindehaus.

Der Neubau für die derzeit knapp 400 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde wurde damit am gleichen Ort errichtet, an dem bis 1938 die Synagoge von Gottfried Semper stand. Versteht sich das neue Bauensemble bewusst als eigenständige Formschöpfung, zeigt es doch – auf den zweiten Blick – deutliche Hinweise auf den prominenten Vorgänger. Die Architekten wurden hierbei mit einem historisch vielschichtigen Grundstück konfrontiert, das einst wesentlich breiter ausfiel, durch Straßenausbauten in den sechziger Jahren allerdings stark beschnitten wurde. Zu dieser Zeit lag der historische Baugrund brach, nachdem der Vorgängerbau aus dem Jahre 1847 in der Reichspogromnacht vernichtet und nachfolgend vollständig abgetragen worden war. Einzig eine Stele der Nachkriegszeit in Form eines siebenarmigen Leuchters erinnerte in der Nähe an die einstige Nutzung des Geländes, das nun zum Abstandsgrün zwischen Autorampe und ehemaliger Befestigungsanlage verkam. Die kleine jüdische Nachkriegs-Gemeinde war unterdessen – „provisorisch“ – in eine ehemalige Totenhalle auf dem Friedhof Dresden-Johannstadt gezogen.

Mitte der neunziger Jahre wurde das alte Grundstück von der Stadt Dresden für einen Neubau an die jüdische Gemeinde rückübertragen. Die Architekten hatten dann das Grundsatzproblem des einschneidenden historischen Bruches: In Deutschland steht die Synagogenarchitektur nach der Shoa vor einer tabula rasa. Eine geradlinige formensprachliche wie inhaltliche Anknüpfung an das jüdische Bauen vor der Vernichtung verbietet sich allein schon durch diese geschichtliche Dimension. Eine direkte „Wiederaufnahme“ wäre zudem wenig sinnvoll, da sich für die „Synagoge“ weder je ein eindeutiger Bautyp noch je ein einschlägiger Formenkanon entwickelt hat. So suchten die Architekten der neuen Dresdner Synagoge, auf „architektonische Grunderfahrungen des Judentums“ zurückzugreifen: Tempel und Stiftszelt.

Ausdruck unfreiwilliger Wanderschaft

Der eigentliche Synagogenbau wurde auf quadratischem Grundriss erstellt, seine 26 Meter hohe, geschlossene Nordfassade zur Elbe hin ausgerichtet. Licht erreicht das Gebäudeinnere ausschließlich durch eine zentrale Öffnung im Dach. So verspricht das fensterlose Haus hinter kräftigen, aus hellem Betonwerkstein geschichteten Mauern Schutz und erinnert manche in seiner Massivität an den Jerusalemer Tempel. Dabei „drehen“ sich horizontale Mauer-Schichten aus ihrer vom Grundstück vorgegebenen Position schrittweise in die Höhe, bis sich die Oberkante des Synagogen-Kubus schließlich exakt den vier Himmelsrichtungen anpasst. Das Innere des Synagogenbaus wird durch ein goldschimmerndes Metallgewebe eingefasst, das an allen Raumseiten von der Decke gelassen wurde. Diese Gestaltungsform soll an das Stiftszelt erinnern, das den Juden nach der Vertreibung als tragbares „Gotteshaus“ diente und als Ausdruck ihrer ruhelosen, unfreiwilligen Wanderschaft verstanden wird. Neben schlichtem Holzmobiliar birgt der Innenraum an der Westwand eine Empore, die – in der liberalen Dresdner Gemeinde – allerdings nicht ausschließlich den Frauen vorbehalten ist. Das Vorlesepult wurde in den Gebetsraum hineingerückt, der Thoraschrein an der östlichen Wand platziert. Ein Eingang in der Südfassade erschließt das Gebäude vom weitläufigen Hof her. Über der Tür ist – in Hebräisch – zu lesen, was schon am Vorgängerbau geschrieben stand: „Dieses Haus werde genannt ein Haus der Andacht allen Völkern“. Auch wurde hier eine Spolie der alten Synagoge, ein Davidstern, eingefügt. Verlässt man den Synagogenbau, findet man sich zunächst im baumbestandenen Teil des Hofes. Südlich anschließend wurde der Grundriss der alten Synagoge durch einen Wechsel im Bodenbelag nachgezeichnet. An der Mauer, die das Gelände nach Osten zur vielbefahrenen Straße hin abgrenzt, sind Hinweise auf das Schicksal der Vorkriegsgemeinde zu lesen. Diese Mauer trifft an ihrem südlichen Ende auf den dreigeschossigen Gemeindehausbau, der sich zum Hof hin mit einer voll verglasten Fassade öffnet. Seine übrigen, mit Betonwerkstein verkleideten Seiten werden durch unregelmäßig angeordnete Fenster belebt.

