Spanien, das Franco-Erbe und die KircheDer General in den Gehirnen

„Geschichtserinnerung“ lautet der Prozess, den die spanische Regierung unter anderem mit der Umbettung der Gebeine von General Franco beabsichtigt. Dazu sollte auch eine Gewissenserforschung der Kirche über ihre Rolle in der Gesellschaft gehören.

Für die 78-jährige Teresa Revuelta, die ihren Vater im Spanischen Bürgerkrieg verlor, wäre der Schritt nicht notwendig gewesen. Für die leidenschaftliche Anhängerin der Republikaner Sonia Bautista hingegen würde mit der Verwirklichung eines Beschlusses der sozialdemokratischen Mehrheit des Parlaments zur Aufarbeitung der traumatischen Vergangenheit eine neue Ära für Spanien beginnen. Die Künstlerin ist dafür, dass der Sarg von General Francisco Franco (1892–1975) aus dem eigentlich als Gedächtnisstätte des Bürgerkriegs gedachten Monument Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) in Madrid herausgeholt wird: „Da gehört ein Diktator nicht hin“, sagt Bautista.

Beide Frauen müssen sich allerdings gedulden, denn derzeit passiert mal wieder gar nichts. „Aber wenn wir Diktatoren nicht verurteilen, können wir die Demokratie nicht schätzen“, befürchtet die 48-jährige Bautista.

Die Familie Franco protestierte jedoch gegen den Parlamentsbeschluss ebenso wie der Ordensmann, der der Kapelle des Denkmals vorsteht, ein ehemaliger Kandidat der faschistischen Falange-Partei. Durch den von Premierminister Pedro Sánchez Pérez-Castejón beschlossenen Schritt, das Valle de los Caídos zu entsorgen und daraus einen einfachen Friedhof zu machen, wurde eine gesellschaftliche Debatte um den 1975 gestorbenen Diktator eröffnet, die so offen bisher nie geführt wurde.

Allerdings entstand inzwischen auch heftiger Streit über die Frage, wo die Gebeine des Diktators nun ihre letzte Ruhe finden sollen. Die Familie Franco hatte die Almudena-Kathedrale in Madrid vorgeschlagen. Doch der Vatikan und die Regierung sind dagegen. Sie befürchten, der Ort im Zentrum der spanischen Hauptstadt würde damit zu einer Wallfahrtsstätte für Nostalgiker des alten Regimes, wie die Tageszeitung „El País“ berichtete. Eine Lösung steht aus.

Memoria historica

Francisco Franco hatte im Juli 1936, zusammen mit anderen Generälen, gegen die demokratische Zweite Republik Spaniens geputscht. Das führte zu einem dreijährigen Bürgerkrieg, den Francos Truppen gewannen.

Ministerpräsident Sánchez wollte mit der Umbettung die Arbeit seines sozialdemokratischen Vorgängers José Luis Rodríguez Zapatero zu Ende führen. Dieser hatte 2007 die Memoria historica (Geschichtserinnerung) auf den Weg gebracht, die neben der Möglichkeit der Opfer des Bürgerkriegs, ihre Toten zu finden und zu betrauern, auch einige einschneidende Reformen für die Kirche vorsah. Während die konservativen Medien fast alle meinten, dass angesichts der Wirtschaftskrise des Landes für eine derartige Memoria historica nicht der richtige Zeitpunkt sei, schrieb der Journalist Manuel Vicent in „El País“, dieser Schritt werde einen langen Prozess nach sich ziehen, der sich letztendlich positiv auswirkt. Franco aus dem Valle de los Caídos zu holen, sei relativ einfach. Schwieriger aber ist es, „ihn aus dem Gehirn eines Großteils der Spanier zu entfernen“.

Er meinte jene Spanier, die den Diktator wegen seiner Gräueltaten verabscheuen, und jene, die ihn insgeheim immer noch bewundern. Vicent hofft, dass Franco nun durch die von Pedro Sánchez Pérez-Castejón angestoßene Debatte „von der Geschichte verschluckt“ wird und so weder von der einen noch von der anderen Seite weiterhin als Argument benutzt werden kann. Bisher geschieht jedoch meistens das Gegenteil. Es gerät offen an die Oberfläche, was schon lange in einem Teil der rechten Politik vor sich hinschwelte: die Sehnsucht nach dem „Führer“, auf Spanisch: nach dem caudillo.

