DebattenkulturKonservativ? Liberal?

In kirchlichen Debatten prallen immer wieder Welten aufeinander, die wir gern mit „konservativ“ und „liberal“ etikettieren. Wer aber so denkt, denkt falsch, sagt der geistliche Begleiter des Synodalen Wegs.

Es ist alles ganz einfach: Ich bin Leitartiklerin oder Fernsehmacher. In einem Beitrag über die Kirche versehe ich einen Bischof, eine Gruppe oder eine Meinung mit dem Label konservativ. Und damit ist dann alles gesagt. Meine ich. Aber wer so denkt, denkt falsch.

Die Zuschreibung konservativ soll eigentlich Informationen liefern oder etwas besser verstehen lassen, sonst machen Adjektive ja keinen Sinn. Aber alles, was dieser Gebrauch von konservativ schafft, ist schnurstracks Vorurteile anzusteuern. Das Gleiche gilt umgekehrt genauso für das Label liberal: Es ruft scheinbares Wissen auf, ohne genauer zu erklären, was eigentlich gemeint ist und ob diese Zuschreibung überhaupt zutrifft.

In der Kirche ist das Begriffspaar konservativ vs. liberal sehr beliebt. Es bedient die wahrgenommene Realität einer Auseinandersetzung. Es ermöglicht die scheinbar schnelle Einordnung von Äußerungen, und man muss nicht besonders viel darüber nachdenken. Gerne werden mit den Adjektiven in der kirchlichen Debatte moralische Urteile verbunden: Konservativ soll angeblich bedeuten, dass jemand oder etwas nicht mehr zeitgemäß sei, während liberal oder gerne auch progressiv sofort positiv bewertet ist.

Spätestens da, bei der begründungslosen moralischen Bewertung, sollten wir uns fragen, welche Aussagekraft über die billige Auseinandersetzung hinaus diese Etikettierung hat. Es ist eine Bewertung, die nicht verstehen, sondern nur Schwarz-Weiß will.

Drei Einwände möchte ich an dieser Stelle gegen die zu schnelle und moralisch aufgeladene Verwendung dieses Begriffspaars einbringen. Erstens verbirgt der Begriff konservativ zu viel. Schaut man genauer auf die Phänomene, die unter dem Adjektiv gerne versammelt werden, dann scheinen da ganz unterschiedliche Dinge auf: In der politischen Debatte spricht man von konservativ, neo-konservativ, kirchlich können wir die Traditionalisten und die Neo-Traditionalisten hinzufügen. Und das ist keine Haarspalterei: Es gibt genuine Unterschiede in Motivation und Ausdruck. So segeln die Pius-Brüder zwar unter der Flagge des Bewahrens, dabei wollen sie eine Kirche, die so nie existiert hat. Selbst die liturgi- schen Formen, als „Messe aller Zeiten“ völlig unhistorisch herbeibehauptet, sind ästhetische Kinder des Endes des 20. Jahr- hunderts. Und wer heute als Kardinal mit Cappa Magna und derlei herumläuft, der ist schon längst nicht mehr konservativ im Sinne des Bewahrens, der bewegt sich in einer Sonderwelt, die zwar zitiert, aber keine lebendige Verbindung zur Vergangenheit hat. Das ist Erfindung, nicht Bewahrung. Andere Gruppen werden eher von Nostalgie bewegt, dahinter verbergen sich Fragen von heute, die mit Maßnahmen im Gewand des Bewahrens beantwortet werden.

So könnte und sollte man alle Bewegungen innerhalb der Kirche anschauen, nur so versteht man wirklich, was Motivation und Aktualität ist und wie sich Gruppen voneinander unterscheiden. So viel Genauigkeit muss sein, gerade in Zeiten wachsender innerkirchlicher Pluralität. Einfache Labels führen nur in die Irre.

