Mira Ungewitter: "Gott ist Feministin"Seelsorgerin als Safe Space

Die Theologin Mira Ungewitter schaut aus feministischer Perspektive auf Bibel, Christentum und Leben.

Mira Ungewitter ist die Pastorin der freien Baptistengemeinde in Wien – und vor allem eine liberale Theologin. Ihr Glaube bedeutet für sie Freiheit, sie versteht ihn als ein tägliches Abenteuer. Für Ungewitter schließen sich inbesondere Feminismus und Glaube nicht aus. Schließlich hat Gott alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht mit gleicher Würde und den gleichen Rechten geschaffen. Deshalb möchte Ungewitter dem patriarchalen System Kirche etwas entgegensetzen. „Ein Großteil meiner feministischen Überzeugungen wurde in meiner katholischen Schulzeit bereits gefördert“, sagt die ehemalige Schülerin einer katholischen Mädchenschule.

Grundsätzlich interpretiert Ungewitter Gott als geschlechtslos. Dennoch stellt sie die provokante Frage: Ist Gott Feministin? In ihrem Buch begibt sie sich auf die Suche nach Frauen in der Bibel, „die die Idee dieser Facette Gottes stützen können“. So stellt sich Gott etwa im biblischen Kontext auch mit weiblichen Zügen vor (Jesaja 66,13: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“). In diesem Sinne befragt Ungewitter die Schrift, die für sie zum Kompass geworden ist: „Als Theologin begreife ich die Bibel auch als einen Schatz, der Menschen weltweit durch Jahrtausende hindurch verbindet.“

Ungewitter beschreibt etwa Maria als selbstbewusste, junge Frau. Die Geschichte um Jesu Geburt ist für sie daher auch kein kitschig-romantisches Wintermärchen: „Schaut man sich die biblische Geschichte im Evangelium nach Lukas genauer an, ist die sogenannte Ankündigung der Geburt Jesu genau das: eine für Maria unerwartete, ungeplante und eigentlich unmögliche Schwangerschaft. Maria hat damit weder gerechnet noch hat sie geplant, schwanger zu werden.“ Doch sie reagiert souverän. „Die junge Maria überzeugt durch ihre mutige Zustimmung und ihr Gottvertrauen.“ Gleichzeitig schont Maria sich nicht. Während ihrer Schwangerschaft reist sie nicht nur in den Heimatort ihres Verlobten. Schon vorher bricht sie auf, allein, auf den 150 Kilometer langen Fußweg zu Elisabeth. Maria durchstreift die Jerusalemer Hügel und Berge. „Ich stelle mir vor, wie sie auf ihre Füße schaut. Die sie Schritt für Schritt in ein neues Leben hineintragen. Ein Leben ganz anders als geplant.“

Ihre frischen und durchdachten exegetischen Ausführungen verbindet die gebürtige Kölnerin im Plauderton mit eigenen Erfahrungen von Höhen und Tiefen ihres Lebens, über die sie offen schreibt. Dabei gewährt sie sehr persönliche Einblicke: Sie erzählt Anekdoten aus ihrer Kindheit, fasst selbst den ersten Besuch beim Frauenarzt zusammen. Ungewitter teilt Momente des Kummers und Schmerzes, wenn sie von ihrer Mutter erzählt, die verstarb, als die Tochter gerade an ihrem jüngsten Buch über Christentum und Feminismus arbeitete.

Die Autorin, die bereits mehrere Bücher veröffentlicht hat, setzt sich in dem Band provokant, emotional, aber auch nachdenklich und gewissenhaft mit theologisch-biblischen Themen auseinander. An Homosexualität, Jungfrauengeburt und anderen „Tabus“ arbeitet sie sich ebenso ab wie an der Frage des Schwangerschaftsabbruchs. Als sie sich zum letztgenannten Thema vor einiger Zeit in der Wiener Zeitung äußerte, löste sie eine Welle der Empörung aus, weil sie anders als die offizielle kirchliche Lehre Abtreibungen nicht unter allen Umständen ablehnt. „Dass ausgerechnet eine junge Pastorin es öffentlich wagt, differenziert über Abbrüche zu sprechen ..., ist für einige Glaubensgeschwister der größtmögliche Affront. Zumal für manche schon die Tatsache, dass ich als Frau das Amt bekleide, schwer auszuhalten ist“, schreibt Ungewitter.

Dass sie mit ihrer Auffassung polarisiert, ist der Theologin bewusst. Deshalb ist es ihr ein Anliegen, zu betonen: „Ich möchte für das Selbstbestimmungsrecht der Frau sein, und zugleich finde ich den Gedanken schmerzhaft, dass ein gesamtgesellschaftlicher Druck entsteht, dass nur ein nicht behindertes Leben lebenswert ist.“Auch solche Gespräche sind für die Pastorin Teil ihres seelsorgerischen Auftrags. Oder um es mit ihren Worten zu sagen: „Die Seelsorgerin muss ein menschlicher Safe Space sein.“


MIRA UNGEWITTER
GOTT IST FEMINISTIN
Mein Leben mit Eva, Maria und Lady Gaga
Herder Verlag, Freiburg 2023, 190 Seiten, 18 €
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