Fragen und Versprechungen der ReproduktionsmedizinTräume und Abgründe

Der gentechnische und medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat ungeahnte Kräfte und Möglichkeiten freigesetzt, die selbst im Vatikan Staunen verursachten. Was auf der einen Seite Erkenntnis für Heilung und Therapie bedeutet, bringt auf der anderen Seite viele ethische Fragen mit sich. Die Gesellschaft muss sich mit dem Dilemma konfrontieren: Darf der Mensch alles, was er kann?

Babyschnuller
© Kolja Fleischer / pixelio.de

Als Francis Crick und James Watson im Jahr 1953 die Doppelhelix, und damit die Grundstruktur des Erbgutes lebender Organismen entdeckten, war eines der größten Geheimnisse der modernen Wissenschaftsgeschichte gelüftet. Dafür gab es den Nobelpreis. „Wir glauben, dass die DNA ein Code ist. Wir denken, dass wir den grundlegenden Kopiermechanismus gefunden haben, mit dem Leben aus Leben entsteht. Du kannst verstehen, dass wir sehr aufgeregt sind“, so schrieb Francis Crick am 19. März 1953 an seinen Sohn. Das renommierte Wissenschaftsmagazin „Nature“ wird nur einen Monat später die Arbeit von Crick und Watson als das größte Ereignis der Biologie seit Charles Darwins Evolutionstheorie bezeichnen.

In einer kleinen Skizze von gerade 900 Wörtern hatten die beiden Forscher dem Molekül des Lebens Gestalt gegeben: der genetischen Substanz, die jedem Organismus von der Pflanze bis zum Tier innewohnt und seine Erbinformation speichert.

Lebenswissenschaften im Senkrechtstart

Die zweite Stufe der „lebenswissenschaftlichen Rakete“ wurde im Jahr 1998 gezündet. Sie ist mit dem Namen John Craig Venter verbunden. Seinem Unternehmen „Celera Corporation“ gelang es, im Wettlauf mit dem öffentlich aufgestellten „Human Genome Project“, das ehrgeizige Ziel der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms zu erreichen. Damit eröffnete er ein weites Feld praktischer biologischer, gentechnischer und medizinischer Anwendungen. Die Erkenntnis des Zusammenhangs von Genetik und Epigenetik, die endlich mögliche Zuordnung von Bedeutung, Struktur und Funktion genetischer Mechanismen im Organismus, macht umfassende technische „Nutzung“ möglich. Gentechnik-Unternehmen wie „23andMe“ und „bio.logis Genetic Information Management GmbH“ und viele weitere schießen aus dem Boden. Auf dem Feld der Lebenswissenschaften verbreitet sich Goldgräberstimmung.

Sollte man – im Bild bleibend – von einer dritten Stufe in der Eroberung des biogenetischen Weltalls sprechen wollen, hängt sie mit dem nur auf den ersten Blick kryptischen Begriff „CRISPR/Cas“ zusammen. Es sind die nobelpreisverdächtigen Forschungen der französischen Mikrobiologin, Genetikerin und Biochemikerin Emmanuelle Marie Charpentier – seit Oktober 2015 am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin tätig – und der amerikanischen Biochemikerin und Molekularbiologin Jennifer A. Doudna auf dem Gebiet der RNA-vermittelten Regulation durch das CRISPR/Cas-System, welche die Grundlage für die Entwicklung einer Technik geschaffen haben, mit der in bisher nicht gekannter Präzision gezielt und geplant Genveränderungen durchgeführt werden können.

Mit der Entdeckung der genetischen Struktur und Funktionsweise der Erbinformation lebender Organismen ist der Grundstein für den kometenhaften Aufstieg der Lebenswissenschaften, speziell der Zellforschung und Gentechnik gelegt. Das erregte selbst die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Päpste. „Die fortschreitende Entdeckung des genetischen Code und die immer detaillierteren Erkenntnisse der Anordnung des Genoms sind ein Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse, der unmittelbar ein berechtigtes Staunen weckt“ so Johannes Paul II. in seiner Ansprache an die Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 28. Oktober 1994.