Die „Roten“ und die „Blauen“

Denn in der Gesellschaft wird immer noch von den Rojos, also den „Roten“ (= Kommunisten), und den Azules, den „Blauen“ (= Franco-Anhängern), gesprochen. Die beiden diesen Fronten entsprechenden Volksparteien, die sozialdemokratische „Spanische sozialistische Arbeiterpartei“ sowie die christdemokratische „Volkspartei“, führen diese Farben immer noch in ihren Parteiwappen. Bei der jüngsten Regionalwahl in Andalusien zogen erstmals die Rechtsradikalen ins Parlament ein. „Vox“, wie die Gruppierung sich nennt, propagiert die Auflösung der siebzehn autonomen Regionen des Landes, will kein Geld mehr bereitstellen für Hilfen für Frauen, die Opfer männlicher Gewalt werden, und hält Homosexualität für eine persönliche Verirrung.

Für die Konservativen war die Transición, wie der Übergang zur Demokratie 1975 bis zur Ratifizierung 1978 genannt wird, bisher bequem. Die spanischen Geschichtsbücher in den Schulen gehen auch heute noch relativ glimpflich mit dem Diktator um und auch mit der Rolle der katholischen Kirche als Stütze des Regimes. Als Francisco Franco starb, hatte es nur wenige offene Freudentänze gegeben, auch aus Angst vor einer neuen Konfrontation, beobachtete Teresa Revuelta. „Danach wurde einfach alles regelrecht totgeschwiegen, auf der einen wie auf der anderen Seite.“ Noch heute rede sie mit ihren Freundinnen kaum über Politik: „Wenn diese von Franco und der Diktatur regelrecht schwärmen, muss ich mir schon auf die Zunge beißen, um nichts zu sagen.“ Ministerpräsident Sánchez will genau diese Angstschwelle überwinden helfen.

Der junge Pablo Casado, führender Kopf der „Partito Popolar“, zeigt sich in einem Hintergrundgespräch mit ausländischen Journalisten wohlerzogen, aber äußerst festgefahren in seinen Ansichten. Für ihn sollten Francisco Franco und die Geschichte nicht mehr ausgegraben werden. Deswegen hatte sich die Volkspartei bei der Abstimmung auch enthalten. Kritiker vermuten, dass sie aber eigentlich Nein sagen wollte. Doch gesellschaftlich sei dies nicht mehr verständlich zu machen. In diesem Konflikt wird noch manch schmerzhafter Kompromiss nötig sein.

Die Erinnerung der Kirche an diese Zeit ist ebenfalls schmerzlich. Vergangenheitsbewältigung ist auch hier notwendig: 7000 Geistliche wurden im Bürgerkrieg von den Republikanern teilweise wahllos umgebracht, weil ihnen nachgesagt wurde, die Franco-Seite zu unterstützen. Weil es während der Diktatur offensichtlich enge Verbindungen zwischen Franco, seinen Anhängern und der streng kirchlich konservativen Gemeinschaft „Opus Dei“ gab, haben sich viele Spanier von der Kirche abgewandt. Wer für die Republik ist, stellt sich heute immer noch meist gegen die Kirche – so wie Sonia Bautista. Die Zahl der Monarchie-Gegner, die im König die Fortführung der Diktatur sehen, nimmt nach jüngsten Umfragen vor allem an den Universitäten zu. Nach dem Ende der Diktatur wurde die Kirche trotz der ihr in der Verfassung zugewiesenen neutralen Rolle von verschiedenen Interessengruppen politisiert, was sie ebenfalls Mitglieder gekostet hat.

Die Jesuiten zum Beispiel haben am Aufkommen eines regionalen separatistischen Nationalismus im Baskenland entscheidend mitgewirkt. Die Basken, die dafür sind, die Einheit Spaniens zu bewahren, haben das nicht vergessen. Die Kirchen im Baskenland sind deswegen noch weniger besucht als im Rest des Landes. Auch in Katalonien, das von einer starken Unabhängigkeitsbewegung geprägt ist, verliert die Kirche an Zuspruch, nicht zuletzt deshalb, weil einige Priester sich mit den dort regierenden Separatisten – in diesem Fall für eine eigene Republik – solidarisieren.

Jesuiten und „Opus Dei“

Zudem gibt es in der Kirche zwei Fronten. Die Jesuiten stehen traditionell eher „links“ und Anhänger des „Opus Dei“ eher „rechts“. Beide kämpfen an ihren Eliteschulen und Universitäten um die besten Talente des Landes und ihren Einfluss. Die Wirtschaftsschulen IESE (Instituto de Estudios Superiores de la Empresa, geleitet vom „Opus Dei“) sowie ESADE (Escuela Superior de Administración y Dirección de Empresas, von Jesuiten geführt) gehören zu den besten der Welt. Um keine Wunden aufzureißen, hört man gerade auf konservativer Seite immer wieder, dass die Kirche gar keinen Einfluss mehr in Spanien habe. Die Zahlen beweisen aber etwas anderes: Laut der spanischen Bischofskonferenz gibt es im Land 2600 katholische Schulen sowie sechzehn Hochschulen. 1,5 von 45 Millionen Spaniern bekommen demnach eine religiöse Ausbildung.

