Der Heilige Antonius - der WüstenvaterAntonius als Klimaheiliger?

Vom Hochleistungsasketen zum Fürsprecher in schwerer Krankheit: Das Bild des Wüstenvaters Antonius – sein Gedenktag ist der 17. Januar – hat sich gewandelt.

Wahrscheinlich wurde Antonius in der Mitte des 3. Jahrhunderts als Sohn reicher Bauern in Mittelägypten geboren. Als seine Eltern gestorben waren, hörte er im Alter von etwa zwanzig Jahren im Gottesdienst jenes Bibelwort, das Jesus laut Matthäus-Evangelium (19,21) dem reichen jungen Mann mit auf den Weg gibt: „Wenn du vollkommen sein willst, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen. Dann komm und folge mir nach.“ Antonius ließ sich davon persönlich ansprechen. Er lebte fortan als Eremit, zuerst in Dorfnähe, später für Jahrzehnte in der arabischen Wüste, bevor er um das Jahr 356 starb. Über diese wenigen Angaben hinaus überliefert der Kirchenlehrer Athanasius von Alexandrien (gestorben 373) in seiner legendarischen Biographie des Heiligen neben manch vollbrachtem Wunder vor allem zahlreiche Versuchungen, etwa dass ihm der Teufel in Gestalt mehrerer schöner Frauen erschien. Doch der Wüstenvater widerstand.

Noch über Jahrhunderte hinweg löste Antonius aufgrund seiner Glaubenstreue als „hochleistungsasketische“ Ausnahmegestalt ein Echo besonders unter den verzichtsorientierten Mönchen im Osten aus. Ab dem 13. Jahrhundert begann dann auch im Abendland ein fulminanter Anstieg seiner Verehrung in der breiten Bevölkerung. Dies hing mit der „Kleinen Eiszeit“ zusammen, also der ab 1300 einsetzenden Kälteperiode in unseren Breiten. Dabei froren selbst große Gewässer (Bodensee, Rhein, Ostsee) häufiger zu. Zugleich ging mit den klimatischen Veränderungen auch eine drastische Zunahme des sogenannten Mutterkornpilzes beim Getreide einher. Wenn die Menschen Brot aßen, das aus dem verseuchten Korn gebacken war, kam es zu Krämpfen und Durchblutungsstörungen, die schwerste Schmerzen und sogar das Absterben der betroffenen Gliedmaßen zur Folge hatten. Im schlimmsten Fall führten die Vergiftungen zum Tod. Weil die Menschen – bildlich gesprochen – den Eindruck hatten, dass sie von innen her verbrannten, nannten sie die Krankheit „Heiliges Feuer“. Zugleich brachten sie damit zum Ausdruck, dass sie die Krankheit als eine Strafe Gottes für sündiges Handeln deuteten.

Strafender und Heilender

Für das Mittelalter mit seiner starken Heiligenverehrung hieß das: Wer dem Schutzpatron seiner Region das Gebet verweigerte, bekam den Zorn dieses Heiligen in Gestalt des „Heiligen Feuers“ zu spüren. Ursprünglich waren es zahlreiche Heilige, die als „strafende Verursacher“ wie als „belohnende Heiler“ dieser Erkrankung galten. Doch in dem Maße, wie Antonius immer beliebter wurde, schrieb man ihm zunehmend allein die Verursachung, vor allem aber dann die Heilung von der schweren Erkrankung zu. In der Folge sprach man im Spätmittelalter vom „Feuer des heiligen Antonius“, vom „Antoniusfeuer“ oder – seltener – von „Sankt-Anthonis-Rache“.