Das wissenschaftliche Verständnis der menschlichen Genetik und der Grundfunktionen der Zellbiologie bildet die Grundlage und Voraussetzung für die Genese und Entwicklung der Reproduktionsmedizin und der damit entstandenen Fragen der ethischen Legitimität für In-vitro-Fertilisation (IVF) und Präimplantationsdiagnostik (PID), embryonale und adulte Stammzellforschung, medizinisches und reproduktives Klonen bis hin zu den Zielen genetischer Optimierung und Enhancement lebender Organismen. Diese Forschung ist einerseits verbunden mit ungeheuren Versprechungen an biologischen, medizinischen und gentechnischen Entwicklungsmöglichkeiten und Heilverfahren.

Andererseits aber erscheint die grundlegende Dialektik aller wissenschaftlichen Erkenntnis: Der dramatische Fortschritt ist zugleich ein unermesslicher Abgrund. Es ist Albert Einstein, der Physiker, Nobelpreisträger und spektakuläre Entdecker der Relativitätstheorie, der bereits in den Sechzigerjahren des zurückliegenden Jahrhunderts im Blick auf die grandiosen Hoffnungen der Kernspaltung und die friedliche Nutzung der Atomenergie schrieb: „Die Menschheit lebt heute, technisch gesehen im Atomzeitalter, aber ethisch in der Steinzeit.“ Im Kontext der rasanten Entwicklung der Lebenswissenschaften geht es um nicht weniger als die grundlegenden Prinzipien von Lebensrecht und Menschenwürde.

Ethik im Bereich der Lebenswissenschaften

Damit ist das grundlegende Dilemma und die Zukunftsfrage aller wissenschaftlichen Forschung benannt. Es geht nicht nur um die grundsätzliche ethische Position: Darf der Mensch alles, was er kann? Es geht darüber hinaus um die jeder wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung innewohnenden normative Dramatik: Wohin driftet eine Welt, wenn die Möglichkeiten menschlichen Könnens von den Dimensionen ethischer Verantwortung grundlegend abweichen? Das Grunddilemma zwischen Machbarkeit und Verantwortung brachte zuletzt der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme „Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“ (veröffentlicht 7. Mai 2014) zum Ausdruck.

Es ist der Deutsche Ethikrat, der sich in seinen Stellungnahmen zu Fragen der Lebenswissenschaften und in seiner Befassung mit ethischen Herausforderungen der Gentechnik und Biomedizin exemplarisch als Themengeber etabliert hat. Entsprechend dem Ethikratgesetz vom 1. August 2007 handelt es sich um einen unabhängigen Sachverständigenrat, der „die ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben“ beschäftigt.

Einen sehr aktuellen Blick auf Herausforderungen unmittelbarer Brisanz geben die Ad-hoc-Empfehlungen des Ethikrates. Sie stehen für ein je kurzes und prägnantes Format, in dem Akzente in der gesellschaftlichen Debatte laufender Fragen gesetzt werden sollen. Dazu gehören etwa exemplarisch: Stammzellforschung – Neue Herausforderungen für das Klonverbot und den Umgang mit artifiziell erzeugten Keimzellen? (15. September 2014); auch mahnte der Ethikrat Verbesserung der PID-Verordnung an (23. November 2012).

Grundlagen theologischer und medizinischer Ethik

Einen illustrativen Fokus auf die stets widersprüchliche, nicht selten heftige, aber immer vitale und plurale öffentliche Debatte solcher bioethischer Fragestellungen vermitteln die Jahrestagungen des Deutschen Ethikrates und die Dokumentationen der öffentlichen Diskussion der behandelten Fragen: Zugriff auf das menschliche Erbgut. Neue Möglichkeiten und ihre ethische Beurteilung (22. Juni 2016), Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Individuelle Lebensentwürfe – Familie – Gesellschaft (22. Mai 2014) sowie diverse öffentliche Anhörungen zu den Themen: Forschung an iPS-Zellen und an hES-Zellen, die durch Zellkerntransfer hergestellt wurden – neue Herausforderungen für das Klonverbot (8. Mai 2014); Möglichkeiten und Grenzen prädiktiver genetischer Diagnostik multifaktorieller Erkrankungen (3. Mai 2012); sowie Praxis der Präimplantationsdiagnostik im europäischen Vergleich (16. Dezember 2010).

