Den Zölibat retten – Das geht nur mit Freiheit

Der Zölibat ist eine der großen Freiheitserfindungen der Menschheitsgeschichte.“ Diese Auffassung vertritt Helmut Zander, Professor für Vergleichende Religionsgeschichte und Interreligiösen Dialog an der Universität Fribourg. Als sich im Christentum das Ideal vom ehelosen Leben entwickelte, sei dies etwas Revolutionäres gewesen, schreibt Zander im Internet-Magazin „feinschwarz.net“. Davor habe es nur die Vorstellung gegeben, durch die Zeugung von möglichst vielen Nachkommen sowohl das individuelle Überleben im Alter als auch den Fortbestand der (Volks-)Gruppe zu sichern. Ehelosigkeit war demgegenüber eine Provokation, „die radikale Infragestellung von Volk, Stamm oder Clan – eine einzige Absage an die Abhängigkeit von Gesellschaft und Biologie“.

Insbesondere das zölibatäre Leben von Frauen sei ein „Luxus an Freiheit“ gewesen, erinnert Helmut Zander. Im spätantiken Umfeld habe eine Frau normalerweise fünf bis sechs Kinder zur Welt bringen müssen, um – angesichts der hohen Säuglingssterblichkeit – den Erhalt der Sippe zu garantieren. Wer sich dieser Pflicht zur Reproduktion verweigerte, ging ein großes Risiko ein – gewann damit aber ein hohes Maß an persönlicher Freiheit. Aufgrund dieser Verheißung habe der Zölibat anfangs „eine atemberaubende Verbreitung“ erfahren. „Frauenklöster waren eine anarchische Institution.“

Diesen Charakter habe der Zölibat inzwischen nicht mehr. Dies liege vor allem daran, dass ihn die – lateinische – Kirche zur Verpflichtung für Priester gemacht hat. „Wenn Revolutionen alltäglich werden, verlieren sie an Sprengkraft“, so Zander. Die Freiwilligkeit sei immer eins der Fundamente des Zölibats gewesen. Indem man ihn mit Zwang durchsetzen wollte, habe man die Lebensform beschädigt. In der sexualisierten Gesellschaft von heute komme hinzu, dass die Menschen mit der Entscheidung zur Ehe- und Kinderlosigkeit nichts mehr anfangen können. Außerdem werde der Zölibat in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem massenhaften sexuellen Missbrauch in Verbindung gebracht. „Wer sich vom Reproduktionszwang befreit, kommt in den Geruch, ein Kinderschänder und Vergewaltiger zu sein, ein Feind seines Körpers, der oder die mit verdrängter Sexualität tendenziell pathologisch lebt.“

Helmut Zander ruft dazu auf, den Zölibat zu retten. Zwar sei nicht abzusehen, welche Folgen es hätte, würde in der lateinischen Kirche die Verpflichtung zur Ehelosigkeit bei Priestern aufgehoben. Aber: „Andere Kirchen, die protestantischen, orthodoxen oder orientalischen, leben mit verheirateten Pfarrern oder Priestern ganz gut.“ Entscheidender Maßstab müsse jedenfalls die Freiheit sein. Wer zölibatär lebt, brauche zudem ein stabiles soziales Netz, so Zander. „Beispielsweise Gemeinden, die ehelos – nicht beziehungslos – lebende Priester emotional und lebensweltlich wertschätzen, weil sie im Zölibat die Freiheit einer Lebensform sehen, für die nicht jeder ‚gemacht‘ ist.“

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