Ein Streitgespräch zwischen Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Barbara VinkenKampf oder Harmonie?

Gibt es einen Ausweg aus dem Geschlechterkampf? Ist die kirchliche Sexualmoral noch zeitgemäß oder braucht es eine neue Liebeslehre? Und sollten Frauen Priesterinnen werden? Darüber diskutierten die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken und die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Moderiert hat das Gespräch Benjamin Leven.

Barbara Vinken (li.) und Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (re.) im Gespräch über die Rolle der Frau in der Kirche.
© Fabian Matzerath

Frau Vinken, was bedeutet es für Sie, Katholikin zu sein?

Vinken: Ich bin Professorin und die deutsche Universität ist eine durch und durch protestantische Institution. In Deutschland hat im intellektuellen Bereich das Protestantische die Vorherrschaft, während das Katholische sich seit dem Kulturkampf in Preußen, so lange das her ist, in der Defensive befindet. Für mich ist es das Randständige und Verdrängte, was mich am Katholischen interessiert. Ich finde es reizvoll, einer Gemeinschaft anzugehören, die den intellektuellen und institutionellen Kampf verloren hat. Das ist viel interessanter, als zu einer „siegreichen“ Organisation zu gehören.

Frau Vinken, Sie sind katholisch und bezeichnen sich als Feministin. Passt das zusammen? Die Geschichte des Katholizismus gilt doch für viele geradezu als Geschichte der Unterdrückung von Frauen.

Vinken: Diese Sichtweise ist völlig falsch. Die katholische Kirche ist doch die Institution, die im Laufe ihrer langen Geschichte die interessantesten, stärksten und mächtigsten Frauen hervorgebracht hat. Denken Sie an Frauen wie Teresa von Avila oder Katharina von Siena, die übrigens beide beeindruckende Schriftstellerinnen sind. Das ist keiner anderen Gemeinschaft in dieser Weise gelungen. Dies war möglich, weil Frauen durch ein Leben in einer klösterlichen Gemeinschaft die Blutsbande der natürlichen Familie hinter sich lassen konnten. Im Kloster lebte man stattdessen in einer geistigen Familie, in der die Hierarchie der patriarchalen Familie aufgehoben war, ja mehr noch: In den geistigen Familien war das weibliche Prinzip bestimmend. Petrus Abaelardus sagt, die Frau steht als Empfangende und Geliebte Gottes über dem Mann als Knecht Gottes. Das bedeutete eine Umkehrung der Geschlechterhierarchie. Praktisch hieß das, dass Frauen intellektuell unabhängig sein konnten und über den Weg des Eros und nicht nur der Caritas, der Gottesliebe wie der durch sie mitgegebenen Nächstenliebe, einen direkten Zugang zur Erkenntnis der Wahrheit hatten. Luther gestand den Frauen dagegen einzig und allein zu, Ehefrau und Mutter zu sein. Die weibliche Intellektuelle, die einen unmittelbaren Bezug zu Gott hat, existierte im Protestantismus nicht.

Frau Gerl-Falkovitz, ist der Katholizismus also eine Konfession der unabhängigen und gebildeten Frauen?

Gerl-Falkovitz: Die klassischen Klöster sind in der Tat Heimstätten von gelehrten und selbstständigen Frauen. Im Einflussbereich der Reformation fiel diese wesentliche Form der Selbstorganisation von Frauen aus – und damit ein entscheidender Grundzug der christlichen Tradition, der im Neuen Testament und in der frühen Kirche angelegt ist.

Vinken: Das Fatale ist nur, dass diese glorreiche katholische Tradition irgendwann abgebrochen ist. Die katholische Kirche hat sich mit dem Aggressor identifiziert.

Was meinen Sie damit?