Aufgrund der hohen Aktualität der genannten lebenswissenschaftlichen Forschungsbereiche und Debatten erklärt es sich von selbst, dass in der Reihe früherer Klassiker und Standard-Handbücher sowohl der theologischen wie der medizinischen Ethik wenig über die spezifischen Herausforderungen und Probleme neuester naturwissenschaftlicher, gentechnischer und biomedizinischer Forschung zu finden ist.

Dennoch gelten auch im Blick auf die veränderte neue Lage ethischer Themen die „alten“ grundlegenden Prinzipien und Axiome theologischer und medizinischer Ethik fort. Basis aller Diskussion ist und bleibt das Prinzip der Unantastbarkeit der Würde der menschlichen Person und des Lebensrechtes jedes Menschen, in theologischer Sicht vor dem Hintergrund des normativen Anspruchs von Offenbarung und Naturrecht, in medizinischer Perspektive vor dem Versprechen des Hippokratischen Eides und des ärztlichen Standesrechts. Die aktuelle Konkretisierung auf neu sich ergebende Herausforderungen muss je und je im Prozess der Forschung und des ethischen Urteils geleistet werden.

Geht es um kirchliche Grundlagentexte, kann primär die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre vom 8. Dezember 2008 „Dignitas personae. Über einige Fragen der Bioethik“ genannt werden, und aus deutscher Sicht die einschlägige Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz „Der Mensch: sein eigener Schöpfer? Zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin“ vom 7. März 2001.

Diese für die Positionierung der Katholischen Kirche maßgeblichen Stellungnahmen führen wesentliche argumentative Ansätze der Vatikanischen Glaubenskongregation und der Päpstlichen Akademie für das Leben zusammen, setzen auf den Duktus früherer päpstlicher Instruktionen, insbesondere „Donum vitae“ (1987) und der Enzyklika „Evangelium vitae“ (1995) auf und entwickeln eine konzine argumentative Linie. Maßstab ist eine theologisch-ethische Orientierung, die gewissenhaft Maß nimmt an den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biomedizin. Ziel ist die Begründung von Leitlinien und die kritische Grenzziehung gegen alle, der menschlichen Würde widersprechenden Entwicklungen der Reproduktionsmedizin.

Grenzen von „In-vitro-Fertilisation“, medizinisches und reproduktives Klonen, Herstellung von Mensch-Tier-Mischwesen, die Generierung embryonaler Stammzellen bis hin zur Produktion und Vernichtung überzähliger kryokonservierter Embryonen sind Thema. Neben der rein „technischen“ und biomedizinischen Argumentation verbindet sich hier die wissenschaftliche Argumentation mit pastoralen Ansätzen und zeigt auch Verständnis für das Leid ungewollter kinderloser Ehepaare. Außerdem werden therapeutische Ziele biogenetischer Forschung gegenüber den Grenzen der Unantastbarkeit des embryonalen Lebens von Anfang an markiert.

Auf der Grundlage der genannten ethischen Grundpositionen seien hier kursorisch und unsystematisch einige ausgewählte Themenstellungen und Fragen angetippt, die im Blick auf neueste biomedizinische Entwicklungen im Bereich der Reproduktionsmedizin und Gentechnik insgesamt entstehen. Erstens stellt sich im Kontext von Künstlicher Befruchtung (IVF) und Präimplantationsdiagnostik (PID) die Frage, wie es um das Verhältnis von elterlichem Kinderwunsch und dem embryonalen Lebensrecht steht.

