Diese Forderungen haben BetroffeneKitas am Limit

Zu wenig Fachkräfte im Einsatz, ein besorgniserregender Personalschlüssel und ständig neue Aufgaben: Die Probleme im Kita-Alltag sind bekannt und trotzdem ändert sich zu wenig. Wie geht es Ihnen und wo sehen Sie aktuell Handlungsbedarf? Diese Frage haben wir verschiedenen Menschen aus der Praxis gestellt. Ihre Forderungen machen deutlich, dass sie die Politik am Zug sehen.

Kitas am Limit
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Wo sehen Sie aktuell den größten Handlungsbedarf in der Kita? Kommentieren Sie den Beitrag unter „Diskussion“ am Ende der Seite.

„Gute pädagogische Arbeit braucht ausreichend Personal“

Claudia Theobald: Die Mittel des Bundes für die Sprach-Kitas werden gestrichen. Das ist kritikwürdig, aber die Probleme unseres Kita-Systems sind grundsätzlicher Natur. Überall in Deutschland betreuen wir Kinder mit Personalschlüsseln, die weit unterhalb der Schwellenwerte für kindgerechte Betreuung und Bildung liegen.

Seit vielen Jahren wird die Kita-Betreuung quantitativ ausgebaut. Kinder werden immer länger und in jüngerem Alter betreut ohne die qualitativen Voraussetzungen – also kindgerechte Personalschlüssel und angemessene Räumlichkeiten – adäquat anzupassen.

Zu dieser Entwicklung haben auch wir Kita-Fachkräfte beigetragen. In mehr als 30 Jahren Berufstätigkeit erlebe ich regelmäßig, wie wir:

  • auf notwendige Vor- und Nachbereitungszeiten verzichten, weil sonst niemand mehr zur Beaufsichtigung der Kinder da ist.
  • regelmäßig unsere Aufsichtspflicht verletzen, indem wir allein zu große Kindergruppen betreuen.
  • mehrmals täglich Tische und Betten hin und her schleppen, weil immer mehr Räume multifunktional genutzt werden müssen.
  • nach außen hin so tun, als sei alles okay oder dass wir alles irgendwie möglich machen, um Konflikte mit Eltern und dem Träger zu vermeiden.

Ich kenne keine einzige Kita- Fachkraft, die davon überzeugt ist, unter den vorgegebenen Rahmenbedingungen den Kindern gerecht zu werden.

Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir mit den Verantwortlichen sprechen und Folgendes klarmachen:

  • Aufsichtspflicht und Fürsorgepflicht zur Gewährleistung des Kindeswohls sind nicht verhandelbar. Sind sie nicht zu gewährleisten, dürfen auch Einschränkungen der Betreuungszeiten oder in der Aufnahme und Eingewöhnung neuer Kinder kein Tabu sein.
  • Rückenfreundliches Arbeiten, geeignete Pausenräume, Lärm- und Hitzeschutz oder Funktionsräume, die tägliches Möbelschleppen überflüssigmachen, sind kein Luxus, sondern unverzichtbar.
  • Es ist nur das leistbar, was die Rahmenbedingungen hergeben. Gute pädagogische Arbeit braucht ausreichend Personal, Verfügungszeiten und geeignete Räumlichkeiten.

Claudia Theobald ist Erzieherin und Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Rheinland-Pfalz.

„Förderbedarfe der Kinder steigen“

Matheo Bucher: Die Bildungsarbeit der Kindergärten hat in den letzten Jahren seitens der Bildungsministerien der jeweiligen Länder deutlich mehr Zuwendung erfahren. Auch das Ausbildungsniveau wurde angehoben. Das hat zur Folge, dass neben der eigentlichen Arbeit mit den Kindern weitere Aufgaben hinzugekommen sind. Dazu zählen fortlaufende Dokumentationen und Portfolioarbeit, das Qualitätsmanagement der Einrichtung oder auch die Pflege der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern.

Die wichtigste Stellschraube liegt hierbei im Bereich der Personalpolitik und der Verfügbarkeit von Fachkräften. Der Fachkräftemangel in der sozialpflegerischen und sozialpädagogischen Berufsbranche ist schon lange kein Geheimnis mehr. Dennoch tut sich wenig.

Bemühungen, den Beruf und die Berufsausbildung zum/zur Erzieher*in attraktiver zu machen, fruchten nur langsam. Notdürftig werden Hilfskräfte ohne fachlich fundierte Ausbildung von den Trägern der Kindertageseinrichtungen eingestellt, um drohende Notbetreuungen abzuwenden und den pädagogischen Alltag aufrechtzuerhalten. Von professionellen Arbeiten und evaluierter Weiterentwicklung der Kindergärten kann hier keine Rede sein.

Zeitgleich nehme ich wahr, dass die Förderbedarfe der Kinder steigen. Sprachentwicklungsverzögerungen, sozial-emotionale Einschränkungen, Kinder mit Traumatisierungen, mit Migrationshintergrund und/oder mit Fluchterfahrung sind keineswegs eine Seltenheit und betreffen durchaus über die Hälfe der Gruppen. Mit einem Betreuungsschlüssel, bei dem oftmals nur zwei Fachkräfte zeitgleich eingesetzt sind, ist eine optimale, individuelle, ressourcenorientierte und langfristig angesetzte Förderung und Begleitung nur schwer möglich. Darüber hinaus werden Integrationskräfte, Eingliederungshilfen oder ähnliche Maßnahmen nur nach langer Zeit des Abwartens gewährt.

