LiturgieWie am Karfreitag für die Juden beten?

Der Vatikan hat eine neue Formulierung der umstrittenen Karfreitagsfürbitte für die Juden im „tridentinischen“ Ritus vorgelegt. Sie ist moderater als die Fassung des Messbuchs von 1962. Dennoch stößt sie nicht nur in jüdischen Kreisen auf Kritik.

Sie gehörte zu den Sollbruchstellen der Aufwertung des tridentinischen Ritus als „außerordentliche“ Form der römischen Liturgie: die Karfreitagsbitte für die Juden im jetzt wieder häufiger verwendeten Messbuch von 1962.

Warnungen vor Gefährdung des jüdisch-christlichen Dialogs

Schon in der lange andauernden Diskussion im Vorfeld der Veröffentlichung des Motu proprio „Summorum Pontificum“ am 7. Juli 2007 von Benedikt XVI. wurde darauf aufmerksam gemacht, dass mit einer offiziellen Anerkennung des traditionellen Ritus auch Formulierungen übernommen werden, die aus der Sicht der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils höchst problematisch sind (vgl. HK, August 2007, 398ff.). Ausdrücklich mit Blick auf die Karfreitagsbitte befürchtete schon vor einem Jahr der Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine Störung des katholisch-jüdischen Dialogs. Rasch nach der Veröffentlichung des päpstlichen Schreibens gab es dann entsprechende Proteste von jüdischen Vertretern. Sie warnten vor einem Rückfall in den überwunden geglaubten Antijudaismus und einer Gefährdung des jüdisch-christlichen Dialogs.

Jetzt hat der Vatikan in einer Note seines Staatssekretariats Anfang Februar eine neue Formulierung der Karfreitagsbitte vorgelegt, um die Bedenken zu zerstreuen. Die zwangsläufig lateinische Formulierung lautet übersetzt: „Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen (...). Allmächtiger ewiger Gott, der Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus unseren Herrn. Amen“.

Keine offen anti-judaistischen Formulierungen

Sie ist gedacht für alle Gemeinschaften und Personalpfarreien, die durchgängig und somit auch am Karfreitag nach der alten Form feiern dürfen. Alle anderen Gläubigen sind bekanntermaßen gehalten, das Triduum Sacrum in der „ordentlichen Form“ des römischen Ritus zu feiern. In der neuen Bitte werden Formulierungen vermieden, die offen anti-judaistisch sind. Erst Johannes XXIII. setzte durch, dass die Rede von den „treulosen Juden“ beziehungsweise von der „jüdischen Untreue“, wie sie im ursprünglichen Messbuch des tridentinischen Ritus von 1570 zu finden ist, aus den Karfreitagsfürbitten verschwand. Aber selbst die Neuausgabe von 1962 sprach noch wie das alte Missale Romanum von der „Verblendung“ der Juden, dem „Schleier auf ihrem Herzen“ und der „Finsternis“, der sie „entrissen“ werden sollten.

Doch auch die neue Formulierung ist – nicht nur in jüdischen Kreisen – auf Kritik gestoßen. Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni stellte fest, dass die Bitte weiterhin inakzeptabel sei und einen „Stolperstein“ im christlich-jüdischen Dialog bedeute, weil sich in der Sache nichts geändert habe. Bedenken äußerte auch Abraham Foxman, Direktor der Anti-Defamation League (ADL) in den USA. Juden würden erneut dazu aufgerufen, ihre religiöse Identität aufzugeben. Der jüdische Publizist Günther B. Ginzel sprach von einem „Liebesdienst an antijüdische, reaktionäre Kreise“ in der katholischen Kirche. Auch der Kölner Rabbiner Netanel Teitelbaum zeigte sich irritiert.

Andere Rabbiner haben demgegenüber zur Mäßigung aufgerufen und daran erinnert, dass das Gebet für die katholische Liturgie formuliert sei. David Rosen, Präsident des Internationalen Jüdischen Komitees für den interreligiösen Dialog (IJCIC), nannte die Ankündigung der Italienischen Rabbinerversammlung, das Gespräch mit der katholischen Kirche für eine „Denkpause“ auszusetzen, unbesonnen. Man dürfe kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber es werde auch nichts gewonnen, wenn man aus der Angelegenheit einen „casus belli“ mache. Der Augsburger Rabbiner Henry G. Brandt sieht in der Neufassung eine „bedeutende Verbesserung“ gegenüber den früheren Texten. Der Vatikan hätte allerdings gut daran getan, dieses Problem schon vor der Wiederzulassung des alten Ritus zu lösen, gab Brandt zu bedenken. Dann wäre „viel böses Blut vermieden“ worden.