Mit den neuen medizinischen Möglichkeiten der extrakorporalen Befruchtung entstanden prima vista ungeheure Hoffnungen für kinderlose Paare auf die Erfüllung ihres sehnlich gehegten Kinderwunsches. Manchen wurde geholfen. Viele blieben auch nach intensiven und aufwändigen Hormonbehandlungen kinderlos. Die „baby-take-home-rate“ liegt auch heute noch – trotz innovativer Forschung und neuer Technologien in der Reproduktionsmedizin – unter 20 Prozent. Vor allem aber steht ein ethisches Dilemma vor Augen: Dürfen per IVF generierte menschliche Embryonen vor ihrer Implantation auf genetische Fehler geprüft werden? Und wenn ja, können sie nach Präimplantationsdiagnostik mit ungünstigem Testergebnis verworfen werden? Die im deutschen Bundestag wie im Deutschen Ethikrat heiß diskutierte PID-Frage tangiert die grundsätzlichste aller Lebensrechtsfragen: Wann beginnt menschliches Leben und was ist es wert? Und sie bestimmt die Konsequenzen: Wenn Verfahren der Präimplantationsdiagnostik standardmäßig und regulär über Lebensrecht entscheiden, wird gesellschaftlicher Druck und systematische medizinische Beratung zum Ziel einer Selektion und Eliminierung behinderten Lebens führen?

Der perfekte Mensch?

Eine weitere Herausforderung im Zuge der biomedizinischen Entwicklungen drängt sich mit der neuen Reproduktionsmedizin und Gentechnik auf, weil sich dadurch die Frage nach dem Lebensrecht von Menschen mit Behinderung noch einmal anders stellt.

Wer bereit ist, Präimplantationsdiagnostik, und damit umfassende genetische Detektionsmethoden am Lebensanfang zu befürworten und zu finanzieren, an deren Ende mit geradezu zwingender Logik die Verwerfung des gendefekten Lebens steht, der muss sich auch darüber klar werden, welches Menschenbild des Menschen mit Behinderung dadurch generiert wird. Die Statistiken bestätigen, dass derzeit über 90 Prozent der Eltern nach der genetischen Diagnose Trisomie 21 oder Down-Syndrom einen Schwangerschaftsabbruch einer Geburt vorziehen. Wird das Signum Behinderung über kurz oder lang zu einem sicheren tödlichen Kriterium? Und die komplementäre Frage lautet: Müssen wir uns im Zeitalter einer breiten gesellschaftlichen Inklusionsdebatte von Menschen mit Behinderung nicht auf einen tiefen gesellschaftlichen Widerspruch aufmerksam machen lassen? Einerseits fordern wir im Sinne der Inklusionsdebatte im gesamten Bildungsbereich: Menschen mit Handicap müssen in die Mitte der Gesellschaft – ein klares Bekenntnis der UN-Behindertenrechtskonvention – andererseits aber befürworten wir genetische Tests, in deren Anwendung dieses Leben keine Chance hat?

Daran anknüpfend muss über die Frage der Kassenfinanzierung im solidarischen Gesundheitssystem diskutiert werden – vor allem angesichts des „PraenaTests“, der genetische Anomalien diagnostizieren kann. Durch die Entwicklung dieses pränatalen Testes der Firma LifeCodexx, bei dem aus der Blutprobe einer schwangeren Frau eine nicht invasive Untersuchung auf Chromosomenstörungen beim Embryo – nach Angaben des Konstanzer Unternehmens ein sicherer und schneller nicht invasiver Bluttest (NIPT) zur Bestimmung der fetalen Trisomie 21 (Down Syndrom), Trisomie 18 (Edwards-Syndrom), Trisomie 13 (Pätau-Syndrom), des Klinefelter-Syndroms, Turner-Syndroms, Triple X-Syndroms, und des XYY-Syndroms – möglich ist, ergeben sich weitreichende lebensrechtliche Konsequenzen. Wird durch den neuen non-invasiven und gegenüber der klassischen Fruchtwasseruntersuchung weitgehend risikofreien Praenatest „genetische Rasterfahndung“ (Peter Radtke) entstehen, die zu weitflächiger Selektion und Verwerfung embryonaler Menschen aufgrund von genetischen Defekten führt? Kann eine solche Aufgabe Teil der gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsfinanzierung sein?

