Wissenschaftlerin mit direktem Draht zur PraxisProf. Dr. Dörte Weltzien

Beziehungen zu den unterschiedlichsten Menschen zu gestalten ist das, was Dörte Weltzien bewegt. Beziehungs- und Interaktionsgestaltung ist ihr Herzensthema und in diesem Feld ist sie eine unumstrittene Expertin.

Prof. Dr. Dörte Weltzien
© Anja Ihme, Freiburg

Je älter ich werde, desto mehr merke ich, wie sehr mich meine Eltern geprägt haben, und desto mehr schätze ich das“, beschreibt Prof. Dr. Dörte Weltzien ihr gutes Verhältnis zu den Eltern. Daneben beeinflusse sie das christliche Menschenbild, „ich bin zwar nicht wer weiß wie fromm, aber ich glaube an Gott“. Vor allem aber das Interesse und die Neugierde an der Welt und an der Gesellschaft – was lenkt sie, was verändert sie – seien wichtige Motivatoren im Berufsalltag. Daneben seien es insbesondere die stillen Held(inn)en, also durchaus unbekannte, aber sehr weise Menschen, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist, die sie inspirieren und lenken, denn „mich beeindrucken immer wieder die Menschen mit Werten und klaren Haltungen, vor allem mutige Kämpfernaturen. Und natürlich prägt und trägt mich täglich neu meine eigene Familie, mein Mann und meine Kinder!“ Die Professorin für Pädagogik der Kindheit an der Evangelischen Hochschule Freiburg (EHF) wurde 1965 in Hamburg geboren, ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von 26, 20 und 16. Sie lebt in der Nähe von München und pendelt zum Arbeitsplatz nach Freiburg.

Berufswahl: zwischen Zufall und Möglichkeiten

Ihr Diplomstudium in „Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität zu Bonn, das sie von 1985 bis 1990 absolvierte, scheint zunächst kein naheliegender Weg zu ihrem heutigen Beruf im Bereich „Pädagogik der Kindheit“. Tatsächlich ist er jedoch der sehr passende Auftakt zu einem großen Bogen, den die herzliche Hamburgerin in ihrem Werdegang scheinbar zufällig und dann doch sehr zwangsläufig spannt. „Als Kind hatte ich ganz viele Berufswünsche, ich wollte zum Beispiel unbedingt Tierärztin, später dann Psychologin werden. Und ich wollte eine Familie mit vielen Kindern und Tieren haben“, erinnert sich Dörte Weltzien. Das mit der Familie, den Kindern, zwei Pferden, Hund und Katze habe prima geklappt. Der Rest habe sich so nach und nach ergeben.

„Mein Leben besteht aus vielen Zufällen und Möglichkeiten, vieles kam einfach zur richtigen Zeit auf mich zu.“ Neben dem Interesse für soziologische Zusammenhänge habe sie schon immer gut mit Zahlen umgehen können, so sei die Wahl des Studiums eine sehr bewusste gewesen. Und wieso der Zusatz „Landbau“? „Nach dem Abitur wollte ich eher etwas Praktisches machen, am liebsten in der Natur, so habe ich zunächst ein Jahr auf einem Bauernhof mitgearbeitet und dachte dann auch erst mal an ein Studium der ökologischen Landwirtschaft, wollte dann aber die soziologischen und wirtschaftlichen Aspekte ebenfalls nicht missen, da passte meine Studienwahl am Ende dann gut.“

