KriegsethikGewissensprüfung

Plötzlich ist der Krieg sehr nah – und mit ihm moralische Fragen, mit denen sich die junge Generation nie beschäftigen musste. Eine ARD-Dokumentation macht sich auf die Suche nach Antworten.

Wären Sie bereit, die Demokratie mit Waffengewalt zu verteidigen?“ Es ist keine einfache Frage, mit der Reporter Philipp Engel die Passanten überfällt. Für einen Moment herrscht erschrockenes Schweigen – und dann entwickeln sich doch interessante Debatten. Es sind Gespräche, wie sie gerade wohl in vielen Familien, unter Freunden und Arbeitskollegen geführt werden. Waren wir zu naiv in all den Jahrzehnten, in denen Frieden selbstverständlich war und die Bundeswehr bei vielen als ein Relikt vergangener Zeiten galt, gerade gut genug, um in Hochwassergebieten auszuhelfen? Jetzt sind auf einmal 100 Milliarden Euro fürs Militär zur Hand, und zwei Drittel der Deutschen sprechen sich für mehr Aufrüstung aus. Aber aus der Sicherheit eines friedlichen Landes heraus für einen größeren Wehr- etat zu stimmen, ist etwas ganz anderes, als sich zu fragen, wie man im Fall der Fälle selbst handeln würde. Und die ARD- Dokumentation macht schon mit ihrem Titel klar, dass es hier um eine sehr persönliche Frage geht: „Würde ich töten für Frieden und Freiheit?“

Ringen mit dem Pazifismus

Auf seiner Reise durch Deutschland bekommt Reporter Engel verschiedenste Antworten auf diese große Frage. Er trifft auf einen jungen Mann, der für Militärisches bisher keinen Platz in seiner Lebensplanung hatte. „Das ist nicht meine Verantwortung“, ist er überzeugt. „Dafür gibt es ja Berufssoldaten, Leute, die sich das als Beruf aussuchen. Es gibt ja viele, denen das Spaß macht.“ Eine Frau mittleren Alters, die mit Wollmütze und dickem Schal in der Innenstadt steht, kann sich dagegen gut vorstellen, selbst Molotowcocktails zu basteln, wenn es darum ginge, das Land zu verteidigen. Eine Studentin meint nachdenklich, dass sie für Europa in den Krieg ziehen würde. „Für Deutschland eher nicht.“ Und ein älterer Herr erinnert sich an seine eigene Zeit bei der Bundeswehr. Er wäre sofort bereit, sein Land zu verteidigen, auch wenn er im Moment lieber auf Profis vertraut, um den Krieg zu beenden. „Es gibt Spezialeinheiten“, meint er verschwörerisch. „Ich frage mich, wo die Scharfschützen sind. Eine Kugel reicht doch.“ Im Film bleiben all diese Meinungen weitgehend unkommentiert nebeneinander stehen. Der Reporter ringt selbst mit seinem Pazifismus, steht noch am Anfang der Recherche – und ist zum Beispiel sehr überrascht, als er erfährt, dass er auch lange nach dem klassischen Grundausbildungsalter zur Verteidigung des Landes eingezogen werden könnte.

Haben die Kirchen Antworten?

Klare Antworten erwartet sich das Filmteam dagegen von der Kirche. Vielleicht ist das eine der wichtigen Erkenntnisse der Dokumentation: Auch Menschen, die im Alltag kaum Berührungspunkte mit dem Glauben haben, vertrauen auf die moralische Autorität der Religion, wenn es um Krieg und Frieden geht. Engel ist bei einem gut besuchten Friedensgottesdienst im Mainzer Dom. „Auch viele junge Menschen hier“, bemerkt er überrascht. Bischof Peter Kohlgraf wundert sich nicht über die Besucherzahlen. „Ich glaube, dass aktuell eine Situation ist, in der vielen Menschen die Sprache fehlt, und ich glaube, dass das Gebet eine sehr gute Sprache ist,“ erklärt er dem Reporter. Immerhin ist die Bibel nicht nur ein Buch der Fürbitten, sondern auch voller Klagetexte. „Das Gebet gibt den Leidenden im Krieg eine Stimme.“

Auch der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche, Bischof Friedrich Kramer, erinnert an die pazifistische Botschaft der Bibel. Die aktuelle politische Entwicklung ist für ihn ein Irrweg. „Was wir in den letzten Jahrzehnten gelernt haben, dass Abrüstung und verstrauensstiftende Maßnahmen Frieden schaffen, das dürfen wir nicht über Bord werfen“, ist er überzeugt. Und als Engel ganz konkret nach dem Verhalten in Kriegszeiten fragt, erzählt Kramer von seiner Zeit als Kriegsdienstverweigerer. „Ich bin bereit für Demokratie und Freiheit zu sterben, aber ich bin nicht bereit, dafür zu töten.“ Ein radikaler Pazifismus, dem sich nicht alle Christen anschließen würden. „So genau nimmt man das mit der Religion dann ja auch nicht“, meint ein junger Mann mit Kreuzanhänger, der gerade aus dem Mainzer Friedensgottesdienst kommt. Was er selbst im Fall der Fälle tun würde, weiß er aber auch nicht ganz genau. Die Frage bleibt letztendlich offen, klingt im Zuschauer nach. Und gerade das macht die Dokumentation sehenswert.

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