Gentechnik diente und dient ohne Frage immer schon dem Ziel der Verbesserung der Potenziale lebender Organismen. Wird Enhancement und genetische Optimierung (23andMe – bio.logis – Craig Venter und die Folgen der Totalsequenzierung des Humangenoms) über zukünftige Lebenschancen entscheiden? Wird der perfekte Mensch auch den „imperfekten“ Menschen generieren? Wird ein Mensch mit Behinderung je noch eine Lebensversicherung zu realen Risikokosten abschließen können? Und wie soll die Büchse der Pandora je wieder geschlossen werden, wenn inzwischen im asiatischen Bereich vielfach genetische Selektion selbst mit dem Ziel des „social balancing“ betrieben wird? Mädchen zu sein ist aufgrund der gesellschaftlichen Wertschätzung in dramatisch vielen Fällen für das ungeborene Kind tödlich!

Der lange Kampf der Ethiker gegen embryonale Stammzellforschung hatte seinen klassischen Grund im Verdikt der Tötung menschlicher Embryonen, deren Vernichtung die Voraussetzung der Generierung embryonaler Stammzelllinien ist. Das deutsche Stammzellgesetz und die umstrittene „Stichtagsregelung“ ist ein Indiz dieser Debatte. Wenn der Anfang menschlichen Lebens – das sind offensichtlich naturwissenschaftliche, nicht „nur“ rein ethische Gründe – mit der Verbindung von Ei- und Samenzelle und der Kombination der beiden genetischen Strukturen beginnt, ist ein embryonaler Mensch mit Würde und Lebensrecht im Werden. Der Kampf gegen embryonenverbrauchende Forschung war und ist darum in ethischer Perspektive logisch und unausweichlich.

Muss heute nicht im Blick auf allerneueste Entwicklungen im Bereich der Biotechnik, der Potenziale der Reprogrammierung adulter somatischer Stammzellen zu induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen), die letztlich auch in nicht allzu ferner Zukunft therapeutisches und reproduktives Klonen möglich machen wird, und der Etablierung von CRISPR/Cas, einer Technik, die in bisher nicht gekannter Präzision gezielt und geplant Genveränderungen möglich macht, eine neue bioethische Auseinandersetzung und Debatte eröffnet werden? Schließlich geht es unter neuen biotechnischen Vorzeichen um das gleiche grundlegende Thema: Würde und Lebensrecht des Menschen in allen Phasen seines Lebens.

Fragliche „Dreierregel“ des Embryonenschutzgesetzes

Als Ergebnis künstlicher Befruchtung entstehen inzwischen weltweit Tausende kryokonservierter Embryonen. Die „Dreierregel“ des Embryonenschutzgesetzes, die die Zahl der Herstellung menschlicher Embryonen pro Zyklus der Frau begrenzt, wird in der Bundesrepublik offensichtlich weitgehend umgangen und damit wirkungslos. International findet ein Reproduktionstourismus statt, der strenge deutsche Regelungen seit Langem systematisch negiert. Die Zahlen der in der Reproduktionsmedizin generierten kryokonservierten Embryonen gehen in Deutschland in den fünfstelligen Bereich.

In den USA geht man von mehr als 100 000 verharmlosend sogenannten „snowflakes“ aus. Soll der verständliche und oft sehnlichst gehegte Kinderwunsch eines kinderlosen Paares eine Entwicklung stützen und begründen, bei der tausende kryokonservierter Embryonen „auf Halde“ generiert werden, über deren Zukunft keinerlei Idee außer der letztendlichen Verwerfung besteht?