Vinken: Die katholische Kirche hat sich im 20. Jahrhundert völlig auf die Vorstellung einer im biologischen begründeten, natürlichen Weiblichkeit eingelassen. Ich habe mich einmal länger mit einer Schrift von Joseph Ratzinger beschäftigt: „Maria, Kirche im Ursprung“. In diesem Text skizziert Ratzinger die Kirche als Gegenraum zur Moderne. Während für die Moderne nur das männliche Moment des Handelns und der Aktivität zähle, stehe in der Kirche die weibliche Qualität des Empfangens im Vordergrund. Das ist ein sehr schöner Gedanke. Doch am Ende projiziert Ratzinger diese Metaphern von Weiblichkeit zurück auf das reale Leben von Frauen. Hier liegt meines Erachtens ein rhetorischer Fehler. Er fordert nämlich, Frauen nicht in den Beruf zu drängen, sondern von ihnen zu verlangen, ihre natürliche Mütterlichkeit zu leben, indem sie zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern. Das läuft auf eine Restauration des Patriarchats heraus, deren Gegenkraft die Kirche immer war. Sollte nicht gerade auch Männern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Empfänglichkeit und Mütterlichkeit zu leben? Das würde völlig der Tradition der Kirche entsprechen, in der Männer auf geistige Weise mütterlich sein konnten. Das beste Beispiel ist Bernhard von Clairvaux, der sich als Mutter seiner Mönche verstand.

Frau Gerl-Falkovitz, können Sie mit der Vorstellung von empfangenden und mütterlichen Männern etwas anfangen?

Gerl-Falkovitz: Ich bin da zurückhaltend, denn Mutterschaft ist nicht einfach ein Akzidens, eine kleine Arabeske am Frausein. Ich denke schon, dass sich aus der eigenen Leiblichkeit so etwas wie eine Aufgabe ergibt. Leib heißt dabei mehr als Körper. Von Helmuth Plessner stammt der schöne Satz „Ich habe einen Körper, aber ich bin mein Leib.“ Ich denke, hier liegt genau der Fehler der Gender-Theorien. Gender reduziert den Leib auf den Körper. Körper wird dabei im Sinne eines Werkzeuges verstanden, ganz mechanisch, manipulativ. Leib ist etwas anderes. Ich habe gar kein anderes Dasein als ein leibhaftes. Von daher erklärt sich auch die Formulierung von der „Auferstehung des Fleisches“ im Credo – was heute übrigens leider zu schwach mit „Auferstehung von den Toten“ wiedergegeben wird. Im Leib würde ich jedenfalls die Ebene meiner Physis und die meiner Geistigkeit nicht so scharf trennen. Selbstverständlich kann und soll Mutterschaft auch in geistiger Weise gelebt werden, etwa im Sinne eines „Eintretens-Für“. Es gibt eine große Spanne zwischen dem, was mir mit meinem Leib gegeben ist, und der Art und Weise, wie ich mit dieser Gabe umgehe und sie mir aneigne. Trotzdem: Die Geschlechter sind im Leiblichen different. Warum sollte also der Mann mütterlich sein? Warum versucht er nicht, väterlich zu werden?

Vinken: Wenn die Kirche auf die vermeintlich natürliche Geschlechtlichkeit verweist, darf sie nicht verschweigen, dass unser Mann- und Frausein in der christlichen Tradition eine Figur der Gefallenheit ist. Das, was wir als Mann und Frau sind, ist nicht das, als was wir am Anfang geschaffen wurden, sondern mit dem Fall eine Entstellung des ursprünglichen Seins. Das Christentum hat versucht, die natürliche Geschlechtlichkeit zu übersteigen, auf Erlösung hin zu überhöhen: durch das Leben in Keuschheit.

Gerl-Falkovitz: Ja, es gibt in der Kirche zwei große „Utopien“: die Jungfräulichkeit und die Ehe. Denn auch die Ehe ist etwas anderes als das natürliche Verhältnis der Geschlechter in der gefallenen Welt. In der Jungfräulichkeit löst mich im besten Fall Christus, in der Ehe ist es der Andere, der mich im Leib löst. Damit das gelingen kann, müssen aber einige Bedingungen erfüllt sein. Zunächst die Monogamie. Ehe ist die Verbindung von einem Mann und einer Frau. „Du allein“: Schon das ist doch eine Übersteigung des Triebes. Das zweite wesentliche Moment ist die Unauflöslichkeit, denn die Liebe sagt: „Du für immer.“ Und auf einem dritten Aspekt besteht die Kirche in ihrer alten und grimmigen Weisheit: der Offenheit für das Kind. Zu diesem Entwurf der Ehe gehört, dass die Kirche den Bund in den Raum des Heiligen stellt – das Geschlecht eingeschlossen. Historisch gesehen bedeutet die christliche Ehe übrigens eine immense Aufwertung der Frau. Ethnologisch kennen wir Kulturen, in denen eine tote Frau zu ihrer Sippe zurückgebracht wurde, wenn sie nur zwei Söhne geboren hatte. Erst mit drei Söhnen galt sie als dem Stamm zugehörig.