Ebenfalls stadtbildprägend, jedoch in ganz anderen Architekturformen, präsentiert sich das neue jüdische Gemeindezentrum in Duisburg. Auch hier ist bereits im Mittelalter eine jüdische Gemeinde nachweisbar, die im Laufe ihrer Geschichte mancherlei Pogromen und Zuzugsverboten ausgesetzt war. Eigene Synagogen-Bauten wurden erst im 19. Jahrhundert möglich. Um 1930 zählte die Gemeinde über 3000 Mitglieder, nach Reichspogromnacht und Holocaust jedoch war sie in Duisburg und im benachbarten Mülheim an der Ruhr auf nur noch 83 Personen (Stand 1955) zusammengeschrumpft. Erst die Einwanderung jüdischer Russlanddeutscher nach 1989 ließ die Gemeinde wieder anwachsen, zu der nun auch noch die Nachbarstadt Oberhausen zählt. So gehören ihr mittlerweile über 2000 Menschen unterschiedlichster Welt- und Himmelsrichtungen an. Personen höchst unterschiedlicher kultureller und religiöser Einstellungen nutzen somit das 1997–99 auf einem Gelände am Duisburger Innenhafen neu gebaute Gemeindezentrum. Errichtet wurde der höchst ungewöhnliche Bau vom israelischen Architekten Zvi Hecker (Tel Aviv/Berlin). Fasziniert von geometrischen Strukturen plante dieser in Deutschland bereits so bedeutende Projekte wie die Heinz Galinski-Schule in Berlin (1990–96) oder das Erinnerungsmal für die Synagoge an der Berliner Lindenstraße (1996–97, mit Micha Ullman und Eyal Weizman).

Ebenso direkt wie bedeutungsoffen verwendet Hecker symbolisch aufgeladene und gleichzeitig geometrisch kontrollierte Formen. So beschäftigte ihn lange Zeit die Spirale, die schon bei der Schule in Berlin von der Figur eines aufgeschlagenen Buches überlagert wird. Dieses Bild liegt nun auch seinem Entwurf für das Gemeindezentrum in Duisburg zugrunde. Doch erinnert der Grundriss hier zugleich an einen Stern, eine Hand oder einen Fächer. Von einem fiktiven Punkt gehen fünfeinhalb „Strahlen“ aus, auf denen sich fünfeinhalb als Doppelscheiben ausgebildete Baukörper erheben, zwischen die wiederum verschiedenartig gestaltete Raumkörper eingestellt wurden. Im Aufriss entstand so ein in seiner Erscheinung nicht eindeutig festlegbarer Bau. Die fünfeinhalb Doppelscheiben aus Beton, die ihm seinen Halt geben, erinnern an offene Tore oder auch Portalkräne einstiger industrieller Vergangenheit an diesem Hafen-Ort. Mit den Faltungen seines Gebäudefächers bezieht sich Hecker zudem gewissermaßen auf Phasen deutschjüdischen Zusammenlebens in Duisburg: So soll die erste für die Ankunft der jüdischen Gemeinde stehen, die zweite für ihre Zusammenkünfte am Burgplatz, die dritte für den ersten ständigen Gebetsraum in der Universitätsstraße, die vierte für die 1938 zerstörte Synagoge und die fünfte, nach Osten geschwenkte, für den Neubeginn. Umrundet man den Bau und passiert die Folge der „Tore“, legt man von West nach Ost zugleich einen Weg vom „Profanen“ zum „Sakralen“ zurück, von der Hausmeisterwohnung zum Synagogenbau. Der Architekt hat dabei bewusst auf eine Hauptfassade verzichtet und eine eher nebensächlich wirkende Eingangssituation gewählt – aus seiner Sicht einer Diaspora-Gemeinde angemessen. So muss man sich von der Stadt kommend nach rechts halten. Den vorkragenden Gebäuderiegel mit der Hausmeisterwohnung unterquerend folgt ein kleiner Innenhof. Endlich stößt man zwischen der dritten und vierten Doppelscheibe auf die von einer wellblechverkleideten Gebäudebrücke überspannte Eingangshalle. Alle für die Gemeindearbeit notwendigen Räumlichkeiten finden sich dann in den Raumkörpern zwischen den fächerartig angeordneten Doppelscheiben. Das schwarze Dreiecksprisma, das sich an der Ostseite der Gesamtanlage durch die letzte Doppelscheibe drängt, beherbergt den Synagogenraum, ausgestattet mit einer traditionellen Frauenempore sowie einem transportablen Lesepult.