Ich wünsche mir, dass sich das Arbeiten im personellen und professionellen Kontext in den beschriebenen Punkten, zum Wohle der mitarbeitenden Fachkräfte und vor allem zum Wohle der Kinder, spürbar bessert.

Matheo Bucher ist Erzieher sowie Bachelor Professional in Sozialwesen. Er arbeitet in der katholischen Kindervilla „St. Katharina“ in Katzental, Baden-Württemberg.

„Die Ausstattung muss vom pädagogischen Bedarf abhängig sein“

Irmgard Miess: Wir gehen täglich mit viel Herzblut, Engagement und Nervenstärke an die Arbeit. Weil Kinder nicht wie Akten gestapelt und ihre Bedürfnisse wochenlang aufgeschoben werden können, gleichen wir seit Jahren Unterbesetzungen mit persönlichem Einsatz aus. Um den Personalnotstand zu bekämpfen, müssen sich die Arbeitsbedingungen in Kitas ändern! Dazu gehören:

  • Ein höherer Fachkraft-Kind-Schlüssel ist für das Wohl der Kinder und für die Zufriedenheit und Gesundheit des Personals nötig. Ausfälle durch Krankheit, Urlaub und Fortbildung müssen dabei berücksichtigt werden.
  • Das Bundes-Teilhabe-Gesetz regelt die Betreuung und Förderung von Inklusionskindern im Kindergarten vor Ort. Dieser Faktor x darf nicht aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt werden können.
  • Die Anstellung von Praktikant*innen muss selbstverständlich sein, um Nachwuchskräfte auszubilden und in den Einrichtungen zu halten. Ihre Anleitung muss in die Arbeitszeit eingerechnet werden.
  • Regelmäßige Supervision muss selbstverständlich sein.
  • Belange der Einrichtung müssen auf Augenhöhe mit allen Beteiligten besprochen werden. Nachhaltige Konzepte sollten nicht am Preis scheitern.
  • Viele Fachkräfte entscheiden sich bewusst für einen Träger oder ein Konzept. Daher sollte die Kommune Konzepte und Angebote des Trägers für das Personal respektieren und unterstützen.
  • Die Ausstattung muss vom pädagogischen Bedarf und nicht vom Wohlwollen des Trägers oder der Kommune abhängig sein.
  • Engagement darf nicht als selbstverständlich hingenommen werden. Sondergratifikationen bei guter Arbeit sind in anderen Berufen üblich.

Weder Gemeinde noch freie Träger können Betreuungsplätze ohne Personal stellen! Vielleicht wäre es hilfreich, fachfremde Entscheidungsträger zu einem Schnupperpraktikum in die Kita einzuladen?

Irmgard Miess ist Kita-Leiterin des Katholischen Kindergartens „St. Martin“ in Kienberg, Bayern.

„Kalkulieren, wie viele Kinder einen Kita-Platz benötigen“

Kerstin Grosse Brockmann: Unsere Kita ist zum Glück gut aufgestellt: Wir sind vom Fachkräftemangel nicht betroffen. Zudem ist das Team relativ jung, sodass wir auf absehbare Zeit nicht mit altersbedingten Weggang rechnen müssen. Was ich jedoch als problematisch empfinde – was das Nachrücken von Erzieher*innen angeht – ist die Dauer der Ausbildung und die Engpässe, die sich daraus ergeben. Außerdem spielt das Gehalt sicherlich eine Rolle, und die Tatsache, dass die Arbeitszeiten in Kitas nicht attraktiver werden.

Eltern fordern, dass die Kitas längere Öffnungszeiten haben, weil sie immer mehr arbeiten müssen – und das wird auch durch die Inflation und die jetzige Gesamtsituation bestimmt nicht besser.

Hier und in den Nachbarorten ist der Platzmangel ein großes Thema. Wir haben einen permanenten Bedarf an U3-Plätzen. Wobei ich verstehen kann, dass es schwer ist, zu kalkulieren, ob und wann die Eltern wieder arbeiten, gehen und ob sie einen Krippenplatz brauchen. Ich verstehe aber nicht, dass sich die Ü3-Plätze nicht besser einplanen lassen.

Bei uns können Kinder nicht unterjährig aufgenommen werden, ein Wechsel ist nur mit dem Beginn des neuen Schuljahres möglich. Im ländlichen Bereich halten sich Zu- und Umzüge im Rahmen, das heißt, die Kinder leben in der Regel bereits drei Jahre im Ort. So müsste man meiner Meinung nach gut kalkulieren können, wie viele Kinder einen Kita-Platz benötigen. Auch die geburtenstarken Jahrgänge wiederholen sich und scheinen in den Prognosen viel zu wenig Berücksichtigung zu finden. Das stellt Familien und Fachkräfte vor Herausforderungen, die einfach unnötig sind.

Kerstin Grosse Brockmann ist Mutter von drei Kindern und lebt in Glandorf, Niedersachsen.

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