Endzeitliche Hoffnung oder Aufruf zur Judenmission?

Kardinal Walter Kasper, als Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen auch für die Beziehungen zu den Juden zuständig, plädierte angesichts der jüdischen Kritik dafür, die neue Formulierung vom Ende her zu lesen. Die Bitte um die Bekehrung der Juden sei eine „endzeitliche Hoffnung“. Ausdrücklich habe der Papst sich auf den Römerbrief bezogen (Röm 11). Benedikt XVI. könne nicht streichen, was das Spezifische des christlichen Glaubens sei: der Glaube an Jesus Christus als Erlöser aller Menschen, „das heißt nach unserer Überzeugung auch der Juden“. Der „eschatologische“ Horizont zeige an, dass keine Judenmission angezielt sei. In der Zwischenzeit müsse man sich vielmehr „Schulter an Schulter“ in aller Unterschiedlichkeit gegenseitig anerkennen.

Indessen lehnen auch katholische Theologen die neue Formulierung ab. Der Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards etwa räumt ein, dass die neue Fassung zwar auf Formulierungen verzichte, die unmittelbar negativ klingen. Vor allem aber die Bitte, dass Gott die Herzen der Juden erleuchten solle, „damit sie Jesus Christus erkennen als den Retter aller Menschen“, gebe Anlass zu Missverständnissen. Aus jüdischer Sicht müsse die Formulierung anstößig wirken, da sie die jüdische Identität infrage stelle und ihren spezifischen Wert auch für Christen nicht anerkenne. In der Fassung des Missales von 1970 sei aufgrund der erschütternden Erfahrungen der Zeit der Nationalsozialisten dagegen bewusst die Frage nach der Konversion zum Christentum offen gelassen worden.

So heißt die Karfreitagsbitte in der „ordentlichen“ Form des römischen Ritus: „Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sie sein Ratschluss führen will. (...) Allmächtiger ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt.“

Die Formulierung Benedikts XVI. ist Kurskorrektur

„Diesen ,theologisch-hermeneutischen‘ Paradigmenwechsel durch Paul VI.“, so Gerhards, lasse die Formulierung Benedikts XVI. „kaum mehr erkennen“. Das sei eine „deutliche Revision und Kurskorrektur“. Es stehe sogar zu befürchten, dass die neue Formulierung als „Lesehilfe“ für die 1970 eingeführte Fassung gedacht sei. Der Papst sei mit dieser offensichtlich nicht einverstanden.

„Der ,worst case‘ wäre, wenn die Version für den alten Ritus auch für den regulären vorgeschrieben würde“, warnt Gerhards. Genau dies fordert der Philosoph Robert Spaemann, der sich seit Längerem, unter anderem mit dem Verein Pro missa tridentina, für den tridentinischen Ritus engagiert, in einem Band zum Streit um die beiden Formen des römisch-katholischen Ritus (Albert Gerhards [Hg.], Ein Ritus – Zwei Formen. Die Richtlinie Papst Benedikts XVI. zur Liturgie, Freiburg 2008, im Erscheinen, 99).

Beten und Glauben sollen sich gegenseitig interpretieren

Die entscheidende Frage lautet, inwiefern sich Juden heute aus christlicher Sicht um ihres Heiles willen zwingend an Jesus Christus orientieren müssen; mit anderen Worten: ob Judenmission heute möglich oder gar geboten ist. Das ist nicht die offizielle theologische Position der vergangenen Jahrzehnte nach „Nostra aetate“, der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die nicht-christlichen Religionen. Insofern bleibt angesichts der missverständlichen Formulierung tatsächlich die Frage, ob hier nicht über den Umweg liturgischer Gebete theologische Irritationen entstehen – die möglicherweise sogar gewollt sind. Denn ansonsten hätte man ja einfach die Variante aus dem Jahr 1970 wählen können.

Zur Tradition der Kirche gehört die Maxime lex orandi, lex credendi, nach der Beten und Glauben sich gegenseitig interpretieren. Wo es zwei in bestimmter Hinsicht gegenläufige Versionen von bestimmten Gebeten gibt, kann dies nicht ohne Auswirkungen auf den Glauben bleiben. Die Bedenken der Kritiker der „außerordentlichen Form“ des römischkatholischen Ritus, er sei eben nicht in erster Linie nur eine Frage der liturgischen Ästhetik, sondern transportiere zum Schaden der Kirche eine überwundene Theologie, erhalten hier jedenfalls neue Nahrung.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

Die Herder Korrespondenz im Abo

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen