Bewegungen im Verhältnis der Grünen zur katholischen KircheAuf und Ab

Die Grünen hoffen auf ihr erfolgreichstes Jahr bei Wahlen und die Vertretung in -allen deutschen Landtagen. Seit Monaten verzeichnet die heute vielfach in bürger-lichen Milieus verankerte, einst antibürgerliche Partei stabile Umfragewerte um die 20 Prozent. Bei aller Bürgerlichkeit: Im Verhältnis zumindest zur katholischen Kirche zeigen sich neue Distanzierungen.

Es war das etwas angestaubte Tiefgrün der achtziger Jahre: Nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert Mitte Dezember 2010 öffentlich das Interesse von Benedikt XVI. mitteilte, im Deutschen Bundestag sprechen und damit einer schon Jahre zuvor ausgesprochenen Einladung folgen zu wollen, kam die von den Medien aufmerksam transportierte Kritik fast ausschließlich aus den Reihen der kleinsten Oppositionspartei.

Er halte davon „nichts“, erklärte Hans-Christian Ströbele, einziger grüner Mandatsträger mit Direktmandat, und kündigte an, bei der Rede des Papstes im Parlament seines Heimatlandes den Saal verlassen zu wollen. Er nehme „unserem Heiligen Vater“ (Ströbele ist katholischer Herkunft) „besonders übel, dass er sich in Lateinamerika nicht zu seiner Schuld und der seiner Kirche bekannt hat“. Auch Volker Beck, immerhin Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitglied des Ältestenrats, brachte Bedenken vor. Zu Recht sei der Bundestag zurückhaltend bei der Einladung ausländischer Staatsgäste. Und: „Der Papst ist in erster Linie das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft.“ Beck betonte – unter Verweis auf Äußerungen Benedikts XVI. zum Thema Homosexualität –, dass es im Ältestenrat keinen Konsens „für eine Einladung an den katholischen Bischof von Rom“ gebe. Er selbst habe dort kein Einvernehmen signalisiert.

Kaum drei Tage lang dauerte die Debatte um die grüne Kritik an, dann sprach Renate Künast im „Spiegel“ ein Machtwort. „Der Papst ist eingeladen, das ist in Ordnung so. Da gehen wir hin – und zwar respektvoll.“ Dass die Fraktionschefin an so prominenter Stelle so deutlich wurde und Beck, die Symbolfigur ihrer Partei für die Gleichstellung Homosexueller, zurückrief, hatte seine Gründe: Es mehrten sich die Mails oder Faxe, in denen Vertreter der Basis, vielfach aus dem im Landtags-Vorwahlkampf erhitzten Baden-Württemberg, ihren Unmut bekundeten. Solche Art von Kirchenkritik kommt nicht an bei der bürgerlichen Klientel. Diese Vorgänge zeigen die Spannungen, die beim Verhältnis zur katholischen Kirche das grüne Lager 2011 – nach wie vor oder auch wieder – prägen.

Paralleler Aufbruch im basiskirchlichen Spektrum

Denn das Miteinander beider Seiten wird kühler in jüngerer Zeit. Dem Prozess der Annäherung, die vor allem durch eine Nachholbewegung auf kirchlicher Seite Mitte der neunziger Jahre erfolgte und in einem ersten „Gipfeltreffen“ 1997 mündete, folgte eine Phase des abgeklärten Gegenübers zu Zeiten der rot-grünen Koalition bis 2005. Seitdem zeigt sich ein Abbruch, der vorrangig einem Personalwechsel auf Seiten der Grünen geschuldet ist. Anders als in den Jahren um die und nach der Gründung der „Antiparteienpartei“ 1980, als auch kirchliche Jugend in Bewegung war, sich gar nicht wenige ungeliebte Kinder der Kirche in der Einewelt-, Öko- und Friedensbewegung engagierten und doch die religiöse Sozialisation nicht ablegen wollten oder konnten, ist diese Verwurzelung heute seltener geworden. Dass der jüngste der neuen grünen Abgeordneten 2009 im Bundestags-Handbuch auf sein Pfadfinder-Engagement verweist und „röm.-kath.“ im Lebenslauf steht, ist eher die Ausnahme von der Regel.

Parteinachwuchs kommt heute eher aus der Parteijugend, aus Menschenrechts- oder Ökogruppen. In den Gründungsjahren hatte „das Wertkonservative“ der damaligen Bundesrepublik – nach dem ersten Einzug in den Bundestag 1983 verkörpert durch Namen wie Petra Kelly, Antje Vollmer und Christa Nickels – seinen eigenen Stand neben den Strömungen der Biobauern und mehr oder weniger geläuterten Kommunisten.