Jungfräulichkeit oder Ehe – beides dürfte für viele Zeitgenossen nicht besonders plausibel klingen. Im Gegenteil, für manche gilt eher ein promiskuitives Leben als Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung.

Gerl-Falkovitz: Wie sieht denn eine Beziehung aus, die es wirklich wert ist, gelebt zu werden? Natürlich kann ich mich auf die Steigerung meiner Lust, meines Ego konzentrieren und versuchen, in wechselnden Beziehungen immer die Dominante zu sein. Aber die Frage ist doch, ob ich mich selbst dabei gewinne. Beständig wechselnde Partner nützen der Selbstwahrnehmung überhaupt nicht, sondern führen zur Aufsplitterung. Don Giovanni will alle Frauen haben, aber das heißt doch: Er hat am Ende keine. Eine Liebesbeziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn sie schon gar nicht Dauer und Einzigkeit will. Wenn ich mit dem Signal in eine Beziehung gehe, dass sie nur temporär oder anderweitig eingeschränkt ist, kann sie nicht gelingen, weil sie von Anfang an in der Zugluft steht. Bestimmte Existenzvollzüge sind nur im Singular möglich, und je öfter ich sie im Plural probe, desto öfter gehen sie daneben. Worauf es ankommt – nochmals Teresa: „Sein ganzes Leben leben, seine ganze Liebe lieben, seinen ganzen Tod sterben.“

Vinken: Nur ist das sehr schwer zu leben. Und man kann es auch nicht wollen. Eine bedingungslose, vorbehaltlose und uneingeschränkte Liebe ist etwas, das einem zustößt, das man auch erleidet. Da bin ich völlig nicht-voluntaristisch. Es gibt Menschen, die lieben können, und Menschen, die nicht lieben können. So sehe ich in der Kunst-Figur des Don Giovanni ein ungeheure Angst vor der Liebe. Sein Verhalten ist nichts anderes als die Abwehr dieser Angst. Die Angst, zu lieben, hat damit zu tun, dass Liebe auch etwas Schreckliches ist, etwas, das einen zutiefst bedroht. Man wünscht sich die Liebe, aber man fürchtet sie auch, weil man weiß, dass sie einen zerstören kann. Der Wunsch nach Liebe und die Angst vor ihr führt zu einer unlösbaren Ambivalenz. Wir kommen aus unseren Verstellungen, Neurosen und Triebschicksalen nicht heraus. Ich finde es nicht falsch, ein Ideal der Ehe zu formulieren, die auf der Liebe in diesem grundlegenden Sinne beruht, aber ich würde daraus nie eine Morallehre ableiten. Unserem Liebesschicksal, das nicht nur eines unserer Triebe ist, sind wir unterworfen – da halte ich es mit der griechischen Tragödie, die davon eine Ahnung hatte.

Papst Franziskus hat soeben in einer Ansprache Pius XI. zitiert, für den die Familie der „Traum Gottes für das Heil der Menschheit“ ist. Teresa von Avila meinte dagegen: „Welche Gnade, wenn Gott einer Frau die Tyrannei eines Ehemannes erspart. Sehr oft richtet er ihren Körper zugrunde. Und manchmal auch die Seele.“ Wer hat recht?

Vinken: Natürlich hat Teresa von Avila recht. Die Familie ist es doch in vielen Hinsichten eine grausame, blutige Angelegenheit. Das hält sich durch die Geschichte wie unkurierbar durch. Denken Sie an das Haus der Atriden. Auf der Familie liegt oft genug ein Fluch, ein unheimliches und unabwendbares Schicksal von Mord, Gewalt und Verbrechen. Die große liebende, sakramentale Stützung der Ehe durch die Kirche hatte historisch tiefgreifende Gründe: sie solle von den Mythen erlösen. Deshalb sollte ihre zeitlich veränderbare soziale Funktion aber nicht auf Dauer gestellt werden. Im Gegenteil hat die Kirche von vorneherein eine Alternative geboten, und mir scheint diese Alternative den modernen Verhältnissen angemessener als eine Verstetigung der überholten patriarchalischen Konstitution, die keineswegs ein Teil der Offenbarung ist, wie man meint.