Lust an der Forschung

Während des Studiums in Bonn spannte sich der Bogen schließlich zur Forschung, „ab dem dritten Semester habe ich in einem empirischen Institut mitgearbeitet, das war wie in einer Denkfabrik, wir arbeiteten laufend an neuen Themen, untersuchten Zusammenhänge, befragten Menschen auf der Straße, das war einfach toll und dadurch entstand meine Lust an der empirischen Forschung“, erzählt Dörte Weltzien begeistert und fast ein bisschen wehmütig. Zunächst sei sie in der Struktur- und Regionalforschung gelandet, habe darüber auch ihre Diplomarbeit geschrieben. Schließlich habe sie der Weg über die Frauen- und Altersforschung ‒ bereits damals mit Fragestellungen zu neuen Wohnformen ‒ zu sozialpolitischen Themen geführt. „Seinerzeit gab es leider keine Forschungsmittel für die Kindheitsforschung, unglaublich eigentlich, erst ab dem Jahr 2000 wurde dann auch die frühe Kindheit entdeckt“, so Dörte Weltzien über ihren Weg in die Forschung, durch den sie schließlich auch tiefe Einblicke in die Hochschulwelt erhielt. „Schon damals festigte sich eigentlich mein dann folgender Weg, denn für mich war schnell klar, dass ich in eine Hochschule mit starkem Fokus auf die Forschung gehe.“ So fehlte nun nur noch der letzte Anstoß hin zur Pädagogik. Dieser gelang über die sozialpolitischen Themen verbunden mit dem eingangs erwähnten Interesse für Psychologie, und von dort war es nicht mehr weit zum heutigen Schwerpunktthema der Professorin, Beziehungsgestaltung im pädagogischen Handeln: „Das ist ja auch ein sozialpsychologisches Thema, während die Pädagogik schließlich dafür sorgt, dass erlangte Forschungserkenntnisse dann in die Praxis umgesetzt werden. Ich kann mich gut und schnell in neue Themen einarbeiten, habe immer den Drang zu vertiefen, mich weiterzuentwickeln und lese unglaublich viel, interessiere mich für theoretische, insbesondere psychologische Grundlagen“, erklärt Dörte Weltzien ihren Weg von den Wirtschaftswissenschaften bis zur Pädagogik, „und die Kindersoziologie beziehungsweise die frühe Kindheit hat mich einfach schon immer interessiert“. So sehr, dass sie nach ihrer Promotion im Fachbereich Sozialwesen an der Universität Kassel von 2004 bis 2009 zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin an der Fachhochschule Koblenz im berufsbegleitenden Studiengang „Bildungs- und Sozialmanagement mit Schwerpunkt frühe Kindheit“ und 2009 schließlich zur Professorin für Pädagogik der Kindheit an der Evangelischen Hochschule Freiburg avancierte und dort die Studiengangleitung übernahm. „Hier sind wir alle Quereinsteiger, die echten Kindheitspädagog(inn)en kommen ja gerade erst in die Professuren“, beschreibt Dörte Weltzien ihren Berufsalltag, an dem sie insbesondere das interdisziplinäre Arbeiten schätzt: „Ich komme ja aus der Sozialforschung und arbeite hier mit Psychologen, Pädagogen und zahlreichen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen zusammen. Die Mischung aus Lehre und Forschung macht meinen Beruf aus, ich finde es toll, wissbegierige Studierende auszubilden, zu sehen, wie sie sich entwickeln, und daneben aber auch immer weiter zu forschen, Dingen auf den Grund zu gehen, Zusammenhänge zu verstehen.“

Erfolgsrezept: Klarheit und Organisationstalent

Eine echte berufliche Krise habe Dörte Weltzien bisher nicht erlebt, denn „ich hatte immer das Glück, in allen Berufsabschnitten unheimlich viel Gestaltungsmöglichkeiten zu haben und wenns mir zu eng, zu eingeschränkt wurde, bin ich auch schnell gegangen.“ Seit etlichen Jahren gönne sie sich zudem den Luxus, sehr selbstbestimmt zu agieren: „Ich arbeite tagtäglich mit Menschen zusammen, die mir etwas bedeuten, und forsche in Bereichen, die mir am Herzen liegen. Klarheit ist mir wichtig. Ich sortiere zunehmend aus, frage mich immer wieder neu, was ich möchte und mit wem“, beschreibt die sympathische Professorin ihre Erfolgsstrategie. Daneben würden ihr auch ihr Organisationstalent und ihre Schnelligkeit im Alltag sehr helfen: „Ich lese und entscheide schnell und bin wohl sehr gut organisiert!“

