Geistesgegenwärtig durch die FastenzeitDurch die Fastenzeit mit Annette Schavan

Karl Rahner hat den Karsamstag in einer Meditation als ein „Symbol für die Gewöhnlichkeit des Lebens“ beschrieben. Dieser Tag erinnere daran, dass das Leben nicht nur aus Höhen und Tiefen bestehe. Er konfrontiere uns mit einer Zeit des Übergangs – von den Schrecken des Karfreitags zum Osterjubel.

Die Woche unmittelbar vor Ostern ist so expressiv wie keine andere Zeit im Kirchenjahr. Die Konfrontation mit dem Leiden und Sterben Jesu bedeutet Tage großer Emotionen. Die Woche beginnt mit der Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem – unter dem Jubel der Menschen. Die ihn mit Jubel empfangen, werden ihn wenige Tage später förmlich ans Kreuz schreien (...)

Zwischen den Tagen der großen Emotionen und der Erinnerung an den Jubel des Ostermorgens liegt der Karsamstag. Es ist der vielleicht anstrengendste Tag im Kirchenjahr, weil rein gar nichts geschieht. Die Stille des Tages fällt angesichts der grundstürzenden Ereignisse in den Tagen zuvor besonders auf. Kein Gottesdienst, eine kühl wirkende Atmosphäre im Kirchenraum – Gefühle der Verlassenheit. Keine wortreiche Erklärung für das, was geschah; keine äußeren Zeichen wie an den voraufgegangenen Tagen, keine besonderen Texte. Der Tag lehrt uns Schweigen. Nie sonst im Kirchenjahr sind wir so auf uns verwiesen.

Karl Rahner hat den Karsamstag in einer Meditation als ein „Symbol für die Gewöhnlichkeit des Lebens“ beschrieben. Dieser Tag erinnere daran, dass das Leben nicht nur aus Höhen und Tiefen bestehe. Er konfrontiere uns mit einer Zeit des Übergangs – von den Schrecken des Karfreitags zum Osterjubel.

Der Karsamstag mahnt zur Geduld. Vieles liegt hinter uns. Wir öffnen uns für Neues. Zeiten des Übergangs sind keine Zeiten der Resignation, eher wohl der vorsichtigen Hoffnung. Noch liegt kein Jubel in der Luft. Wir sind wirklich auf uns selbst verwiesen (...)

Manche haben in den ersten Wochen der Pandemie – in der Zeit vor Ostern 2020 – davon gesprochen, dass die Stille auf den Straßen und Plätzen wie ein langer Karsamstag wirke. Das ist eine eindrucksvolle Chiffre für diese Zeit und für die Lage der Christenheit, zumal vor dem Anspruch, geistesgegenwärtig zu sein. Die Haltung und die Konzentration, die es dazu braucht, beginnen vielleicht nicht mit der Wucht von Donnerhall und Getöse. Sie beginnen damit, den Karsamstag auszuhalten.

Aus: Annette Schavan, „geistesgegenwärtig sein. Anspruch des Christentums“, © Patmos Verlag, Ostfildern 2021

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