Religiöse Rhetorik in den USAPolitisch, nicht heilig

In „God’s own country“ umgab sich die Politik von Anfang an gern mit dem Glanz spiritueller Symbolik und bediente sich dabei verschiedenster religiöser Traditionen.

In wenigen Tagen, am 20. Januar, wird Joe Biden als neuer amerikanischer Präsident vereidigt und – für viele wichtiger – Donald Trump aus dem Weißen Haus verdrängt. Selten wurde eine Amtsübergabe so sehnlich erwartet. Selten tat ein Amtsinhaber so viel, um auf den letzten Metern jeden guten Willen, der ihm nach vier Jahren des politischen Chaos noch geblieben war, zu verspielen. Dass eine Meute fanatischer Trump-Anhänger das Kapitol stürmte, um die Bestätigung des Wahlergebnisses zu verhindern, ist nur der letzte Schritt in einer Reihe von politischen Ungeheuerlichkeiten. Die Worte, die Biden in einer Fernsehansprache am Abend der Ausschreitungen fand, lassen aufhorchen. Der neu gewählte Präsident beschwor Amerika als „Leuchtfeuer des Lichts und der Hoffnung auf Demokratie“. Die Wahlbestätigung sei ein „heiliges Ritual“. Rhetorik, die eher an eine Sonntagspredigt als an eine politische Ansprache erinnert.

Diese religiöse Überhöhung hat lange Tradition im christlichen Amerika. In „God’s own country“ umgab sich die Politik von Anfang an gern mit dem Glanz spiritueller Symbolik und bediente sich dabei verschiedenster religiöser Traditionen (siehe Bild). Und die Medien spielen dieses Spiel mit, inzwischen auch hierzulande. Als das Kapitol gestürmt wurde, sprach die „Süddeutsche“ von einem Angriff auf ein „Heiligtum der Demokratie“. Für die „Frankfurter Allgemeine“ war gar das „amerikanische Allerheiligste“ in Gefahr. Und die „Welt“ vermeldete – wohl nur leicht ironisch – eine Invasion von „Trumps Dämonen“ auf dem „heiligen Boden einer Gott befohlenen Demokratie“.

Menschlich ist dieses Abgleiten in religiöse Sphären auf der Suche nach immer neuen Superlativen nachvollziehbar, hilfreich ist es nicht. Die Entwicklungen sind schlimm genug, ohne dass wir sie mythisch aufladen und damit Verschwörungsgläubigen in die Karten spielen, die die Welt ohnehin schon als Schlachtfeld zwischen Gut und Böse sehen. Zumal diese Überhöhung auch immer zu Bequemlichkeit einlädt. Wer die Demokratie als Geschenk des Himmels sieht, kann leicht vergessen, dass es an Menschen hängt, ob sie funktioniert. Der Kongress ist eben kein Allerheiligstes, kein mystisches Leuchtfeuer des Guten, sondern ein Gebäude, in dem Menschen Gesetze entwickeln, Entscheidungen treffen, auf die Toilette gehen. Und Donald Trump – so sehr er sich in der Rolle des Aufstachlers gefällt – ist kein Antichrist, der mit einer Dämonenarmee Amerika übernimmt. In wenigen Tagen wird er nur noch ein wütender alter Mann mit Internetzugang sein.

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