KommentarSolidarität

Anschläge auf jüdische Einrichtungen und wie man auf sie reagiert.

Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland sind (leider) nichts Neues, selbst wenn Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund statistisch allem Anschein nach zunehmen. Neu aber ist die Qualität dessen, was die jüngsten Vorgänge in verschiedenen deutschen Städten, und zwar in Ost wie in Westdeutschland, an Fragen und Befürchtungen, an Reaktionen und Deutungen auslösen. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, formulierte es so: „Was muss noch passieren, bis wir uns eines Tages die Frage stellen, ob es richtig war, in Deutschland wieder jüdische Gemeinden aufzubauen.“ Die verkürzende Wiedergabe in den Medien tat das Ihrige dazu, indem der Vordersatz unterschlagen wurde. Und so war sie denn in aller Munde, die Frage: „War es richtig, in Deutschland wieder jüdische Gemeinden aufzubauen?“

Die von Paul Spiegel formulierte Frage lediglich als rhetorische Frage zu verstehen, greift zu kurz. Auch der Verweis darauf, dass die Schäden sich in Grenzen hielten, ändert nichts. Der ideelle Schaden war größer als der materielle. Über die Häufung von Anschlägen von Buchenwald bis Düsseldorf konnte man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. So unvergleichlich die Zeiten zwischen 1933–45 und heute sind, so unvermeidlich ist wohl die durch Erinnerung frei gesetzte Frage „Sind wir wieder so weit?“ Der Bundeskanzler begab sich spontan nach Düsseldorf zur dortigen Synagoge, auf die ein Anschlag verübt worden war, und erntete mit diesem Zeichen lobende Worte nicht nur vom Zentralratsvorsitzenden. Schröder rief zu einem „Aufstand der Anständigen“ auf. 2130 Karlsruher Bürger finanzierten eine ganzseitige Anzeige in der örtlichen Tageszeitung (Badische Neueste Nachrichten, 11.10.2000) und brachten ihre „Bestürzung“ und ihr „solidarisches Mitgefühl“ zum Ausdruck.

Aber – und das gehörte auch zur besonderen Qualität der Diskussion dieser Tage – es hält sich die Frage, ob man nicht auch des unstrittig Guten zu viel tun kann. Wertet man die Aktionen von wirren Köpfen, Ewiggestrigen und Chaoten noch unnötig dadurch auf, dass man Resolutionen verabschiedet, Zeichen setzt, zum „Aufstand der Anständigen“ ruft? Die Karikaturisten der Frankfurter Allgemeinen (12.10.2000) witzelten über den Friseur „für die anständige Dame“ und die „anständige Metzgerei“, in der eine Kundin ein „anständiges Filetstück“ kaufen will. Ist das, was die Brandsatzleger in Frage stellen, nicht viel zu selbstverständlich, als dass man dafür eigens auf die Straße gehen muss? Manch einer widersprach daher auch der Ansicht, Juden säßen in Deutschland wieder auf gepackten Koffern. Und auch die Frage, ob es richtig war, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder jüdisches Leben in Deutschland aufzubauen, wurde zuweilen als unangebracht, weil übertrieben, bezeichnet. Tatsache ist und bleibt, dass die Anschläge auf jüdische Einrichtungen auf keine nennenswerte, auch noch so indirekte Unterstützung oder klammheimliche Zustimmung in der breiten Bevölkerung rechnen können. In Fragen von Einwanderung, Asylgewährung und Zuwanderung von Volksdeutschen ist dies durchaus anders. Jeder Vergleich mit dem gesellschaftlichen Klima der dreißiger Jahre gerät deshalb von vornherein auf Abwege.

Hinzu kommt, dass diese Probleme bekanntermaßen nicht nur auf Deutschland, von Ostdeutschland ganz zu schweigen, beschränkt sind. Der jüngste Anschlag auf eine Synagoge in Trappes bei Versailles (Frankreich) zeigt dies nur zu deutlich. Das gilt selbst dann, wenn man im Einzelnen zu unterscheiden hat zwischen den Themen, um die es konkret geht: hier die strittige Nahost-Politik Israels und dort Übrigbleibsel oder nachgeahmte Versatzstücke rassistischer Vorstellungen. Trotzdem würde man mit solchen Argumenten der besonderen Qualität der Empfindungen bei Juden, aber nicht nur bei ihnen, nicht gerecht. Der notwendigerweise emotionsgeladenen Frage „Ist es wieder so weit?“ begegnet man nicht durch den objektivierenden Hinweis auf die Unvergleichbarkeit der Verhältnisse. Wenn Brandsätze auf Synagogen fliegen, löst dies nun einmal in Deutschland Assoziationen und Erinnerungen aus, die sich niemand verbieten lässt. Wenn es anders wäre, wäre dies problematischer.

Vor allem aber machen die Solidaritätsaktionen eines deutlich: Von den Anschlägen fühlt sich beileibe nicht nur eine Minderheit hierzulande betroffen. Die unmittelbar Betroffenen sind nicht nur die Jüdischen Gemeinden. Unmittelbar betroffen sind alle. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Präsenz jüdischer Bevölkerung hierzulande in ihrer 50-jährigen Geschichte als einen Vertrauensbeweis gesehen. Sie hat in den vergangenen zehn Jahren den Zuzug von Juden aus Ost- und Mitteleuropa nicht als Teil allgemeiner Zuwanderung, sondern als etwas Besonderes betrachtet und damit nicht der allgemeinen Begrenzung unterworfen. Wer diese Präsenz in Frage stellt, stellt sich gegen das Ganze.

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