GastkommentarRegierungsoffiziell und religiös?

Es war ein ungewöhnlicher Vorgang: Die Bundesregierung hat im Ramadan zum Fastenbrechen eingeladen. Ein Zeichen für das friedliche Miteinander der Religionen. Der Staat muss aber aufpassen, seine Neutralität nicht zu verlassen.

Wolfgang Thierse
„Wenn wir Ja zum Islam als einem Teil Deutschlands sagen, dann verlangt dieses Ja auch Fragen.“© Privat

Die Bundesregierung hat anlässlich des islamischen Fastenmonats Ramadan zu einem Empfang geladen. Das ist etwas gänzlich Neues. Daran teilgenommen haben neben islamischen Vertretern, unter ihnen die Sprecherin des Koordinationsrats der Muslime, auch der Präsident des Zentralrats der Juden, der Vorsitzende des Rates der evangelischen Kirche und der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken. Soweit mir erinnerlich, ist noch niemals ein religiöses Ereignis einer Religionsgemeinschaft auf solche Weise regierungsoffiziell nicht nur gewürdigt, sondern begangen worden.

Die Zeiten des Staatskirchentums sind schon einige Zeit vorbei. Der deutsche Staat, also auch die Bundesregierung, ist nach unserer Verfassung zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Deshalb fragen manche, wann denn nun die Kanzlerin zum Karfreitagsgebet oder zur Fronleichnamsprozession einzuladen gedenke. So konnte man es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen.

Aber lassen wir alle Ironie beiseite. Die Einladung von Integrations-Staatsministerin Aydan Özuguz und die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel sollten gewiss den inzwischen vielfach wiederholten Satz von Christian Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland“ durch eine Handlung, durch eine Geste gewissermaßen regierungsamtlich beglaubigen. In diesem Sinne sagte die Kanzlerin an dem Abend auch: „Es ist offenkundig, dass der Islam inzwischen unzweifelhaft zu Deutschland gehört“. Dass ihr diese Beteuerung notwendig erschien, verrät, wie wenig unzweifelhaft dieses Faktum ist. Und so beeilten sich CSU-Politiker denn auch sofort, ihrer Kanzlerin zu widersprechen.

Der Vorgang insgesamt hat etwas Exemplarisches für die Schwierigkeiten, die wir in unserem Lande haben mit der unabweisbaren Tatsache, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft und dass wir eine auf anstrengende Weise religiös-weltanschaulich pluralistische Gesellschaft (geworden) sind. Diese Tatsache anzuerkennen, gelassen und souverän mit ihr umzugehen, das ist offensichtlich eine ziemliche Herausforderung, die Misstöne, Ressentiments und Ängste bei vielen („Einheimischen“) erzeugt – und zwar vor allem gegenüber dem Islam beziehungsweise vor einer „Islamisierung des Abendlandes“.

Die Einladung reagiert auf diese bedrückende Stimmung, das ist verständlich und notwendig. Aber, nach der feierlichen Geste, nach all den Beteuerungen gilt es den Zumutungen des Pluralismus ins Auge zu sehen: Wenn wir Ja zum Islam als einem Teil Deutschlands sagen, dann erlaubt und verlangt dieses Ja dann auch Fragen – nach einer Reform des Islams, nach seiner Vielfalt, seiner inneren Differenzierung, seiner Theologie, nach den Unterschieden zwischen einem europäischen (deutschen?) Islam und dem Islam etwa in Saudi Arabien oder anderen islamisch bestimmten Staaten ohne Religionsfreiheit. Der Berliner Muslim Ahmad Mansour hat vor einigen Monaten geschrieben: „Wenn Kanzlerin Angela Merkel jetzt sagt, der Islam gehört zu Deutschland, dann möchte ich sie fragen, welcher Islam? Muslime gehören zu Deutschland, zweifellos. Aber mein Islam ist ein anderer, als der Islam der Hassprediger, ein Islam der nicht in eine Demokratie gehört“.

Die selbstverständlich auch für den Islam geltende Religionsfreiheit in Deutschland schließt also den Dialog, den Streit, die wechselseitigen Zumutungen und Infragestellungen der Religionen und Weltanschauungen ausdrücklich ein. Pluralismus ist eben keine Idylle. Der Staat des Grundgesetzes aber vertritt selbst keine Weltanschauung, er ist weltanschaulich neutral.

Genau auf diese Weise ermöglicht er die Religionsfreiheit seiner Bürger. So sehr die religiös-weltanschauliche Zurückhaltung des Staates die Garantie für die Religionsfreiheit der Bürger ist, so sehr bleibt dieser weltanschaulich neutrale Staat aber auf Menschen angewiesen, die sich in Weltanschauungs- und Religionsfragen nicht neutral verhalten – die sich ausdrücklich auf Fairness und Friedfertigkeit im Verhältnis zueinander verpflichten lassen! Dies gilt – selbstverständlich – auch für die muslimischen Bürger des Landes. Das zu zeigen, war wohl der Sinn der Einladung, hoffentlich nicht mehr, aber auch nicht weniger!

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