Parallel vollzog sich im basiskirchlichen Spektrum der kritische Aufbruch, der vor dem Berliner Katholikentag 1980 zur Initiative eines „Katholikentags von unten“ führte. Tom Schmidt, langjähriger Aktivist der „Initiative Kirche von unten“ (IKvu), ist noch heute Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Rat der Stadt Bonn. Und mehrfach traf sich das friedenspolitische Engagement im (basis-)kirchlichen Bereich mit den Anliegen der sich etablierenden Grünen. Beispielhaft seien hier nur der in den achtziger Jahren entstehende Ökumenische Prozess „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ und der Hamburger Evangelische Kirchentag 1983 genannt, die Kritik an atomarer Nachrüstung und das Engagement für fairen Welthandel.

Bemerkenswert ist die Unterschiedlichkeit, mit der Repräsentanten der verschiedenen Parteiflügel im Rückblick die Bedeutung des Christlichen und Kirchlichen als Korrektiv oder kritisches Gegenüber im Jahrzehnt nach der Parteigründung sehen. Nickels, von 1983 bis 2005 (mit Unterbrechungen) Abgeordnete des Bundestages, zeigt sich überzeugt, bei entwicklungspolitischen Themen und Fragen globaler Gerechtigkeit hätten in den achtziger Jahren „die Grünen trotz aller – teils schrill geführter – Auseinandersetzungen mit der Amtskirche häufig nachgerade als parlamentarischer Arm engagierter Christen“ agiert. „Umgekehrt hätte es ohne den Einsatz engagierter Christen und ohne die christlichen Kirchen niemals jenen Bewusstseinswandel gegeben, der für das Erstarken der Grünen unerlässlich war: das Wissen darum, dass wir anders leben und arbeiten müssen, damit wir nicht weiter auf Kosten der Armen und künftiger Generationen leben“, schrieb sie 2007 in einer Broschüre „Grüne Kirchenpolitik 1994 –2005“ rückblickend.

Dagegen gewinnt der christliche Motivstrang der so genannten Wertkonservativen in der fast 480-seitigen „Bilanz“ von Ludger Volmer (Bundestagsabgeordneter mit Unterbrechungen von 1985 bis 2005) „Die Grünen“ von 2009, dem Versuch einer Parteiengeschichte zum 30-jährigen Bestehen der Westgrünen, keinerlei Profil. Auf gerade mal knapp einer Seite handelte er die Freigabe der Abtreibung, seinen eigenen Austritt aus der katholischen Kirche, die Geschichte der Hexenverbrennungen und das „zerschnittene Tischtuch“ ab.

Dabei würdigt selbst das Grundsatzprogramm 2002, in dem die Partei erstmals ihr Verhältnis zu den Kirchen bestimmte, ausdrücklich in der Präambel den Beitrag der Christinnen und Christen bei der Entstehung der Grünen. Und es betonte, in vielen Fragen hätten die Bündnisgrünen die Kirchen als „wertvolle Bündnispartner“ erlebt.

Kirchliche Veränderungen und grüne Häutungen

Die schwierige Geschichte der katholischen Amtskirche mit den Grünen eskalierte 1986 – in Zeiten ausgeprägter personeller Identität zwischen Unionsparteien und katholischer Laienbewegung und diverser Wahlhirtenbriefe mit Empfehlungen oder eben auch Warnungen. Vor dem 89. Deutschen Katholikentag in Aachen unter dem Titel „Dein Reich komme“ schloss das mitgastgebende Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Grünen als einzige im Bundestag vertretene Partei von der Teilnahme aus. Begründet wurde dies unter anderem mit grünen Forderungen nach Streichung des Paragraphen 218 StGB und Auflösung der Bundeswehr.

In diesem Kontext prägte der damalige Präsident des Laienkomitees, Bayerns Kultusminister Hans Maier (CSU), das bald schon geflügelte Wort vom „zerschnittenen Tischtuch“ zwischen katholischer Kirche und grüner Partei. Über diverse Themen gab es in der Folge Kontroversen, bei denen beide Seiten – Bischöfe und führende Laien hier, Parteisprecher dort – einander wenig schenkten.