Ein zweiter Einwand: Wer die Probleme von heute mit den Instrumenten der Auseinandersetzung von vor 20 oder 40 Jahren betrachtet und immer nur dieselben Antworten vorzuweisen hat, der wird der Realität nicht gerecht. Ursprünglich stammt das Begriffspaar aus der politischen Debatte des vorletzten Jahrhunderts. Danach haben sich diese Pole als Perspektive auf politische Strömungen durchgesetzt, erst in jüngerer Zeit lösen sie sich wieder auf. Dieses Instrument gehört auf den Prüfstand der Aktualität. Es lohnt sich hier, sich einmal das nicht mehr ganz neue Buch „Das Neue Gesicht der Kirche“ des US-Journalisten John Allen vorzunehmen: Ganz vorurteilsfrei beschreibt er darin Trends, die die Kirche verändern und weiter verändern werden und die nichts oder nur wenig mit den alten Parteiungen von konservativ und liberal zu tun haben.

Mein dritter Einwand zielt auf eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Jahren im Feld dessen breitgemacht hat, was allgemein als konservativ bezeichnet wird. Es geht um die Zunahme autoritärer Strömungen. In der Kirche begegnen sie uns an verschiedener Stelle, vor allem in den Kommentarspalten von Blogs oder auf einschlägigen, vor allem US-amerikanischen Webseiten. Die Persönlichkeitsforschung geht von einem großen Anteil von Menschen mit autoritärer Veranlagung aus, das Sehnen nach Ordnung und vor allem Homogenität führt zur Zustimmung für autoritäre Aussagen. Komplexität und Pluralität werden nicht ausgehalten, die vermeintlich starke Figur soll dafür sorgen, dass diese verschwinden.

Wenn man genau hinschaut, hat das aber mit konservativ wenig zu tun. So können wir uns fragen, ob Donald Trump wirklich ein konservativer Präsident war. Die Spur der Zerstörung, die er in der politischen Landschaft hinterlassen hat, ist eher das Gegenteil von Bewahrung. Außerdem können wir ähnliche autoritäre Forderungen in Äußerungen etwa der Cancel Culture finden, die sich selbst als progressiv beschreiben würde. Autoritär ist nicht gleich rechts, es geht hier um Geisteshaltungen, nicht um Inhalte und Überzeugungen.

Dieser letzte Einwand führt mich zum Vorschlag eines anderen Begriffspaars, das in seiner Offenheit Beiträge in Debatten viel besser einordnet als konservativ vs. liberal. Vom Apple-Gründer Steve Jobs gibt es die Geschichte, dass er dem Medien-Großunternehmer Rupert Murdoch, Besitzer unter anderem von Fox News, bei einem Abendessen vorgehalten habe, in der Gesellschaft gebe es schon längst kein konservativ oder liberal mehr, die Achse sei vielmehr konstruktiv vs. destruktiv.

Sowohl das Bewahren als auch die Suche nach Neuem kann konstruktiv sein. Aber genauso können Bewegungen und Ansichten, die als konservativ daherkommen, in Wirklichkeit destruktiv sein, Donald Trump sei uns hier eine Lehre. Es gilt genau zu unterscheiden, was in einem Konflikt oder einer Debatte weiterführt und zu Lösungen beiträgt und was genau so eine Lösung unterlaufen will. Hier liegen die eigentlichen Herausforderungen auch in der kirchlichen Debatte heute.

Die Kraft des Begriffspaars konservativ-liberal, wie es in der medialen Debatte leider viel zu oft vorkommt, liegt in der Wiederholung. Dadurch, dass es immer und immer wieder undifferenziert und quasi selbsterklärend vorgebracht wird, gewinnt es eine scheinbare Plausibilität. Diese verdeckt aber mehr, als sie erklärt. Um das Destruktive zu erkennen, müssen wir hinter das Label schauen, um den Preis, dass es nicht mehr so einfach ist, Haltungen und Überzeugungen genau zu verstehen. Aber das ist auch der Preis wachsender innerkirchlicher Pluralität.

Das Konzil sprach von den „Zeichen der Zeit“: „Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen“, heißt es in Gaudium et Spes. Das können wir aber nur, wenn uns die Kategorien des Verstehens nicht den Blick verstellen, wie es heute durch die undifferenzierte Verwendung von konservativ vs. liberal geschieht.

Wer es ironisch mag, kann auch zu Ernst Jandls Gedicht „Lichtung“ greifen: „manche meinen//lechts und rinks// kann man nicht//velwechsern.// werch ein illtum!“

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