Philosophieren mit Kindern – eine EinführungDenken macht glücklich

Staunen, fabulieren, sich wundern – es gibt viele Anlässe, um mit Kindern gemeinsam nachzudenken und komplexe Fragen zu besprechen. In einer Artikelserie widmen wir uns ab dieser Ausgabe der Philosophie im Kita-Alltag. Der Auftakt in ein großes Lebensthema.

Denken macht glücklich
© Leslie Wegers, Hamburg

Das Philosophieren mit Kindern ist längst fester Bestandteil der vorschulischen Bildungspläne und -konzeptionen aller Bundesländer. In der Praxis zeigt allerdings die Erfahrung, dass dieser Bildungsauftrag von den pädagogischen Fachkräften sehr unterschiedlich umgesetzt wird. Sicherlich gibt es nachvollziehbare Rechtfertigungsgründe, das Philosophieren mit Kindern im Kita-Alltag zu unterlassen – allerdings gibt es deutlich mehr gute Gründe dafür.
Um gleich zu Beginn ein oft gehörtes Klischee zu entkräften: Philosophieren im vorschulischen Kontext bedeutet nicht, lebensfremde Theorien zu entwickeln oder hoch komplizierte Phänomene zu verhandeln. Das Philosophieren mit Kindern im Vorschulalter findet nicht im „Elfenbeinturm“ statt, denn hier werden buchstäblich die ersten Schritte unternommen. Mit den Kindern gemeinsam wird das Fragen und Zweifeln bejaht, das elementare Staunen und Nachforschen zelebriert, das vertiefende Nachdenken erprobt. Im intensiven Gedankenaustausch mit anderen werden verschiedene Antwortmöglichkeiten und Weltsichten erwogen. Diese Art der gemeinschaftlichen Sinnsuche soll vor allem eines im Kind befördern: eine offene, unabhängige und reflektierte Geisteshaltung, die zu verantwortungsbewusstem Handeln befähigt.
„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ – dieser Leitspruch von Kant verweist seit der Aufklärung auf die Verantwortung jedes einzelnen Menschen, für sich selbst zu denken und sich nicht fraglos fremden Meinungen anzuschließen. Wenn wir Kinder darin unterstützen wollen, reflektierte, ganzheitlich denkende und dialogfähige Menschen zu werden, dann sollten dem Philosophieren als integrativem Bestandteil der pädagogischen Arbeit die entsprechende Beachtung und Zeit gewidmet werden.

Die Haltung der Bezugspersonen ist bedeutsam für das Kind

Wenn es darum geht, eine bestimmte Haltung im Kind zu fördern, so sind zuallererst die nahen Bezugspersonen des Kindes gefragt. Sie leben den Kindern vor, was (für sie) wertvoll ist. Für das Philosophieren sind bei der pädagogischen Fachkraft besondere Verhaltensweisen und Fähigkeiten gefragt: aktives Zuhören, Feinfühligkeit, Zurückhaltung, wenn es um „fertige“ Antworten geht, eine wertschätzende, offene Einstellung gegenüber den Fragen und Äußerungen der Kinder ebenso wie die Bereitschaft, sich unvoreingenommen darauf einzulassen.
Die Fragewut und der Wissensdurst von Kindern ist schier unerschöpflich: Leben die Steine? Kann ich die Wolken anfassen? Was kommt hinter dem Himmel? Wo bin ich, wenn ich träume? Wo war ich, bevor ich im Bauch meiner Mama war? Warum gibt es arme und reiche Menschen? Warum gibt es Krankheiten? Wo gehen die Menschen hin, wenn sie tot sind? – Philosophische Gespräche können dem Fragen und Staunen der Kinder eine umfassende Resonanz verleihen und damit als prägende Grundhaltung für das gesamte Leben bedeutsam werden.