Dass es bis zur formellen Aufhebung dieses Verdikts elf Jahre brauchte, lag nicht nur an kirchlichen Veränderungen, sondern auch an grünen Häutungen. Da war zum einen der verpasste Wiedereinzug der West-Grünen in den nach der Wiedervereinigung vergrößerten Bundestag 1990, in dem dann – noch am Rhein – ein aufrechtes Häuflein ostdeutscher Repräsentanten von „Die Grünen/Bündnis 90“ als parlamentarische Gruppe agierte. Auf Bundesebene ging es um einen Neubeginn.

Da war zum anderen diverser konstruktiver Austausch in der Sache im Zuge der Diskussion des Embryonenschutzgesetzes 1990, das dann zu Jahresbeginn 1991 in Kraft trat. Anders als beim Streitthema 218 StGB gehörten die Grünen zu jenen politischen Kräften, die sich in der Argumentationsweise mit den Bedenken auch von kirchlichen Repräsentanten trafen. Kirchlicherseits wechselten derweil die Köpfe – auf den Kölner Kardinal Joseph Höffner folgte als Vorsitzender der Mainzer Bischof Karl Lehmann, auf Hans Maier als ZdK-Präsident die saarländische CDU-Politikerin Rita Waschbüsch; zudem sorgte die Mitte der neunziger Jahre aufkommende innerkirchliche Debatte um die kirchliche Mitwirkung an der Schwangerschaftskonfliktberatung für stärkere Nachdenklichkeit.

Und nicht zuletzt wollte die Bischofskonferenz angesichts der Abenddämmerung der von Helmut Kohl geführten schwarz-gelben Bundesregierung mit den Grünen als möglichem künftigen Regierungspartner gesprächsfähig sein. So kam es im Dezember 1997, zehn Monate vor der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag 1998 und also rechtzeitig, zum ersten Spitzentreffen. An einem neblig kalten Dezemberabend bereiteten Bischof Lehmann und der grüne Ex-Ministrant Joschka Fischer der Annäherung den Weg und ermunterten ihre jeweiligen Lager zu „sachlicher Auseinandersetzung“ statt antikirchlicher oder antigrüner Ressentiments. Der Fraktionsvorsitzende -Fischer war zu diesem langen Gespräch in Begleitung der damaligen Bundestagsvizepräsidentin Vollmer, der Vorstandssprecherin Gunda Röstel und der kirchenpolitischen Fraktionssprecherin Nickels erschienen – eine Garde kirchenaffiner Köpfe, die man im grünen Lager heute so kaum noch finden wird. Zum Tross Lehmanns gehörte damals übrigens auch der Paderborner Weihbischof Reinhard Marx.

Die Kirchen als thematisch nützliche Bündnispartner

Auch nach diesem Impuls war von „manchen Übereinstimmungen“ und – so die kirchliche Seite – „unüberbrückbaren“ Gegensätzen die Rede. Aber das Gespräch hatte – eigentlich zum ersten Mal – begonnen. Und das erste Spitzentreffen benannte bereits Konsens- wie Konfliktthemen, die seitdem die Ambivalenz des beiderseitigen Verhältnisses kennzeichnen. 2001, 2006 und – wegen des Führungswechsels bei der Bischofskonferenz bereits wieder – 2008 folgten weitere Treffen, 2004 auch ein Gespräch der Parteiführung mit der Führung des ZdK.

Beide Seiten stimmten bereits 1997 bei Fragen der Asyl- und Migrationspolitik oder entwicklungspolitischen Überlegungen überein, Kontroversen gab es beim Staat-Kirche-Verhältnis und bei Grundfragen der Familienpolitik. (Letztere verloren aber in den Folgejahren weiter an Bedeutung, da längst kein politisches Lager mehr annähernd den kirchlichen Erwartungen entsprach.) Rechtzeitig zum Bundestagswahlkampf veröffentlichte Nickels im Juni 1998 das Buch “Begründete Hoffnungen … Bündnisgrüne Politik und christlicher Glaube“, das wie eine Verstetigung des Willens zum Dialog wirkt und zugleich wieder die Grundfragen aufgriff.

Doch mit ihrer Anfrage an die etablierten staatskirchenrechtlichen Regelungen wetterleuchteten die Grünen schon viele Jahre vor einer nun breiter aufbrechenden Debatte. Auch das Wahlprogramm 1998 „Grün ist der Wechsel“ betonte: „In einer säkularen und pluralen Gesellschaft müssen Kirche und Staat getrennt sein“. Es sah die Kirchen als thematisch nützlichen Bündnispartner und drängte dann explizit auf Änderungen bei Kirchensteuern, Militärseelsorge und kirchlichem Dienstrecht. So sprach der damalige und heutige Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, von Positionen „querstehend“ zur katholischen Kirche, sah „höchst Fragwürdiges“ und erkannte „noch dieselben Punkte“ wieder, die in den achtziger Jahren Kardinal Höffners scharfe Kritik veranlasst hatten.

