Die nahe Maria, die bei der fernen Gottheit für das Volk eintritt

Dass die Marienverehrung insbesondere in der katholischen Volksfrömmigkeit im Lauf der Christentumsgeschichte einen enorm hohen Stellenwert erreicht hatte, erklärt die Grazer Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl mit dem „offensichtlich vorhandenen Bedürfnis nach einer weiblichen Transzendenz“. Diese sei durch die theologischen Vorstellungen einer Dreifaltigkeit/Dreieinigkeit Gottes „nicht befriedigt“ worden. In der christlichen Spätantike wandelte sich die ikonografische Darstellung der „Isis lactans“, der den Horusknaben stillenden ägyptischen Göttin, die im Imperium Romanum sehr verehrt wurde, nicht zufällig zur späteren „Maria lactans“, der den Jesusknaben stillenden Gottesmutter.

Das gläubige Volk fleht Maria als „Mensch“ mit Fürbitten an, weil sie als dafür besonders zugänglich erlebt wird. Gleichzeitig wird sie als Gottesmutter wahrgenommen und verehrt, „als sozusagen Gott nächster Mensch, der besonderen Einfluss nehmen konnte“. Theresia Heimerl sieht die Erfolgsgeschichte der Marienfrömmigkeit auch darin mitbegründet, dass das Christentum es geschafft hat, jene „Bedürfnisse zu bedienen, ohne die ‚große‘ Theologie umschreiben zu müssen.“

Gottvater und Sohn stehen dabei aufgrund ihrer Göttlichkeit theologisch und glaubensgeschichtlich ganz oben in der Hierarchie, damit aber auch weit entrückt von den Niederungen des alltäglichen Lebens. Insbesondere in den vormodernen feudalen Gesellschaften wurden Gottvater und der Gottessohn als „ferne, strenge Herrscher“ empfunden. Maria sei demgegenüber „so etwas wie die Lehensherrin, die beim Herrscher interveniert“. Hinzu komme wesentlich der Aspekt der Mutter, die bei ihrem mächtigen Sohn Jesus, der oft als strafender Weltenrichter dargestellt ist, „noch am ehesten etwas erreichen kann“.

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