Letzteres unterstütze sie zudem entscheidend dabei, Berufliches und Privates unter einen Hut zu bekommen: der eigene Job in Freiburg, der Mann arbeitet in Stuttgart, die zwei großen Kinder leben in München und Berlin und Nummer drei bereitet sich aufs Abi im nächsten Jahr vor. „Die enge Vernetzung zwischen beiden Welten war mir schon immer wichtig, ich trenne das nicht. Aus meiner Familie ziehe ich die Energie für mein Berufsleben! Und wir kriegen das wirklich gut hin, zum Beispiel über eine sehr lebendige Familien-WhatsApp-Gruppe, anders würde unser Familienleben auch gar nicht funktionieren“, verrät Dörte Weltzien, die auf ihre Kinder wahnsinnig stolz sei. „Wir sind schon eine richtig feste Bande, dabei lassen uns unsere Kinder von jeher viel Freiraum und sind sehr tolerant“, lacht die Professorin und beschreibt das Familienleben eher als gut funktionierende Wohngemeinschaft. „Wenn ich am Wochenende nach Hause komme, herrscht schon manchmal organisiertes Chaos und ich weiß nie, was noch im Kühlschrank ist, im Wohnzimmer lungern fröhliche Teenies rum. Da muss man loslassen können“, aber mit dieser Haltung lebe es sich dann auch sehr entspannt. Als die Kinder klein waren, seien eine Tagesmutter, später dann Au-pairs hilfreich gewesen: „Unsere Au-pair-Mädchen und -Jungen haben uns richtig bereichert und zur Familie dazugehört. Bei uns war es meist eher wie in einem Jugendzentrum, das fand ich herrlich!“ Daneben ziehe sie vor allem aus ihrem liebsten Hobby, den eigenen Pferden, und aus Aufenthalten in der Natur ihre Kraft und tanke den Akku auf, doch „leider bleibt mir dafür oft zu wenig Zeit, insbesondere in Freiburg würde ich eigentlich gerne auch mehr am kulturellen Leben teilhaben, aber das fällt leider hinten runter“, bedauert Dörte Weltzien, die ansonsten rundum zufrieden wirkt. „Ja, das würde ich schon ein wenig als mein Lebensmotto ansehen: Ich versuche, andere und mich zufrieden zu machen. Auch hier sortiere ich zunehmend aus, prüfe immer wieder neu, was mir wichtig ist und was nicht, was mich zufrieden macht und was mich von einem inneren Zustand des Glücks vielleicht auch ablenkt.“

Herzensthema: Beziehungsgestaltung und starke Teams

In ihrem beruflichen Werdegang bezeichnet Dörte Weltzien die Berufung zur Professorin als einen ihrer größten Erfolge, wobei ihr der Status eigentlich gar nicht wichtig sei, vielmehr sei sie stolz darauf, dass „ich im Rahmen meiner Professur etwas bewirken kann. Ganz besonders am Herzen liegt mir die Beziehungs- und Interaktionsgestaltung in Kindertageseinrichtungen“, das sei aus der Kinderperspektive wohl die wichtigste Grundlage für eine gute Entwicklung und eine sehr anspruchsvolle professionelle Aufgabe. Hier könne sie auf gute Erfolge zurückblicken und bekomme positive Feedbacks von Kolleg(inn)en, Mitarbeiter/-innen, aber auch von Fachkräften und Studierenden. So verwundert auch nicht, dass Professorin Weltzien bei Fachkräften insbesondere deren alles entscheidende Kompetenz schätzt, Beziehungen zu den unterschiedlichsten Menschen zu gestalten, „und zwar positiv“, etwa zu den Kindern, den Familien der Kinder und pro

