„Aidspfarrer“ CeelenWeiter bis zur Zielgeraden

Als „Aidspfarrer“ und Gefängnisseelsorger hat Petrus Ceelen Nächstenliebe konkret werden lassen. Jetzt ist er 80 geworden – und blickt auf sein Leben.

Ich war in Mathe immer schlecht und habe schon x-Mal nachgerechnet, ob ich tatsächlich 80 geworden bin. Achtzig. Das ist zwei mal vierzig. Mein 40. Geburtstag ist mir damals voll in die Knochen gefahren. Ich war richtig niedergeschlagen. Auch der Spruch „Ab 40 wird der Schwab gescheit“ vermochte mich nicht zu trösten.

Ich wurde 41, 42, 43… Die Vier vorne störte mich kaum noch, bis dann die Jahre 48, 49 kamen und die 50 immer näher rückte. 50 Jahre! Ich dachte, ich überlebe den Tag nicht. Als Immanuel Kant vor gut 200 Jahren fünfzig wurde, lautete die Anrede beim Festakt: „Sehr geehrter Greis!“ Heute sehen die 50-Jährigen aus wie vierzig. Sechzig ist das neue Fünfzig.

Man ist so alt, wie man sich fühlt, heißt es. Das bedeutet: Wir fühlen uns jünger als unser Alter. Deshalb sind wir alle älter, als wir uns fühlen. Geht‘s Euch auch so? Ich möchte manchmal die Zeit anhalten. Aber die Uhr tickt gnadenlos. Die Jahre kommen und gehen.

Nach 59 kommt 60. Ab da kommst du in den Genuss eines Seniorentellers. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an... Ja, ich war auch einmal 66, 67. Das geht ja noch, die Sieben hinten. Aber wenn die Sieben vorne steht und du 70 bist, hat die Haustür eine ganz andere Nummer. Unser damals siebenjähriger Enkel schrieb meiner Frau zu ihrem Siebzigsten: „Oma, ich freue mich für dich, dass du noch lebst.“

Als ich dreißig war, vierzig, selbst fünfzig – da war siebzig alt. Und als ich früher hörte, dass der/die Verstorbene schon über siebzig war, dachte ich: „Na ja, da darf man gehen.“ Mit den Jahren hat sich meine Deadline deutlich verschoben.

Nun also 80. „Das ist noch nicht alt“, höre ich meine Mutter selig sagen. Als ich sie mit 98 fragte, warum sie nicht zum Seniorennachmittag geht, sagte sie mir: „Ach Junge, das ist etwas für alte Leute.“ Ich frage mich: Wann fängt das Alter an? Wann fangen wir eigentlich an, alt zu werden? Ab fünfzig, sechzig, siebzig? Und auch zum 80. trauen einige sich noch, mir zu sagen: „Das ist doch noch kein Alter.“ Wir reden das Alter schön. Teenie-Spätlese. Graue Panther. Alt klingt wie ein Schimpfwort. Altes Eisen. Statt alt sagen wir älter. Dabei ist älter die Steigerung von alt.

Im Rückblick kommt mir mein Leben vor wie ein großes Puzzle. Ich sehe, wie gut manches gepasst hat. Auch das, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Jeder Tag ist ein Stückchen im Puzzle unseres Lebens. Immer wieder herausfinden, wie eins ins andere passt. Manches ergibt sich mit den Jahren von selbst. Allmählich fügen sich die Teile zu einem Ganzen zusammen.

Es geht darum, die Zusammenhänge im Leben zu erkennen. Wenn wir unser Leben als Ganzes betrachten, werden Linien sichtbar, vielleicht sehen wir sogar den roten Faden. Im Nachhinein erkennen wir, wozu manches gut war und wie das Schlechte auch sein Gutes hatte. Und auch die sogenannten Zufälle geben uns zu denken. „Was hat das zu bedeuten?“, fragen wir uns und suchen zu deuten. Wir alle brauchen einen Sinn im Leben. „Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, eine aufgeräumte Wohnung zu hinterlassen“, sagt Elke Heidenreich, die auch schon achtzig ist.

Für mich kann ich sagen: Da sein für die Menschen, die mich brauchen, das ergibt Sinn. Anderen zu helfen, das hat mein Leben sinnvoll gemacht. Dabei war ich nicht nur der Gebende. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, mehr zurückbekommen als gegeben zu haben. Und die Menschen mit leeren Händen haben mir am meisten gegeben.

Der Geburtstag ist ein guter Tag, um Danke zu sagen. Meinem Schutzengel habe ich zu danken, der stets zur Stelle war. Ein herzliches Danke an meine Pumpe, die all die Jahre mindestens 100000 Mal am Tag geschlagen hat, ohne auch nur ein einziges Mal eine Pause einzulegen. Ein dickes Danke meinem Darm, diesem dünnen Schlauch, der schon einiges transportiert hat, ohne schlapp zu machen... Meinen Füßen ist zu danken, dass sie mich bis hierhin getragen haben. Und so gehe ich meinen Weg weiter bis zur Zielgeraden, wo ich nur noch Danke sagen kann.

Unser aller Leben hat ein Ende. Das Bewusstsein unserer Endlichkeit lehrt uns, endlich zu leben. Heute ist der Tag. Jetzt der Moment, diesen Augenblick zu erleben. „Herr, lehre uns unsere Tage zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen“ (Ps 90,12). Die Bibel sagt hochbetagt, nicht hochbejahrt. Wir zählen die Jahre, feiern meist nur die runden Geburtstage. Jeder Tag zählt, jeder Tag ist ein Geschenk. Wenn uns bewusst ist, dass auch unsere Tage gezählt sind, leben wir anders, bewusster, intensiver und sind dankbar für jeden Tag, an dem wir morgens aufstehen können.

Ja, so ist es. Eines Tages werden wir sterben, an allen anderen nicht. Das Leben lebt vom Leben, Lieben, Leiden, Lachen. Das tue ich, voll und ganz. Ich bin froh und dankbar, dass ich mein Leben bis zuletzt leben kann und noch so viel Schönes erleben darf.

Wir alle sind Menschenkinder, Kinder von Menschen, die selbst einst Babys waren. Unsere Eltern waren einmal jung, haben sich nach und nach auch mit ihrem Alter arrangiert, so wie wir es auch tun.

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