Kompetenzorientierung ist seit einigen Jahren der Schlüsselbegriff in der Ausund Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Die Vorgaben hierfür macht der Deutsche Qualifika tionsrahmen (DQR 2012). Er ist nicht nur ein Ordnungssystem zur Einstufung bzw. Vergleichbarkeit beruflicher Bildungsgänge, sondern fokussiert mit seinen Leitideen auch auf ein didaktisches Konzept, das sich an beruflichen Aufgaben und Anforderungen orientiert. Verglichen mit anderen Arbeitsgebieten ist jedoch ungleich schwieriger zu definieren, was die Bildungsvoraussetzungen für kom petentes berufliches Handeln im Arbeitsfeld Kita sind. Denn in pädagogischen Berufen lassen sich theoretisches Wissen und Können nicht einfach auf der Ebene der beruflichen Tätigkeit, der „Performanz“, umsetzen – egal, auf welchem formalen Niveau die Vermittlung im Lern ort Schule stattfindet.
Pädagogische Alltagssituationen in der Kita sind komplex, unübersichtlich und in der Regel nicht vorhersehbar. Eine zentrale Anforderung an den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz besteht deshalb darin, dass angehende pädagogische Fachkräfte vor Ort lernen, die „Ungewissheit des Handelns zu ertragen, immer wieder neu die Implikationen für das Handeln in Ungewissheit zu reflektieren und Verantwortung für das Handeln zu übernehmen“1. Anders als im Lernort Schule ist non-formales, arbeitsintegriertes Lernen eine selbsttätige und aktivitätsabhängige Leistung der einzelnen Person. Der Praxisalltag fordert diese zu situationsstrategischen Lernleistungen heraus, wozu sie das im Lernort Schule vermittelte Wissen zwar nutzen soll, aber je nach Situation und eigenem Erfahrungswissen adaptieren muss.
Angesichts der herausragenden Bedeutung der Praxis als integralem Bestandteil der Ausbildung an Fach- und Hochschulen (vgl. KMK/ JFMK 20102) sind die Lernorte „Schule“ und „Praxis“ gefordert, ihre Zusammenarbeit sowohl organisatorisch als auch didaktisch sicherzustellen. Auf Länderebene werden aktuell Konzepte erarbeitet, die gemäß KMK 2011 der gemeinsamen Verantwortung von Schule und Praxis Rechnung tragen sollen.
Obwohl die Fachschule dem Lernort Praxis eine zentrale Bedeutung für die Professionalisierung von Fachkräften einräumt, liegt weiterhin die alleinige Verantwortung „für alle mit der praktischen Ausbildung zusammenhängenden Fragen“ beim Lernort Schule. Dem Lernort Praxis wird in dieser Verordnung lediglich eine Assistentenfunktion zugestanden.
Auch wird der Verweis auf viele mögliche Formen von Verzahnung zwischen Lehre und Praxis in der Ausbildungspraxis nur bedingt zu einer inhaltlichen Neubestimmung des Theorie- Praxis-Verhältnisses führen. Denn die Fachschule legt für die Praktika Anforderungen und Ziele fest und ist zuständig für die fachliche wie methodische Begleitung der Praktikant( inn)en (vgl. KMK 2011):
So sollen die „Schüler/-innen im Praktikum“ z.B. im Lernfeld „Berufliche Identität und professionelle Perspektiven entwickeln“ anhand von Aufgaben, die die Schule stellt, befähigt werden, sich mit ihren Berufswahlmotiven und ihrer Berufsrolle auseinanderzusetzen, ihre Vorstellungen von Ausbildung und Beruf mit den gesellschaftlichen Anforderungen abzugleichen, den gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfassen und ein erstes professionelles Verständnis für die eigene Berufsrolle zu entwickeln (vgl. KMK 20113).
Berufliche Identität und professionelle Perspektiven für sich zu entwickeln, bedeutet aber, sich zunächst einmal auf die Alltagserfahrungen in der Kita einzulassen und sich selbstkritisch und selbstkontrollierend mit den eigenen Wertvorstellungen und kulturellen Orientierungen auseinanderzusetzen. Solche subjektiven Lernleistungen können jedoch nicht ohne die gleichwertige Unterstützung durch den Ausbildungsort Praxis erbracht werden.