Die Wahl 1998 brachte den Wechsel. Grüne Köpfe kamen an die Spitzen diverser Ministerien, erfuhren des öfteren kirchliche Anerkennung (gerade Andrea Fischer und auch Joschka Fischer) und erlebten auch die Pragmatisierung programmatischer Politik durch Regierungsteilhabe. Längst hatten sich auch offizielle oder nicht offizielle Begegnungen zunächst am Rhein, dann an der Spree oder auch seit 1998 am Rande von Kirchen- oder Katholikentagen eingespielt. Vier Jahre später, 2002, tauchte im Programm „Grün wirkt“ noch die Frage des kirchlichen Dienstrechts auf mit der Forderung nach arbeits-, sozial- und tarifrechtlicher Gleichstellung der Wohlfahrtsverbände. Die anderen ehedem heißen Eisen waren indes verschwunden – schließlich hatten auch grüne Mandatsträger deutsche Soldaten in Kampfeinsätze geschickt und wussten nun um die Bedeutung von Militärseelsorge. Gleiches gilt für „Eines für alle: Das grüne Wahlprogramm 2005“.

Keine Zurückhaltung mehr bei staatskirchenrechtlichen Fragen

2005 kündigt sich jedoch bereits an, was 2009 dann umfänglich vollzogen ist: Der Blick geht weg von der Kritik an kirchenspezifischen Regelungen hin zur Integration des Islam in das deutsche Rechtssystem. Ist das zunächst nur die knappe Forderung, „dass der Islam als gleichberechtigte Religion rechtlich und politisch anerkannt und gesellschaftlich integriert wird“, folgt vier Jahre später im Wahlprogramm eine recht ausführliche Ausarbeitung zu Integration und Gleichstellung der „muslimischen Religionsgemeinschaften“.

Ob ein nächstes Wahlprogramm bei staatskirchenrechtlichen Fragen erneut die Zurückhaltung der vergangenen Wahlkampfzeiten pflegen würde? Zweifel sind erlaubt. Es häufen sich wieder die kritischen grünen Papiere. Die Koinzidenz zum sinkenden Ansehen der katholischen Kirche in Gesellschaft, Medien und Politik in Folge der nur als peinlich zu bewertenden Aufhebung der Exkommunikation des britischen Holocaustleugners Richard Williamson sowie der zahlreichen meist länger zurückliegenden Missbrauchsfälle in kirchlichem Kontext mag nicht zufällig sein.

Die Stimmung hat sich verändert

So beschloss die Landesversammlung der bayerischen Grünen Ende Oktober nach zweijährigen Vorarbeiten „Grüne Positionen zur Religionspolitik“ für Bayern, die angesichts eines „Wandels der religiösen Landschaft im Freistaat“ die „Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ sowie die „Ablösung der besonderen Rechte der christlichen Kirchen über den Verhandlungsweg“ vorsehen. Die Details sind vielfältig: Da geht es um die „Überprüfung und Ablösung“ des Konkordats, die „besonderen Privilegien“ kirchlicher Tendenzbetriebe im Arbeitsrecht, die Mitsprache der Kirche bei Lehrstuhlbesetzungen oder den Einzug von „?,Mitgliedsbeiträgen‘ einiger Religionsgemeinschaften“ mit Hilfe des staatlichen Zwangs zur Steuerzahlung.

Der letztlich überarbeitete Entwurf jener Kommission, die die Vorarbeiten geleistet hatte, war sogar noch deutlicher geworden: Er sprach prägnanter von einer notwendigen „deutlichen Entflechtung der derzeitigen Beziehungen zwischen dem Staat und den christlichen Kirchen“, plädierte explizit für die Überführung des Konkordats in einen Staatskirchenvertrag und bewertete den staatlichen Einzug der Kirchensteuern als „personalisierten Bekenntniszwang ohne Ausweichmöglichkeit“. Andererseits fand sich im Entwurf noch eine würdigende Passage zum Schutz von Sonn- und Feiertagen, die auch „einige wenige ‚Stille Tage‘“ als für die gesamte Bevölkerung tolerierbar erwähnte.