Wer sehen will, wie lebendig und geschätzt die Kirche in konservativen Kreisen immer noch ist, muss nur an einem Donnerstag im Madrider Nobelvorort Pozuelo zur Pfarrei „Santa María de Caná“ gehen. In der Eucharistiefeier um zwölf Uhr mittags sind nicht nur alte oder kranke Menschen, sondern auch junge Frauen mit ihren Babys auf dem Arm und Männer in Anzügen anzutreffen.

Sonntags stehen hier die Menschen Schlange bis auf die Straße, um das Wort Gottes über Lautsprecher zu hören. Per Telefon können sich Kranke von zu Hause aus einwählen. Auch die Infrastruktur der Kirche ist noch weitgehend intakt. Laut Bischofskonferenz gibt es in Spanien rund 23000 katholische Pfarreien. Zum Vergleich: Deutschland, dessen Bevölkerung nur weniger als doppelt so groß ist, zählt (bisher) noch rund 11000 Pfarrgemeinden. Auf 45 Millionen Spanier kommen knapp 18000 Priester und 812 Klöster, dazu tausende Ordensleute. Mehr als acht Millionen Menschen, immerhin rund ein Fünftel der Bevölkerung, besuchen in Spanien regelmäßig den Sonntagsgottesdienst. In Deutschland sind es keine zehn Prozent mehr. Während sein konservativer Vorgänger Mariano Rajoy ein treuer Kirchengänger und seine „Volkspartei“ Unterstützer des Klerus ist, will Ministerpräsident Sánchez den Einfluss der Kirche eher beschneiden.

Schule ohne Religion?

Mit Unterstützung linker Parteien wie „Podemos“ will der Politiker den Christen ihren Platz keineswegs streitig machen, jedoch sollen Steuergelder nur noch an öffentliche Schulen fließen, nicht aber an die staatlich unterstützten halbprivaten Einrichtungen, die 28 Prozent der Bildungseinrichtungen ausmachen und hauptsächlich unter der Obhut der katholischen Kirche stehen. Sánchez, dessen Töchter eine öffentliche Schule besuchen, tritt auch für einen Unterricht ohne das verpflichtende Schulfach Religion ein: „Religion ist ein persönliches Recht, das jeder in seiner Freizeit ausüben sollte.“

Die Regierung verfolgt darüber hinaus das Ziel, dass die Kirche ihr Eigentum offenlegt und damit ihre wirtschaftliche Substanz. Der Ministerpräsident will ein Gesetz der Konservativen von 1998 rückgängig machen, das der Kirche erlaubt, Besitztümer unter ihrem Namen zu registrieren, die bisher nicht in den Grundbüchern der Bischofskonferenz aufgeführt waren. Fernando Giménez Barriocanal von der Bischofskonferenz rechnet mit rund 40000 Gebäuden, darunter auch Kirchen, die dann zur Disposition stünden, mit allen sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die das für die Bistümer und ihre Leitungen haben könnte.

Kirche mit Geld

José María Gil Tamayo, der Sprecher der Bischofskonferenz, warnte unterdessen den Regierungschef vor einer Konfrontation mit der Kirche. Selbst nichtglaubende Spanier wissen, welche enormen sozialen Aufgaben Christen in Spanien übernehmen, wo für Familien und Einwanderer wenig staatliche Hilfe angeboten wird. Tamayo nannte das den sozialen „Cashflow“ der spanischen Kirche, also das, was die Kirche aus eigener Kraft in die Gesellschaft einzahlt. Tamayo hat ausgerechnet, dass die Spanier, die über ihre Steuererklärung und private Spenden die Kirchen unterstützen, für jeden Euro, den sie zahlen, 1,38 Euro in Form von sozialen Leistungen (Suppenküchen, Caritas, Integration von Ausländern usw.) zurückbekommen. Gemäß den Angaben der Bischofskonferenz erhält die Kirche in Spanien jährlich 335 Millionen Euro vom Staat.

Für die Republikanerin Sonia Bautista ist das kein Argument. Die Kirche könnte für sie komplett aus dem spanischen Gesellschaftsbild verschwinden, und auch die Monarchie möchte sie abschaffen. Aber das wird wohl kaum passieren. Dafür ist der Katholizismus zu fest in der Kultur der Spanier verankert und inzwischen auch die Monarchie, die als Stütze der Demokratie empfunden wird.

Teresa Revuelta, die ab und zu in die Kirche geht, fühlt sich ebenfalls mit der Krone verbunden: „König und Kirche gehören in Spanien zusammen.“ Sie fürchtet, dass an diesen Säulen der Gesellschaft gerüttelt wird. Das wird auch Ministerpräsident Pedro Sánchez Pérez-Castejón wahrscheinlich nicht wagen.

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