Ein Zentrum der Antonius-Verehrung wurde Motte-aux-Bois, das später Saint-Antoine genannt wurde und im Südosten Frankreichs zwischen Rhone und italienischer Grenze liegt. Das hatte maßgeblich zwei Gründe: Zum einen lag Saint-Antoine am Jakobsweg, so dass viele Menschen auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela dort vorbeikamen und die Reliquien des Heiligen, die auf unbekannten Wegen dorthin gekommen waren, aufsuchten. Zum anderen erwarb sich die in Saint-Antoine angesiedelte geistliche Gemeinschaft einen ausgezeichneten Ruf in der Krankenpflege. Dies mag auch daran gelegen haben, dass die an Mutterkornvergiftung leidenden Menschen im Hospiz gesundes Brot zu essen bekamen und der Vergiftungsprozess im Körper der Kranken so zum Stillstand kam. Außerhalb des Hospitals erhielten die Kranken meist weiter Brot, das bereits ihre Erkrankung verursacht hatte, so dass sich das Leiden in der Folge kontinuierlich verschlimmerte. Schlussendlich waren die Antoniter-Brüder im 14. Jahrhundert sowohl in der Krankenpflege als auch beim „Fundraising“ derart erfolgreich, dass man der Gemeinschaft als erster die Krankenpflege an der Päpstlichen Kurie anvertraute.

Im Spätmittelalter gingen die Anhänger des Antonius von der Gegenwart „ihres“ Heiligen im Alltag aus. Das ihm zugeschriebene geistliche und irdische Orientierungspotential erschien ihnen umso hilfreicher, als sie die Gesellschaft nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Internationalisierung als unübersichtlich sowie ihr Leben aufgrund der Klimakrise mit ihren Folgen als bedroht erfuhren.

In dem Maße, wie Antonius und „seine“ Gemeinschaft als verlässlicher geistlicher Kompass wahrgenommen wurden, schufen die Menschen zahlreiche Bildwerke des Heiligen, allen voran die Darstellungen auf dem Isenheimer Altar in Colmar, das Hauptwerk des Matthias Grünewald, oder durch Lucas Cranach den Älteren. Die Bilder zeigen, wie sich Antonius inmitten der verschiedenen Versuchungen bewährt. Nie zuvor und nie wieder später ist dieses Motiv so häufig gemalt worden. Freilich präsentieren diese Darstellungen den Heiligen nicht länger als den traditionellen Hochleistungsasketen, den Gott wegen seines irdischen Verzichts mit göttlicher Wunderkraft belohnt. Stattdessen vergegenwärtigen ihn viele spätmittelalterliche Maler in der betenden Verehrung des gekreuzigten Christus, aus der heraus er die inneren und äußeren Versuchungen besteht. Die Einladung an den Betrachter – damals wie heute – ist klar: Wer sich auf Christus ausrichtet und sein Leben meditiert, erfährt innere und äußere Orientierung, auch in Klimakrisen.

Sich inspirieren lassen

Freilich sieht sich ein „Christ in der Gegenwart“ im Unterschied zur spätmittelalterlichen Antonius-Rezeption der Tatsache gegenüber, dass die „Kleine Eiszeit“ ein damals von Menschen unbeeinflusstes und seinerzeit wissenschaftlich nicht verstehbares meteorologisches Ereignis war. Dagegen wissen wir heutzutage aufgrund vielfältiger Forschungen, dass wir Menschen die aktuelle Klimakrise selbst verursacht haben und mit unserem Verhalten die Erderwärmung sogar noch weiter vorantreiben. In dieser Not – analog zum (Spät-)Mittelalter – einfach auf die Hilfe von Heiligen zu setzen, wäre allerdings wohl eher zynisch als fromm.

Immerhin kann der Blick auf den gekreuzigten Christus die Selbsterkenntnis des Betrachtenden vertiefen. So mag aus einer derartigen Zwiesprache der Impuls hervorgehen, dass sich Menschen persönlich und gesellschaftlich-politisch für den Klimaschutz einsetzen, eben weil sie sich selbst wie die gesamte Schöpfung im Angesicht des Schöpfers als göttlich verdankt wahrnehmen. In dieser Grundhaltung dürfen sich heutige Menschen vom spätmittelalterlich anbetenden „Klimaheiligen“ Antonius tatsächlich inspirieren lassen, um sich der aktuellen Klimakrise kraftvoll entgegenzustemmen.

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