Die kirchliche Kritik an dem Papier entzündete sich unter anderem am „Schlagwort Privilegien“. Das sei „nicht in Ordnung“, so der Erzbischof von München-Freising, Reinhard Marx, der an massive Verluste der Kirche in der Säkularisierung erinnerte. Aber der wenig später zum Kardinal erhobene Marx räumte auch eigene Hausaufgaben ein, die in Skandalzeiten zweifelsohne schwieriger zu bewältigen sind: Kirche solle deutlicher machen, „was wir alles tun für die Gesellschaft“.

Vier Wochen später schaffte es ein Antrag mit ähnlicher Tendenz bei der Bundesdelegiertenversammlung in Freiburg zumindest auf die Tagesordnung, kam dann aber nicht zur Abstimmung – im baden-württembergischen Landtagswahlkampf wäre ein Votum vom politischen Gegner sicher goutiert worden. Die Delegierten überwiesen den von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen“ (BAG) der Partei vorgebrachten Antrag „Für eine Neugestaltung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland“ zur weiteren Beratung an den Vorstand und die Bundestagsfraktion.

Ziel ist eine „Überarbeitung“ der so genannten Kirchenartikel im Grundgesetz, die aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen wurden. Die Staatsleistungen an die Kirchen sollten zu einer gleichmäßig an „alle sich im Sozialbereich betätigenden, weltanschaulich, religiös oder neutral orientierten Gemeinschaften“ zu verteilenden Leistung umgebaut, die Kirchensteuer durch eine alternative Kulturabgabe ersetzt, der konfessionelle Religionsunterricht partiell zu „Religionsunterricht für alle“ ausgeweitet werden. Die Militärseelsorge fand übrigens diesmal keine Erwähnung, ähnlich wie die Frage des kirchlichen Dienstrechts.

Aber von seiten der BAG wurde bereits in Freiburg ein Vorstoß für eine Debatte über das kirchliche Arbeitsrecht angekündigt. Die Arbeitsgemeinschaft organisiert sich übrigens nicht über die Bundesebene, sondern aus diversen Landesarbeitsgemeinschaften. Die Schar von rund 25 Aktiven, die in den achtziger Jahren manches scharfe Wort formuliert hatte, scheint, wie ein weiterer kritischer Einwurf Ende Januar zur Papstrede im Bundestag andeutete, nach jahrelanger Stillarbeit, in der Anträge zu staatskirchenrechtlichen Fragen eher nur von einzelnen Kreisverbänden kamen, wieder reger zu werden. Bei allen grünen Anfragen an staatskirchenrechtliche Regelungen geht es in der Begründung nun offiziell stets um die Ausrichtung an einem neuen Religionsverfassungsrecht, das alle Religionen gleich behandeln solle und niemanden „bevorteilen“ dürfe.

Die Mitglieder sind kirchlicher als die aktiven Politiker

Schließlich: Schon seit vielen Monaten befasst sich die „Grüne Jugend Berlin“ engagiert mit dem Säkularismusthema und hat es damit Mitte 2010 auch schon in den Bundeskongress der Nachwuchsorganisation geschafft. Nun kennt man von Jusos, Julis und gelegentlich auch Jungunionisten die Vorliebe für das klare Wort. Doch wie unter Einbeziehung von Organisationen wie der Humanistischen Union, dem Humanistischen Verband Deutschlands, Freidenkern und „progressiven Vertreter-Innen der christlichen Kirchen“ die Streichung des Gottesbezuges im Grundgesetz und dessen Ersatz durch die Festschreibung einer laizistischen Grundordnung, die Abschaffung staatlicher Leistungen, die Umwandlung theologischer Fakultäten zur Vermittlung von Religionswissenschaften thematisiert wird, bleibt bemerkenswert. Mancher Beobachter sieht gerade in diesem Berliner Engagement noch eine Fernwirkung des gescheiterten Berliner Volksentscheids „Pro Reli“ von 2009 zur rechtlichen Gleichstellung des Religionsunterrichts mit dem staatlichen Ethikfach.

Die Veränderung in der Stimmung, die hinter diesen Einzelbefunden steckt, beschränkt sich sicher nicht auf das grüne Lager. Auch von Seiten der SPD und Liberalen kamen – bei den Sozialdemokraten eher von Splittergruppen, bei den Liberalen auch vom Generalsekretär – in jüngerer Zeit des öfteren Anfragen an das geltende Staat-Kirche-Verhältnis. Und immer wieder wird die Integration des Islam als Beleg einer Notwendigkeit neuer religionsverfassungsrechtlicher Regelungen angeführt, die auch Defiziten bei der strukturellen Verfasstheit der Muslime entgegenkommen sollen. Jedoch fällt auf Seiten der Grünen die programmatische Veränderung während der Jahre seit 1998 besonders auf.