fessionell im Umgang mit dem Team. „Das klingt so einfach, ist aber tatsächlich unglaublich kompliziert und gelingt natürlich auch nicht immer, aber wenn jemand das gut kann, ist das schon eine sehr große Kompetenz.“ Und tatsächlich sei die Erlangung dieser Kompetenz auch kein Zufall, sondern das Ergebnis des gesamten Fachwissens, der Reflexionsfähigkeit, der Lebenserfahrung, „all dies zeigt sich in der Gestaltung von Beziehungen“. Und Dörte Weltzien weiß nicht nur theoretisch, wovon sie spricht, denn ihr Berufsalltag bietet ihr über die reine Lehre und Ausbildung als Studiengangleiterin des Masterstudiengangs „Bildung und Erziehung im Kindesalter“ an der Evangelischen Hochschule Freiburg hinaus sehr intensive Praxiserfahrungen: „Unser Zentrum für Kinder- und Jugendforschung, das ich gemeinsam mit Klaus Fröhlich-Gildhoff leite, ist ausgesprochen anwendungsorientiert und wir pflegen unzählige Kontakte in die Praxis, betreuen zahlreiche Kooperations- und Praxisforschungsprojekte“, erläutert sie. Seit über zehn Jahren leitet sie Forschungsprojekte im Auftrag kirchlicher oder kommunaler Einrichtungen, Gemeinden, Ministerien, Stiftungen ‒ stets mit der Maßgabe, Kinder und Fachkräfte zu stärken, die Lebensqualität der Kleinsten zu verbessern, Bedarfe zu erheben, Prozesse zu begleiten und zu gestalten. Daneben ist ihr der Transfer aus der Forschung in die Praxis besonders wichtig: „Wir führen zahlreiche Multiplikationsschulungen und Weiterbildungen durch oder halten Vorträge auf Kongressen.“ Dabei liege ihr Fokus aktuell auf zwei Bereichen, zum einen auf der Prozessqualität in Einrichtungen, also der Gestaltung von Beziehungen, der dialogorientierten und partizipativen Gestaltung von Strukturen, Abläufen und Räumen. Und zum anderen auf der Idee von „multiprofessionellen Teams“. „Hierzu haben wir 2015 eine empirische Studie abgeschlossen, bei der wir über zwei Jahre lang intensive Einblicke in Kita-Teams bekommen haben. Man merkt, dass die Team- und Personalentwicklung ein sehr großes Thema für die Teams ist. Nur ein gutes und starkes Team kann gute Beziehungen gestalten“, führt Dörte Weltzien aus. Neben alledem läuft das 2011 initiierte Projekt GInA (Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag) immer weiter. Und auch wenn sie morgen einen Termin bei der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hätte, ginge es um das Herzensthema der Beziehungsgestaltung: „Ich würde mit Frau Schwesig darüber reden, wie man Fachkräfte-Teams stärken kann. ‚Starke Teams‘ wäre ein gutes Modellprojekt. Denn die Stärkung von Teams würde sich sehr positiv auf die Qualitätsentwicklung in der Pädagogik auswirken“, ist Dörte Weltzien überzeugt. Mit Sorge nimmt sie wahr, dass Kita-Teams zunehmend die Kraft ausgeht, die man für gute Pädagogik braucht. Hier seien gute und innovative Ansätze vonnöten, die die Teams wieder stabiler machten.

Meilensteine und Visionen

Als einen persönlichen Meilenstein in der Frühpädagogik benennt Dörte Weltzien die Implementierung des berufsbegleitenden Studiengangs „Bildungs- und Sozialmanagement mit Schwerpunkt Frühe Kindheit“ an der Fachhochschule Koblenz, den sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin mitentwickeln durfte. „Dieser erste Jahrgang damals, ich erinnere mich noch an die ersten Tage mit dieser Gruppe. Das waren einfach unglaublich tolle, motivierte und auch mutige Berufstätige, oft schon mit Leitungsfunktion, die dann beschlossen haben, berufsbegleitend den Bachelor zu machen. Dieses Pioniergefühl in der Gruppe war unglaublich, und auch wir waren ja Pioniere als Entwickler, es gab bis dato einen solchen Studiengang bundesweit nicht.“ Auch ihr allererstes Forschungsprojekt mit Prof. Dr. Susanne Viernickel in Ludwigshafen sei ihr lebhaft in Erinnerung: „Hier habe ich drei Jahre lang intensiv durch die Forscherbrille in die Praxis geguckt und dabei meine fachliche Leidenschaft für die pädagogische Arbeit in Kitas entdeckt.“
Einer Frau mit diesem Werdegang darf man dann auch den ultimativen Tipp für zukünftige Generationen von Kindheitspädagog(in   - n)en Glauben schenken: „Wählen Sie einen Beruf in dem Feld nur, wenn Sie ihn wirklich ausüben wollen, aus Liebe zu dem Beruf mit dem tieferen Sinn, jedem einzelnen Kind gerecht werden zu wollen und nicht aufzugeben, auch, wenn es einem nicht jedes Kind leicht macht.“ Und auch eine Vision oder Hoffnung für alle Kinder dieser Welt hat die Professorin mit einem großen Herz für Kinder: „Dass die Welt gerechter wird, die Chancengleichheit steigt – denn im Kita-Alltag merkt man diese Ungerechtigkeit vom ersten Tag an.“

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