Auch in Kassel existiert bereits seit dem 14. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, deren 1839 in der Unteren Königsstraße erbaute Synagoge im November 1938 geplündert und nachfolgend zerstört wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten kaum Gemeinde-Mitglieder nach Kassel zurück – die meisten waren emigriert oder ermordet –, so dass die Gemeinde noch 1989 nur 80 Personen zählte. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas wuchs die Gemeinde durch einen starken Zustrom jüdischer Familien jedoch auf ihre heutige Größe von über 900 Personen an. Vor diesem Hintergrund plante man zunächst eine Erweiterung des 1961 errichteten, provisorischen Bethauses, entschloss sich aber 1995 zu einem kompletten Neubau. Dazu verpachtete die Stadt der Jüdischen Gemeinde auf 99 Jahre ein 610 Quadratmeter großes Teilstück des sehr viel größeren Geländes, auf dem einst die alte Synagoge gestanden war und das vor 1933 der Jüdischen Gemeinde gehört hatte. Mit dem Neubau wurde der Frankfurter Architekt Alfred Jacoby beauftragt, der zuvor bereits Synagogen-Neubauten entworfen hatte. Auf vergleichsweise kleiner Fläche setzte er 1998–2000 einen halb ins Gelände eingegrabenen, zweigeschossigen Bau um: Ein schlichter Sakralraum, geschützt und umrahmt von verschiedenen Gemeinschaftsräumen.

Weitere Synagogen sind geplant

Gestalterisch wechselt sich roher, verputzter oder in einem hellen Elfenbein gestrichener Beton ab mit einer warmen, rotbraunen Zedernholz-Verkleidung. Aus Sicherheitsgründen wird der Gesamtbau von einer Betonmauer umschlossen. Dennoch ist künstliches wie natürliches Licht ein entscheidendes Konstruktionselement. So verfügen die Räume für Verwaltung und elektronische Sicherung über eine waagerecht verlaufende, nach außen gerichtete Fensterreihe. Die übrigen Räume besitzen Oberlichter oder zum Innenhof ausgerichtete Fenster. Die Eingangshalle wird durch verglaste Eingangstüren sowie Fenster im Haupttreppenschacht mit Tageslicht versorgt, Garderobe und Bibliothek durch Lichtkuppeln, die ähnlich Schiffsschornsteinen aus dem Dach ragen. Das Herzstück des Komplexes bildet jedoch der eigentliche Synagogenraum, gestaltet in Form eines Würfels mit einer über Thoraschrein und Lesepult ansteigenden Kassettendecke. Seine Wände wurden mit Libanonzedernholz vertäfelt, schwarze Schieferfliesen auf dem Boden und schwarze Holzbänke mit schwarzen Lederkissen fangen das Licht auf, das sich wiederum im blauen Fensterglas der Apsiswand bricht. Gestaltet von Johannes Schreiter, behandeln die Buntglasscheiben das Thema „Fragment“: Ein sich wiederholendes blaues Muster auf weißen Quadraten wird von einer asymmetrischen, gezackten schwarzen Linie durchschnitten, auch erscheint ein Glaselement der Thoraschreintüren bewusst zerbrochen. Vom farbigen Glas hebt sich der Schrein mit reich geschmückten Thorarollen deutlich ab. Alle übrigen Räume dienen mehreren Funktionen. So verfügt der Mehrzwecksaal im Keller über einen Tanzboden und eine kleine Bühne, ist die koschere Küche vom Saal durch einen Flur getrennt, der bei Theater- und Konzertaufführungen auch als Garderobe verwendet wird. Und in einem Kellerraum versteckt ein Schrank eine Teeküche für Konferenzen und Sprachseminare. Dem Architekten gelang es auf diesem Wege fantasievoll, möglichst viel auf kleinem Raum unterzubringen und dabei zugleich verschiedenste Feuer-, Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften zu erfüllen.

Gleichzeitig mussten eine sparsame Gestaltung und Ausstattung nicht nur die Bau-, sondern auch die späteren Unterhaltungskosten auf eine Gemeinde mit sehr bescheidenem Finanzrahmen zuschneiden. Denn anders als vor 1933 sind in der heutigen jüdischen Gemeinde Kassels weder alle Generationen noch Bevölkerungsschichten vertreten. Statt dessen leben 40 Prozent ihrer Mitglieder von Sozialhilfe. Die einst gewachsenen Strukturen sind wie in anderen Städten Deutschlands zerstört.