Als nicht-formaler Lernort verfügt die Kita über Erfahrungsräume und Bildungsressourcen, die es didaktisch ermöglichen – in Abstimmung mit dem Lernort Schule –, den Lern- und Entwicklungsprozess zukünftiger Fachkräfte auch aus deren Perspektive zu gestalten. Was dem Lernort Kita dabei besonderes Gewicht verleiht, ist die berufspädagogische Erkenntnis, dass personale Kompetenzen vor allem durch arbeitsintegriertes Lernen erworben werden. Hier sind besonders Selbstreflexion, Empathie, sensitive Responsivität, Ressourcenorientierung sowie Offenheit für und Wertschätzung von Diversität (vgl. Leu 2014) zu nennen, die den Nährboden für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz bilden.
Im Ausbildungskonzept einer Kita muss ausgewiesen werden, wie sich Praktikant(inn)en individuell in dieser Kita mit den Anforderungen und Aufgaben der Berufspraxis auseinandersetzen können. Es darf von ihnen erwartet werden, dass sie ihre „Schüler/-innen-Rolle“ überwinden und sich in pädagogische Arbeitssituationen verwickeln lassen, die sie dann eigenständig deuten und bewältigen. Darüber hinaus soll das Ausbildungskonzept neben dem pädagogischen Handlungskonzept der Kita die spezifische Lernkultur vor Ort beschreiben, in die das „Lehr- und Lernarrangement“ eingebunden ist.
Die andere Rahmung des Lernens
Während im Unterricht/Studium der Lehrplan im Mittelpunkt steht und überwiegend fremdgesteuertes, rationales, analytisches Wissen vermittelt wird, sind in der Praxis verschiedene Zugänge zur Aneignung und Modifizierung von Wissen möglich. Motivation und emotionale Beteiligung der Praktikant(inn)en sowie unmittelbar erlebter Praxisbezug von Lerninhalten fallen stärker ins Gewicht als beim formalisierten Lernen an der Fach- bzw. Hochschule. Praktika bieten Potenziale für selbst gesteuertes Lernen, bei dem fortlaufend Prozesse der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns ineinandergreifen. Berufspädagogisch betrachtet ist dieses ganzheitliche Lernen von einer Qualität, die die Praktikant( inn)en als Person verändert, vorausgesetzt sie nehmen diese Veränderung auch als für ihre Berufsausübung und ihr berufliches Selbstverständnis als bedeutungsvoll und sinnhaft wahr.
Unter dem Begriff „Arbeitsprozesswissen“ wird diesem informellen, ganzheitlichen Lernen in der Berufspädagogik ebenso viel Bedeutung beigemessen wie dem theoriebasierten, fachschulisch vermittelten Wissen. Neben dem hohen Lernpotenzial, das komplexe Arbeitssituationen bieten, ist es vor allem auch die Lernund Handlungsautonomie der Akteure, die deren Professionalisierung voranbringt.
Professionelle Anleitung durch Mentoring
Auch wenn die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz stets ein individueller Prozess ist, vollzieht sich dieser doch im Kontext einer spezifischen Praxis, die die berufliche Sozialisierung der angehenden pädagogischen Fachkraft maßgeblich prägt. Entscheidend für die Qualität dieses Prozesses ist nicht allein die kompetente fachliche und methodische Begleitung durch Lehrende der Fachschule, sondern ebenso kontinuierliches, kompetentes Mentoring vor Ort. Zumal – anders als zu den praxisbegleitenden Lehrkräften – die Praktikant( inn)en dem Kita-Team kollegial verbunden sind.
Praktikant(inn)en qualifiziert auszubilden, zählt zum Verantwortungsbereich der Leitung. Ihr obliegt es, für lernförderliche Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz Kita zu sorgen. Eine professionelle Steuerung der praktischen Ausbildung setzt voraus, dass die Leitung über berufspädagogisches Wissen verfügt, das sie befähigt, innerhalb der Einrichtung als Praxismentorin zu fungieren oder eine solche zu unterstützen. Nach außen versetzt es sie in die Lage, auf Augenhöhe mit dem Lernort Schule zu kooperieren. Die Leitungskraft hat Theoriewissen über Prozesse beruflicher Bildung, das historische und systematische Grundlagen/ Formen beruflichen Lernens und beruflicher Sozialisation sowie Ansätze zur Qualifikationsund Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit umfasst. Nur dann kann sie bei der Ausbildung von Praktikant(inn)en, Anleitung von Berufsanfänger(inne)n und Aufgaben der Personalführung auf die berufspädagogische Handlungskompetenz zurückgreifen, die zur Leitungsfunktion gehört.