Theologie im Zeichen der AufklärungWeitergraben

Die Kritik des neuen Glaubenspräfekten an der akademischen Theologie in Deutschland verkennt ihr hohes Niveau.

Selbstverständlich ist ein frisch eingesetzter Präfekt des Glaubensdikasteriums in Rom ein beliebter Interview-Partner. Nur, ob immer informiert ist, was der Jesuit Víctor Manuel Fernández und Ghostwriter von Papst Franziskus von sich gibt, ist eine andere Frage. In einem Interview hat er Deutschland nun zum Neuevangelisierungsland erklärt, die Kirche hierzulande habe ernsthafte Probleme. Auch habe sie keine Theologen vom Format früherer Zeiten mehr. Dass die katholische Kirche in Deutschland in Schwierigkeiten steckt, dürfte kaum jemand bestreiten. Doch könnten die Prozesse anders gelaufen sein, als der aus Argentinien stammende Präfekt dies meint.

Es sei schlicht Bequemlichkeit, nicht selbst denken zu wollen. So liest es sich beim Erzaufklärer Immanuel Kant. Ist der offizielle, lehramtlich vertretene Katholizismus also eine Religion der Bequemlichkeit, weil hier ein Papst sagt, was zu denken und zu glauben ist?

Nun wusste selbstverständlich auch Kant, dass bei allem Selbstaufklärungswillen die menschliche Vernunft irrtumsanfällig ist. Sei es deshalb, weil die Welt nun einmal reichlich kompliziert ist. Sei es deshalb, weil die Vernunft sich gerne überhebt. Dies entlastet sie aber nicht davon, das Geschäft ständigen kritischen Nachfragens weiterzubetreiben. Schließlich könnten vergangene Generationen, deren Gedankenwelten bis heute wirken, sich getäuscht haben.

Was für eine Theologie Fernández meint, die einstmals Format gehabt habe, präzisiert er nicht. Zustimmen wird man ihm darin müssen, dass eine auf Aufklärung setzende akademische Theologie immer weniger rezipiert wird. Sie ist in den Abwärtssog geraten, in dem die Kirche hierzulande seit Jahrzehnten steckt. Meistenteils übernommen wurde die Antizeitgeistrhetorik Joseph Ratzingers/Benedikts XVI., der zwar immer wieder betonte, Glaube und Vernunft dürften nicht auseinanderbrechen, am Ende aber die Vernunft derer im Blick hatte, die meinten, die Vernunft müsse sich nach dem Sündenfall erst taufen lassen, um wieder ins Reich der ewigen Wahrheit zurückfinden zu können.

Global betrachtet gibt es nicht „die Theologie“. Nicht die christliche, auch nicht die katholische. In Deutschland war sie in den letzten Jahrzehnten ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt als in anderen Zusammenhängen. Weil sie sich im staatlichen Universitätssystem bewegte, eine Besonderheit weltweit betrachtet, musste sie sich auch den Fragen und vor allem Methodiken von Forschung aussetzen. Und das war enorm produktiv. So lernte man verstehen, warum ein Papst Gregor der Große die Sklaverei genauso akzeptierte wie ein Thomas von Aquin. Und ebenso wagte man die Verurteilung grundlegender Menschenrechte durch Päpste des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts deshalb scharf zu kritisieren, weil man in die Schule einer modernen Moralphilosophie gegangen war. Derartige Einsichten haben die Theologie in Deutschland in weiten Teilen geprägt. Und wenn man sich Debatten und Beschlüsse des Synodalen Wegs anschaut, so wird man schlicht feststellen dürfen: Sie hat ihre Wirksamkeit erzielt.

Hat sich Kant durchgesetzt? Ist er mit seiner maulwurfsartigen Vernunft, die immer weitergräbt, unermüdlich das Licht suchend, der heimliche Papst des deutschen Katholizismus geworden? Und wäre das so verkehrt? Anstatt die deutsche Theologie kleinzureden, sollte der neue Glaubenspräfekt sie erst einmal wahrnehmen.

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