„Antidiskriminierung muss auch vom Träger unterstützt werden“Im Gespräch

Um eine Kita diskriminierungsbewusst zu leiten, ist eine hohe Sensibilität gerade in ganz alltäglichen Situationen nötig. Im Gespräch mit Sandra Richter erzählt Aida Kiflu von ihren Erfahrungen als Leiterin mit vorurteilsbewusster Praxisentwicklung in der eigenen Einrichtung.

Was war der Anlass für die Auseinandersetzung mit dem Thema?
Konkreter Auslöser war die Bemerkung „Stimmt’s Aida, du musst auch keine Sonnencreme benutzen“ eines Jungen. Auf meine Frage, wie er darauf komme, antwortete er: „Na, weil wir ja beide braun sind.“ Es wurde deutlich, dass er Zugehörigkeit herstellen wollte. In unserer Einrichtung sind mehrheitlich weiße Kinder – sich als ein schwarzes oder Kind of Color umfassend wiederzufinden, war nicht möglich. Dafür reichen Hauttonstifte nicht aus. Es braucht Bilder, Spielmaterialien, Gespräche und vieles mehr. Der Junge fand in mir als Leitung die einzige Identifikationsfigur, nicht in der Gruppe oder in der Lernumgebung. Da wurde ganz deutlich, dass Veränderungen notwendig sind.

Wie haben Sie sich dem Thema didaktisch und methodisch angenähert?
Der zentrale Ansatzpunkt besteht darin, den Alltag aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Die Arbeit wird verständlicher, wenn wir sie in kleine, nachvollziehbare Schritte aufteilen. Problematiken wie Rassismus, Adultismus und Klassismus werden untersucht, um zu sehen, wo sie auftreten: sei es im Umgang mit den Kindern, in der Arbeit mit ihren Bezugspersonen oder im Team selbst.

Wie sahen die ersten Schritte konkret aus?
Das Thema habe ich als Leitung priorisiert. Die Erfahrung mit dem Jungen war in Verbindung mit meiner eigenen Geschichte ein starker Motor. Begonnen haben wir mit der Lernumgebung und als Erstes die Kinderbücher angeschaut: Wo sind wir als Team vertreten, wo die Kinder und Familien? Dabei fiel uns auf, dass keine BIPoCs (Black, Indigenous and People of Color), keine Menschen mit Behinderungen, nicht einmal mit Brillen vorkamen. Gleichzeitig merkten wir: Auch auf anderen Ebenen ist das nicht die Realität unserer Kita. Die Einseitigkeit der Kinderbücher hat uns erschreckt. Daraufhin haben wir unseren gesamten Buchbestand geprüft und teilweise ausgetauscht. Zusätzlich boten wir für die Familien einen Abend an, auf dem wir das Thema vorstellten. Wir fragten sie nach Büchern, in denen sie sich repräsentiert fühlen. Daran anknüpfend gingen wir Schritt für Schritt voran und haben uns dabei von weiteren Klischees verabschiedet, beispielsweise von Landkarten mit stereotypen Darstellungen.

Was hat sich im Laufe des Prozesses verändert?
Inzwischen legen wir bei eingefahrenen Handlungen häufig einen Stopp ein. Die Beschäftigung mit dem Thema hat bewirkt, dass wir nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir merken, dass wir die Ist-Situation regelmäßig daraufhin überprüfen müssen, ob sie allen Beteiligten und unseren Zielen gerecht wird. Wird sie das nicht, sind Veränderungen nötig. Das Thema ist kein Prozess, der irgendwann beendet ist, kein Konzept, das man einführt und abschließt. Es ist ein kontinuierlicher Weg für jede:n Einzelne:n und für das Team als Ganzes.

Wie werden die Bezugspersonen beteiligt?
Wir beziehen sie fortlaufend ein, zum Beispiel in Form von Familienabenden oder bei der Gestaltung von Festen – so auch bei der Änderung des Mutter-/Vatertags in Familientag. Wir führen viele Gespräche und besonders die Lerngeschichten bilden einen wichtigen Anker für den Austausch.

Welche Veränderungen nehmen Sie bei den Kindern wahr?
Sehr viele. Neulich sprachen wir über das Thema Hochzeit. Die Kinder haben sowohl Geschlechterrollen als auch Paarkonstellationen hinterfragt. („Wenn ich groß bin, heirate ich meinen besten Freund.“) Ein weiteres Beispiel sind die Hauttöne: Fragt ein Kind beim Zeichnen „Kann ich die Hautfarbe haben?“, stellen andere Kinder gleich die Gegenfrage „Welche?“. Sie wissen, dass es nicht nur eine Hautfarbe gibt.

Welche Aufgaben hat der Träger in diesem Prozess?
Antidiskriminierung muss auch vom Träger unterstützt werden. Teams müssen ebenso divers besetzt sein wie Leitungspositionen, Fachberatung und Stellen beim Träger selbst. Homogene und privilegierte Besetzungen verstärken und fördern Diskriminierungsmechanismen. Es muss Zugangsmöglichkeiten für marginalisierte Menschen geben. Und wenn Diskriminierung stattfindet, müssen Trägerverantwortliche aktiv dagegen vorgehen. Das ist auch unumgänglich, wenn es darum geht, die so dringend benötigten Fachkräfte zu gewinnen. Außerdem braucht es Unterstützungssysteme und themenspezifische Angebote in Form von Coachings und Fortbildungen.

Was geben Sie den Leser:innen mit auf den Weg?
Diskriminierungsbewusste Praxisentwicklung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es ist wichtig, auf die eigenen Kräfte zu achten, sich zu erinnern, warum dieser Weg beschritten wurde, und sich Verbündete zu suchen, die die Vision mittragen.

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