Zu den avantgardistischen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin gehört seit Neuestem die Idee des „social freezing“. Vor allem innovative Unternehmen im Silicon Valley bieten ihren jungen Mitarbeiterinnen inzwischen an, die Entnahme und Kryokonservierung ihrer Eizellen zu finanzieren, um wertvolles Humankapital im Unternehmen zu halten. Der Kinderwunsch wird dann zu einem späteren frei wählbaren Zeitpunkt mit künstlicher Befruchtung realisiert und finanziert. Sollen wirklich ökonomische Ziele und berufliche Karriereplanungsoptionen den strikten Vorrang vor Familienplanungsoptionen bekommen? Oder soll ein sozialer Staat mit menschlichem Antlitz nicht besser junge Frauen in ihrem Kinderwunsch unterstützen zu einem Zeitpunkt, da die Natur es auch vorgesehen hat?

Das Potenzial der Biotechnik, von dem hier die Rede war, verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie, die anderen zu einer völligen Ablehnung. Beides ist falsch. Es gilt, ethisch richtige Ziele und Methoden in der Gentechnik zu unterstützen, falsche Zielsetzungen der Gentechnik zu durchschauen und weder alles zu glauben, was sie verspricht, noch alles zu tun, was sie ermöglicht. Gefordert sind Sensibilität und die Fortentwicklung moralischer Kompetenz. Insbesondere gilt es, die Grundkriterien einer Gesellschaft mit humanem Antlitz, die Achtung der Würde des Menschen, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in jeder Lebensphase, ebenso wie die Selbstbestimmungs- und die Freiheitsrechte jedes Menschen zu schützen und so einer Kultur des Lebens zum Durchbruch zu verhelfen.

Zukunftsherausforderungen und Aufgaben

„Wir rechnen damit, dass die Möglichkeiten der Lebenswissenschaften an den Grundwerten unserer Gesellschaft rütteln. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die durch die Lebenswissenschaften eröffneten neuen Möglichkeiten zum ganzheitlichen Wohl des Menschen genutzt werden können und wie ihr Missbrauch wirksam verhindert werden kann.“ Und: „Wir warnen davor zu glauben, diese Fragen mithilfe von Mehrheitsentscheidungen klären zu können. Menschenwürde ist nicht disponibel; sie liegt der staatlichen Gewalt voraus und bindet sie (…) Der Wert menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende gehört zu jenen Vorgegebenheiten, über die nicht abgestimmt werden kann.“

Diese luziden Grundsätze einer menschenwürdigen und menschendienlichen Perspektive der Lebenswissenschaften, verbunden mit einer nüchternen und dialektischen Wahrnehmung der höchst gefährdeten Situation des Lebens in einem neuen biomedizinischen Zeitalter stehen am Ende des bereits zu Beginn dieses Jahrtausends entstandenen Bioethik-Dokumentes der Deutschen Bischofskonferenz „Der Mensch: sein eigener Schöpfer? Zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin (7. März 2001). Drei zentrale ethische Aufgabenstellungen und zugleich politische Postulate für die Zukunft, die an drei wesentlichen gesellschaftlichen Regelungsbereichen Ökonomie, Wissenschaft und Politik andocken, sind dabei exemplarisch.

Erstens: „Das Nachdenken über den Menschen selbst darf in einem solchen gesellschaftlichen Diskurs nicht zu kurz kommen. Es muss überdies deutlich werden, dass ökonomische Gründe nicht hinreichen, um bestimmter ethisch nicht vertretbarer Forschung oder ethisch problematischen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Hinter manchen gentechnischen Forschungen und Entwicklungen verbergen sich auch zuweilen massive wirtschaftliche Interessen, die zu einer industriellen Verwertung und Nutzung des Menschen führen können.“

Zweitens: „An die Forscher in diesem Bereich ergeht der Appell, dass sie die menschendienliche Perspektive nicht aus den Augen verlieren. Zur Verantwortung des Forschers gehört es, dass er die Chancen und Risiken seines Forschungsgegenstandes verantwortungsbewusst überprüft, einer sorgsamen Folgenabschätzung unterzieht und über sein Tun gewissenhaft Rechenschaft gibt.“

Drittens: „Das Parlament ist gefordert, durch entsprechende Gesetze der Komplexität, den Risikodimensionen, den Zukunftswirkungen und den ethischen Implikationen der Gentechnik Rechnung zu tragen.“

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