Gerl-Falkovitz: Zweifellos ist die Gewaltverstrickung, gerade in der Familie, eine uralte Erfahrung. Der Geschlechterkampf ist nicht nur ein Wort; er ist Teil des irritierten Zustands der Menschheit. Schon in der Genesis verkehrt ein Fluch die eigentlich harmonische und ausgewogene Beziehung der Geschlechter. Je älter die Geschlechtermythen sind, desto tödlicher gehen sie übrigens aus. Mit dem Christentum gibt es aber doch das Versprechen, dass es anders gehen kann, dass auch das Geschlecht im Raum des Heiligen steht und ein glückhafter Ausgang möglich ist.

Wenn ich Frau Vinken höre, scheint das Verhältnis der Geschlechter von einer abgründigen Tragik betroffen zu sein. Die Ehe muss also ein riskantes Unterfangen sein. Wie kann die Kirche es mir da zumuten, diese Gefährdung einzugehen, die mit Unauflöslichkeit, Monogamie und dem Ja zum Kind verbunden ist?

Gerl-Falkovitz: Das ganze Leben ist eine einzige Gefährdung. Und natürlich betrifft dieses Risiko auch meine Geschlechtlichkeit. Wir sind über Geschlechtsbezüge ungeheuer verwundbar. Sexualität ist neben der Eltern-Kind-Beziehung die größte Quelle von Traumatisierungen – die nahezu untilgbar sind. Aber: Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt auch darin um. Man kann sich auch das Leben sparen. Es gibt aber eine Chance, die Risiken des Lebens zu bestehen, wenn man die Weisheiten im Ohr hat, unter welchen Bedingungen es erfahrungsgemäß am ehesten gelingt. Das Leben ist eine Bewährungsprobe. Es kommt etwas auf mich zu und ich weiß nicht, ob meine Kräfte dafür ausreichen. Die Kirche gibt uns aber die Erfahrungen weiter, von denen unbedingt auch zu den Jungen zu sprechen ist, wenn die Fahrt nicht unweigerlich an der Wand enden soll.

Vinken: Ich meine, die Kirche müsste eine andere Liebeslehre formulieren. Es war ein großer Fehler der Kirche, dass sie sich in der Neuzeit auf das eingelassen hat, was Michel Foucault den „Sexualdiskurs“ nennt. Foucault spricht von der älteren Tradition einer utopisch gedachten erotischen Kunst. Diese Kunst des Liebens wurde in der Neuzeit abgelöst durch das Wissen über den Sex und darüber, was sexuell ist und was wir sexuell sind. Dieses Wissen erfasst unsere ganze Existenz und die Art und Weise, wie wir uns selbst bestimmen. Der Ursprung dessen, zeigt Foucault, liegt unter anderem in den jesuitischen Beichtspiegeln. Man begann, über Sexualpraktiken zu reden und entwickelte ein System von Verboten und moralischen Forderungen, statt den Menschen eine positive Sicht auf Geschlechtlichkeit und ihre Rolle in der Liebe zu vermitteln. Warum hat man nicht auf die Kraft einer Liebeslehre vertraut, wie wir sie bei Teresa von Avila finden?

Gerl-Falkovitz: Wissen Sie, was Gilbert Keith Chesterton sagt? „Der christliche Hirte hütete keine Schafherde, sondern eine Horde von Stieren und Tigern.“ In der Antike war das Christentum mit orgiastischen Praktiken konfrontiert, die weiter gingen als das, was sich heute in Berlin abspielt – Sexualpraktiken, die bis zur absoluten Erschöpfung reichten, ja bis zum Tod. Da waren Stoppschilder nötig. Das Christentum wuchs und wuchs, es integrierte die germanischen Völker, die slawischen Völker, zahllose Kulturen. Dass dabei Sexualvorschriften nötig waren, ist völlig verständlich; darum müht sich übrigens jede Religion. Ich würde sagen, es geht um die Pädagogik einer alten, weisen Mutter. Ich komme aus einer ländlichen Gegend, in der ich als Kind noch einiges an Heidentum, an sexuellen Übergriffen, an Missbrauch und Vernutzung von Frauen erlebt habe. Wir sind in unserer Sexualität irritiert; es gibt vieles, was unheimlich bleibt, auch in christlichen Gesellschaften. Vielleicht sind wir erst heute an dem Punkt angekommen, wo wir über die reine Verbotslehre hinausdenken können. Nein, ich will mich verbessern: In der besten Tradition der Kirche läuft auch immer das Hohelied der Liebe mit. Mit welcher sonstigen Sexualkultur wollten wir eigentlich tauschen? Wir haben ja heute Vergleiche...