Dabei benannten die Bulletins und Erläuterungen nach den diversen Spitzengesprächen jeweils, dass Übereinstimmungen und Kontroversen vorrangig in Sachfragen angesprochen wurden. Die Grundanfrage an das Staat-Kirche-Verhältnis, die nach 1998 aus den Wahlprogrammen verschwand, wird wohl beim nächsten Termin auf der Agenda stehen.

Angesichts dieser Grundfragen mag die personelle Prägung der führenden grünen Akteure interessant sein. Es gibt diverse prominente Katholiken bei den Grünen, so ist beispielsweise seit einigen Jahren neben Christa Nickels und Josef Winkler, ihrem ausgesprochen engagierten Nachfolger als Sprecher der Bundestagsfraktion für Kirchenpolitik und interreligiösen Dialog, auch der Grünen-Chef im baden-württembergischen Landtag und aktuelle Spitzenkandidat Winfried Kretschmann, Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Auch der grüne Bremer Umweltsenator Reinhard Loske ist katholisch.

In ihrer Popularität jenseits der Partei reichen sie alle nicht an die prominenten Protestanten im grünen Lager heran, Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (die übrigens bei Personalentscheidungen auf Bundesdelegiertenversammlungen meist nur Zustimmungswerte in der unteren Mittelklasse verbuchen kann) oder auch deren Vorgängerin Antje Vollmer. Was für die genannten wie für weitere kirchlich gebundene Grüne gilt: Sie finden sich deutlich eher im heute gerne als Realos bezeichneten Milieu als bei den „Fundis“ – auch wenn Kretschmann ein Beispiel für jene ist, die sich vor vielen Jahren nach dem Kirchenaustritt bei kommunistischen Gruppen engagierten und im Prozess der Wieder-Verbürgerlichung auch den Schritt zurück in die Kirche gingen.

Innerhalb des Bundesvorstands der Partei findet sich niemand, der für kirchliche Nähe bekannt ist. Gleiches gilt für den Vorsitz der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung: Ralf Fücks hat eine westdeutsche KBW-Vergangenheit und ist einer der intellektuellen Köpfe der Partei. Von ihm ist ebenso wenig wie von seiner Mitstreiterin Barbara Unmüßig besonderes Interesse für das Thema Kirche bekannt.

In der laufenden Legislaturperiode des Bundestages geben laut einer Statistik des Parlaments vom Frühjahr vorigen Jahres 29,4 Prozent der 68 grünen Mandatsträger eine Zugehörigkeit zu einer der großen Kirchen an  (13,2 Prozent katholisch, 16,2 Prozent evangelisch), 5,9 Prozent bezeichnen sich als konfessionslos. 61,9 Prozent lassen jede Angabe zu dieser Frage offen. Das entspricht den Schwankungen der vergangenen Wahlperioden; mal verzichteten (im Jahr 2002) lediglich 52 Prozent, mal (1994) gut 75 Prozent auf eine Angabe zur konfessionellen oder religiösen Bindung.

Gleichwohl fällt auf, dass der Anteil der (bekennenden) Kirchenmitglieder seit 1994 stets unter dem Vergleichswert im Parteivolk liegt. Denn laut einer erstmaligen Untersuchung im Rahmen einer neuen Studie sind rund 19 Prozent aller grünen Parteimitglieder katholisch sowie 36 Prozent evangelisch (Als Vergleich zu diesen 55 Prozent: Die CDU kommt noch auf gut 81 Prozent.)

Doch die Grünen wären nicht die Grünen, wenn sie nicht bei Sachentscheidungen gelegentlich ihren eigenen Weg gingen. Mitte Dezember, Tage nach der Aufregung um die Papstrede im Bundestag, debattierte das Parlament anderthalb Stunden über Glaubensfreiheit und Verfolgung religiöser Minderheiten. Dass das Plenum schlussendlich zwei in Details unterschiedlich akzentuierten Anträgen – sowohl der Vorlage der Koalition als auch der der SPD – zustimmte, war auch darauf zurückzuführen, dass die allermeisten Grünen das bei beiden Konzepten taten.

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