Dorfsynagogen als Zeugen authentischen jüdischen Lebens

Die hier vorgestellten Synagogen-Neubauten stehen stellvertretend für eine Reihe weiterer, in den letzten Jahren entstandener wie derzeit entstehender oder noch geplanter Synagogen-Projekte in deutschen Städten. Nach nur wenigen größeren und bedeutsamen Nachkriegsneubauten wie in Stuttgart (1951/52, E. Guggenheimer), Düsseldorf (1956–58, H. Guttmann), Essen und Berlin-West (beide 1959, D. Knoblauch/H. Heise), Hannover (1961–63, H. Guttmann), Frankfurt am Main (1986, Gemeindezentrum, S. Korn/Architektengem. G. Balser) und Mannheim (1987, K. Schmucker) sowie etlichen bescheidenen, oft eher provisorischen Zweckbauten werden seit Ende der achtziger Jahre in deutschen Städten wieder repräsentative Synagogen geplant und gebaut. So errichtete Alfred Jacoby vor Kassel Synagogen-Neubauten für Darmstadt (1986), Heidelberg (1992), Aachen (1996), Offenbach (1998) und zuletzt Chemnitz (2002). Ebenfalls 2002 erhielt Wuppertal eine neue Synagoge, geplant von Hans Christoph Goedeking. Ein sehr großes Synagogenprojekt findet sich derzeit in München in der Umsetzung: Dort entsteht der erste große Nachkriegs-Synagogenbau an einem innerstädtischen bedeutsamen Platz einer Millionenstadt (Architekten Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch), der 2007 fertig werden soll. Hinsichtlich weiterer Planungen seien hier nur der ambitionierte Entwurf des Kölner Architekten Manuel Herz für Mainz oder der aktuell laufende Architektenwettbewerb für Bochum genannt.

Auch in mittleren und kleineren Städten entstehen inzwischen neue Synagogen. Mancherorts werden dafür bestehende Profanbauten umgenutzt, so in Bad Segeberg (Lohmühle), Bamberg (Nähseidenfabrik) oder Marburg, wo zur Zeit ein expressionistischer Versicherungsbau zur Synagoge umgestaltet wird. Die für Bielefeld geplante, angesichts der derzeitigen Diskussion um Erhalt und Nutzung der Kirchen ebenso interessante wie innovative Umnutzung der Georgenkirche zu einer Synagoge ist dagegen gescheitert. Bereits vor einigen Jahren wurde eine ehemalige Landsynagoge, die im hessischen Wohra als Lagerraum zweckentfremdet verfiel, nach Gießen umgesetzt und dort neu ausgebaut.

Geschichtliche Mahnung und künftige Perspektive

Neben den eindrucksvollen Neubauprojekten sind auch die zahlreichen ehemaligen Synagogen in Dörfern und Kleinstädten bedeutsam, die häufig 1938 tiefgreifend geschändet, aber nicht niedergebrannt und nachfolgend auch nicht kriegszerstört wurden. Ohne ihre einstigen Nutzerinnen und Nutzer wurden viele dieser wertvollen Bauten seither abgebrochen, anderweitig verwendet und bis zur Unkenntlichkeit verändert oder verfallen einfach. Darf man dieses historische Erbe einfach sich selbst überlassen? Erinnern nicht gerade diese Zeugen weit eindrücklicher und authentischer an einstiges jüdisches Leben als künstlich aufgeschichtete Mahn- und Gedenkstätten? Immerhin suchen inzwischen ermutigende Initiativen, das Erbe vor dem endgültigen Verfall zu bewahren und in seiner geschichtlichen Dimension künftigen Generationen sinngerichtet zu erschließen. So wird beispielsweise die Landsynagoge Roth bei Marburg seit ihrer Sanierung als Gedenk- und Begegnungsstätte genutzt.

Ähnliches wurde oder wird auch bei den ehemaligen Synagogen in Pfungstadt, Kalbach-Heubach und im mecklenburgischen Röbel umgesetzt. Die einstige Synagoge in Pulheim-Stommeln dient seit 1983 als städtisches Kulturzentrum und Raum für sehr ambitionierte Kunstprojekte. Und die Synagoge im thüringischen Mühlhausen wird seit ihrer Wiederherstellung 1998 als Gedenk- und Veranstaltungsort, in Obhut ihrer Eigentümerin, der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, gelegentlich aber auch als Gottesdienststätte genutzt. Weitere Aktivitäten zur Rettung fehl- oder ungenutzter Synagogen werden – so zum Beispiel im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim – von höchst aktiven Fördervereinen getragen, unterstützt und betrieben. Doch noch immer sind deutschlandweit zahlreiche Synagogen akut von Verfall wie Vergessen bedroht, bleibt es eine drängende Aufgabe, das Erbe des Judentums in Deutschland zu bewahren und neu zu erschließen, als geschichtliche Mahnung und künftige Perspektive, damit jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger ihre alten wie ihre ganz neuen Räume angstfrei und ohne Polizeischutz betreten, nutzen und in und mit ihnen jüdische Gemeinschaft offen und selbstbewusst gestalten können.

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