Die Eltern mit ins Boot holen

Die Artikelreihe zum Thema Philosophieren mit Kindern soll anregende Impulse geben, Ideen und Ansätze liefern, die voraussetzungslos und ohne viel Aufwand im laufenden Kita-Alltag umgesetzt werden können. Wie bei vielen anderen Bildungsaufträgen hat jedoch die Wirkungskraft der pädagogischen Fachkräfte ihre Grenzen, wenn die Familien nicht mitziehen. Ideal ist es daher, wenn es den pädagogischen Fachkräften gelingt, die Eltern bzw. die familiären Bezugspersonen mit ins Boot zu holen und sie beispielsweise in bestimmten Phasen mit einzubeziehen. Einige Kitas laden interessierte Eltern eigens zu philosophischen Eltern- Gesprächsrunden ein, um den Sinn und Zweck des Philosophierens erlebbar zu machen – häufig haben solche Angebote den positiven Nebeneffekt, dass die teilnehmenden Eltern sensibilisiert werden, wie sie mit den Fragen und dem Wissensdurst ihrer Kinder zu Hause adäquat umgehen, sie umfassend fördern und bestärken können.

Philosophieren als komplexe Geistestätigkeit

Das Philosophieren ist ein relativ komplexes Unterfangen, das gleichzeitig unterschiedliche Kompetenzen abruft und weiterentwickelt. Beispielsweise werden beim Philosophieren spezifische Ansprüche an die kognitiven Fähigkeiten und sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten der Kinder gestellt. Außerdem ist ein gewisses Maß an Selbstkontrolle für die Einhaltung von Kommunikationsregeln wichtig. Oft braucht es eine gewisse Zeit der Einübung bei den Kindern, bis sie mit den philosophischen Methoden so vertraut sind, dass sie sie optimal umsetzen können. Wichtig bei der Einführung ist auch, den Kindern zu erklären, was das Philosophieren ist, warum es mit ihnen praktiziert wird und was dabei passiert. Die eigentliche Ausführung ist zum großen Teil inhaltlich offen, da stets die Gedanken und Äußerungen der Kinder richtungsgebend sein sollten. Ihre neuen Erkenntnisse werden im individuellen Prozess des Philosophierens „geboren“. Diese didaktische Maßgabe ist ursprünglich auf die Gesprächsführungstechnik des antiken Philosophen Sokrates – die Mäeutik („Hebammenkunst“) zurückzuführen, bei der durch eine strategische Reihung von Fragen die Gesprächspartner* innen dazu befähigt werden, die gesuchten Wahrheiten eigenständig zu erkennen.

Feinfühlige Gesprächsführung – das A und O

Es gibt verschiedene Arten der Anleitung philosophischer Gespräche. Im Kita-Bereich sollten pädagogische Fachkräfte aber grundsätzlich den Mut und das Selbstvertrauen besitzen, das Philosophieren mit Kindern zu praktizieren, auch ohne vorher eine fachliche Fort- oder Weiterbildung absolviert zu haben. Die Freude, miteinander ins Gespräch zu kommen und lebensweltliche oder überirdische Phänomene zu bedenken, zu hinterfragen und sich auszutauschen, das sollte die grundlegende Motivation sein. Da das philosophische Gespräch klar von der alltäglichen Unterhaltung zu unterscheiden ist, geht es darin nicht um reines Abfragen und Sammeln von Ideen oder Aussagen der Kinder. Getreu dem Motto „Wer mehr wissen will, muss fragen“ nimmt sich die pädagogische Fachkraft deutlich mehr als in anderen Gesprächssituationen zurück. Sie gibt selbst keine Antworten vor, sondern stellt die Antwortversuche der Kinder in den Fokus, äußert vertiefende Anschluss- oder Gegenfragen, bezieht fragend andere Kinder mit ein und überlässt ihnen dadurch die Bühne, auf der sie und ihre Gedanken die Hauptrolle spielen. Die Kinder werden in ihren Äußerungen bestärkt, Fragen als wertvolle Impulse geschätzt. Vermeiden Sie Kategorisierungen oder Pauschalisierungen. Gelingt das, steht einem anregenden und lehrreichen philosophischen Gespräch mit Kindern nichts mehr im Wege. Probieren Sie es aus!

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