In der Tradition der Kirche wird Frauen vor allem die Gottesmutter als Vorbild vor Augen gestellt. Eine moderne Kritik daran lautet, Maria sei als Vorbild untauglich, weil sie unerreichbar ist: Sie ist Jungfrau und Mutter zugleich.

Vinken: Es ist doch kindisch, die Imitatio Mariae derart mimetisch zu verstehen. Das wäre eine absurde biologisch-naturalistische Verbuchstäblichung, die erst dadurch zustande kommt, dass man eine kurz geschlossene biologische Erklärung zurückbezieht auf einen Sachverhalt, der zuvor nie biologisch formuliert war. Es geht doch nicht darum, dass ich im biologischen Sinne zugleich Mutter und Jungfrau sein muss, um Maria nachzuahmen. Diese stumpfsinnige Literalisierung erinnert mich an die Kleriker und Ärzte, die nach dem Tod Teresas von Avila allen Ernstes nachforschten, ob sie tatsächlich die Stigmata empfangen habe; sie wurde exhumiert, ihr Herz medizinisch untersucht. Teresa hatte ja in einer Vision erlebt, wie ein Engel ihr einen Pfeil mit glühender Spitze in das Herz stößt. In einer völlig beschränkten Literalisierung missverstand man, wehrte man ab, was man als eine geistige Wirklichkeit nicht gelten lassen wollte. Die Liebe zu begreifen, lebendig werden zu lassen, das ist Imitatio Mariae.

Gerl-Falkovitz: Die Kirche hat immer auch auf der physischen Unversehrtheit Mariens bestanden. Sie hat eine paradiesische Seite, die über die symbolische Ebene hinausgeht und auch ihren Leib umfasst. Aber richtig ist, was Edith Stein gesagt hat: Eine Mutter, die nicht auch Jungfrau ist, ist keine richtige Mutter – eher eine Art Bruthenne, die dumpf auf ihrem Nest sitzt. Edith Stein sagt aber umgekehrt auch: Eine Jungfrau, die nicht Mutter ist, ist auch keine gute Jungfrau – sie ist eingesperrt in ihre sterile Selbstabschottung. Übrigens: Die Mariendogmen sind keine Aussagen über eine Art „theologisches Einhorn“, weit weg von uns. Sie sind im Gegenteil Aussagen über den erlösten Menschen, über unsere Zukunft. Taufe heißt „makellos“ werden, und zugesagt ist, einst mit Leib und Seele im Himmel zu leben. Auch wir müssen Christus auf mystische Weise gebären, wie Angelus Silesius sagt. Maria ist kein uneinholbares Fernziel, sondern das erlöste Dasein, auf das wir alle zulaufen sollen.

Im 19. Jahrhundert galten die populären Marienerscheinungskulte, allen voran Lourdes, den Zeitgenossen als Beweis für die intellektuelle Unterlegenheit des Katholizismus, für seine Irrationalität und Hysterie. Heute scheint die traditionelle Marienfrömmigkeit der Kirche selbst ein bisschen peinlich zu sein. Wie kommt das eigentlich?

Vinken: Die modernen Polemiken gegen Maria sind in der Tat atemberaubend. Das krasseste Beispiel ist vielleicht der Autor Émile Zola. Das Werk Zolas ist eine einzige antimarianische Polemik. Maria erscheint als Kindsmörderin und Volksverführerin, sie macht die Männer hysterisch, das Ave Maria ist ein Kupplervers, die Maiandacht ist schon eine Art Ehebruch, eine sinnliche Verführung durch Kerzen, Duft, Lieder und Bilder. Wahrscheinlich haben sich auch in diesem Fall die Katholiken mit dem Aggressor identifiziert und sich die Kritik an der Marienverehrung zu eigen gemacht. Das gilt in meiner Wahrnehmung besonders für Deutschland. Vielleicht hat es auch mit der Angst vor der Liebe zu tun, von der wir eben sprachen. Bei uns Deutschen ist der Drang nach Selbstbehauptung so groß, dass es uns nicht gelingt, uns hinzugeben und Maria einfach zu lieben. Wir haben vergessen, dass Symbolik auf Leibliches zielt und nicht einfach körperliche Verhältnisse meint: Der Leib ist zu erlösen, weil er den Geist im Körper umfaßt, also auch im Sex, statt diesen mit dem Körper abzuspalten. Dass die Ehe diese Hoffnung verkörpert, der Orgasmus eine Ahnung vom Paradies vermittelt, wie Donne schrieb, ist vielleicht ihre schönste symbolische Seite. Es wäre an der Zeit, auf der Grundlage erlöster Leiber über die Verbindlichkeit der Ehe nachzudenken.

Gerl-Falkovitz: Wir Nordalpinen haben in der Beziehung zu Maria wirklich die Unmittelbarkeit verloren. Der saure Regen der historischen Kritik hat die Gestalt Mariens regelrecht zersetzt und vielen damit die Möglichkeit zur Einfühlung genommen. So bleibt kein Raum mehr, in den man gerne eintritt, um dem Hellen, Einfachen und Heiteren zu begegnen. Maria steht für ein gelöstes Menschsein. Michelangelo nennt Maria die „Herrin, die die Gassen ins Frohe öffnet“. Das ist eine grandiose Formulierung.

Könnte es nicht sein, dass viele Menschen nichts mit Maria anfangen können, weil sie als Empfangende doch eine sehr passive Gestalt ist?

Vinken: Ganz und gar nicht. In der Ikononographie wird Maria bei der Verkündigungsszene oft mit einem Buch dargestellt. Das heißt, dass Maria das göttliche Wort, das in ihr Fleisch wird, empfängt, indem sie liest, begreift, versteht und so fruchtbar wird. Augustinus sagt, Maria habe zuerst mit dem Herzen und dann mit dem Leibe empfangen. Es gibt keine glorreichere, intelligentere Fähigkeit, als empfangen zu können.

Gerl-Falkovitz: Im Deutschen gibt es nur zwei Verbformen, Aktiv und Passiv, kein drittes Medium. Ich würde in Bezug auf Maria den Begriff „pathisch“ verwenden. Das meint: etwas frei zustimmend an sich geschehen lassen. Maria ist weder aktiv noch passiv, sondern pathisch, sie besitzt die Freiheit des Zulassens. Ganz anders in den antiken Mythen. Wenn dort von Frauen berichtet wird, die von Göttern besucht werden, ist das Geschehen immer unbewusst. Auf Danae fällt ein goldener Regen und sie wird schwanger. Zeus erscheint in einer Verkleidung und die Frau wird überwältigt und im Grunde vergewaltigt. Bei Maria ist das wirklich anders. Gott schickt einen Boten, Angelos, dem sie in Rede und Antwort standhalten kann. Und Maria fragt zweimal nach. Erst als sie zustimmt, geschieht das Große. Es geschieht eben nur mit ihr.

Vinken: Natürlich ist Maria nicht autonom und nicht autark, Gott sei Dank, ist man versucht zu sagen. Das würde nur wieder dem Subjektbegriff der Moderne entsprechen, wie er seit der Renaissance, spätestens seit der Aufklärung normativ ist. Diese moderne Idee vom autonomen Subjekt ist deshalb problematisch, weil sie männlich geprägt ist. Der Mann ist nach dieser Vorstellung nur für wenige Moment seines Lebens Mann, ansonsten ist er autonomes Subjekt. Die Frau ist immer Frau, also andauernd ihrer Geschlechtlichkeit unterworfen, und kann damit eigentlich nicht zum Subjekt werden.

Wenn wir über das Thema Frauen und Kirche reden, kommen wir an der Ämterfrage nicht vorbei. Frau Gerl-Falkovitz, Sie schreiben: „Ich habe selbst über längere Zeit hinweg die Argumente für eine Ordination der Frau so rationalisiert, dass ich dazu Ja hätte sagen können.“ Das klingt so, als würden Sie mittlerweile Nein sagen. Dennoch: Was spricht aus Ihrer Sicht für das Frauenpriestertum?

Gerl-Falkovitz: Dafür spricht, dass die Gleichwertigkeit von Mann und Frau sowohl im dreimaligen Segen des Schöpfers, als auch im Verhalten Jesu grundgelegt ist. Ich kenne keine andere Religion, die in ihren primären Schriften derart fundamental dieselbe Würde von Mann und Frau herausstellt. Etwas anderes betont allerdings das Handeln Jesu selber, wenn wir das Geschehen im Abendmahlssaal (und nicht nur das) als Ausgangspunkt nehmen. Hier ist offenbar ein dezidierter Wille Jesu erkennbar, nur die Zwölf einzuladen. Es gibt also klarerweise dieselbe Würde von Frau und Mann und – vielleicht gerade deswegen – einen unterschiedlichen Auftrag; Gott ist doch nicht einfallslos. Männer und Frauen werden von Jesus anders positioniert, das wird immer wieder sichtbar. Jesus wird von einer Frau geboren und erzogen, er wird zweimal von Frauen gesalbt, das heißt, in seiner messianischen Qualität bestätigt, Frauen begleiten ihn (bis zur letzten Stunde) und Frauen bezeugen seine Auferstehung, auch empfangen sie den Geist an Pfingsten. Aus dieser Positionierung von Frauen im Neuen Testament lassen sich, wie ich meine, nicht das Priestertum, vielmehr weitere Aufgaben von Frauen in der Kirche gewinnen. Dazu gehört die theologische und lehrmäßige Entfaltung der Heiligen Schrift, der Überlieferung, des Kirchenrechts und so weiter, das kirchliche Leitungsamt auf bestimmten Ebenen, aber auch – noch neu zu bestimmen – die Sakramentenspendung: die Taufe, die Salbung von Sterbenden und Kranken und möglicherweise auch die Beichte.

Vinken: Ich halte es nicht für zwingend, dass Frauen Priester werden. Aber natürlich braucht es eine viel stärkere weibliche Autorität in der Kirche. Die katholische Kirche funktioniert im Moment wie ein großer homosozialer, in Teilen auch homosexuell geprägter Männerbund. Das ist besonders traurig, weil die ganze Gesellschaft von derartigen Männerbünden bestimmt wird. Eine Gegenkraft dazu sollte die Kirche sein. Deswegen müssten Kardinäle weiblich sein können, wichtige Theologieprofessuren von Frauen besetzt sein. Wir brauchen eine massive souveräne Präsenz von Weiblichkeit in der Kirche, die mit den großen Äbtissinen und den Heiligen ja auch bis zum 19. Jahrhundert gegeben war.

Trotzdem fordern Sie nicht, dass Frauen Priester werden sollten. Warum nicht?

Vinken: Das hängt davon ab, wie man den katholischen Kultus berurteilt. Für mich handelt es sich um eine sehr bestimmte Verkehrung und Umbesetzung der antiken Opferkulte, die Phallus- und Kastrationskulte waren. Aus der Absetzung von diesen Kulten kann man lernen, dass ein Mann in seiner Keuschheit viel sichtbarer opfert, als es die Frau tut. Auf der symbolischen Ebene ist es deshalb etwas anderes, ob ein Mann Priester ist, oder eine Frau.

Sie sprechen von Keuschheit. Entscheidend ist also der Zölibat?

Vinken: Absolut. Sobald der Klerus nicht mehr zölibatär ist, ergibt das natürlich keinen Sinn mehr. Das Opfer, das der Mann bringt, wird durch die körperliche Keuschheit in ihm sichtbarer als bei der Frau.

Für die meisten Menschen stehen die Argumente gegen eine Priesterweihe für Frauen im Verdacht, nur der Sicherung des Status quo und damit dem Machterhalt der männlichen Hierarchie zu dienen. Was müsste die Kirche tun, um diesen Verdacht zu entkräften und in dieser Frage ihre Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen?

Vinken: Sie müsste, wie gesagt, wichtige Leitungspositionen mit Frauen besetzen. Die Verantwortung liegt wirklich aufseiten der Bischöfe und Kardinäle, also der Männer, die die Kirche leiten. Ich verstehe nicht, dass dieser Ausschluss von Frauen den Männern nicht unsagbar peinlich ist. Dass wir Frauen jetzt danach schreien müssen, auch beteiligt zu werden, ist unangenehm, aber weil sich die Hierarchie so unmöglich, ihren Töchtern gegenüber so ganz und gar unmütterlich verhält, leider unvermeidlich.

Gerl-Falkovitz: Für mich sind Kardinälinnen nicht das Ziel, sofern es sich dabei mehr um Ehrentitel und weitere Befugnisse von Bischöfen handelt. Wenn es um ein Recht zur Papstwahl geht und um klare Mitsprache in der Kurie: Ja, da lassen sich Frauen, zum Beispiel Äbtissinnen, denken. Mir ist jedenfalls eine stärkere Präsenz von Frauen im sakralen Bereich wichtiger, wo sie ihre angestammte, auch kulturelle Position haben. 

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