Die Vollversammlung des ÖRK in Porto AlegreWohin steuert die ökumenische Bewegung?

Vom 14. bis 23. Februar tagte in Porto Alegre im Süden Brasiliens die neunte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die erste im traditionell katholisch geprägten Lateinamerika. Dem ÖRK gehören derzeit fast 350 größere und kleinere nichtkatholische Kirchen aus allen Weltregionen an. Nach Porto Alegre bleibt die Frage offen, welche Rolle er in der ökumenischen Bewegung in Zukunft spielen kann.

Im brasilianischen Porto Alegre fand im Februar die 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK, Sitz in Genf) statt. In den Medien wurde darüber kaum etwas berichtet. Ist das ein Zeichen für die Krise und Stagnation in der ökumenischen Bewegung oder nur ein Hinweis auf zufällig schwache Konferenzergebnisse. Bevor diese Fragen beantwortet werden, sei jedoch als positives Fazit hervorgehoben, dass trotz aller konfessioneller und internationaler Spannungen es in der Christenheit einen Fundamentalkonsens gibt; ferner seien kurz die Beziehungen zwischen dem ÖRK und der römisch-katholischer Kirche skizziert. Die dem ÖRK angehörenden 348 orthodoxen und protestantischen Kirchen aus 120 Ländern haben trotz aller Vielfalt untereinander einen fundamentalen Konsens im Glauben an den dreieinen Gott, und dieser ist identisch mit den wesentlichen Aussagen der ersten Enzyklika von Benedikt XVI. „Gott ist Liebe“. Ein Vergleich der Enzyklika über die Liebe Gottes mit der Meditation des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. von Konstantinopel und mit den Predigten und Bibel arbeiten in Porto Alegre über die Gnade Gottes, welche die Welt- und die Menschen verwandelt, belegt diesen Konsens.

Gegensätzliche kirchliche und theologische Interessen

Von allen Beteiligten in Porte Alegre (inklusive der offiziellen Beobachterdelegation der römisch-katholischen Kirche) wurde die spirituelle Ausrichtung der Konferenz gerühmt. Das Thema war als Gebet formuliert: „In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt.“ Von der Gnade und Liebe Gottes erwarten die Christen Heilung und Versöhnung in der zerrissenen Menschheit. Das Gottes-, Welt- und Menschenbild, das hier verkündigt wird, gibt angesichts einer verunsicherten Sehnsucht nach gemeinsamen Werten allen Christen eine Orientierung im Dialog mit Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen und auch in der Zusammenarbeit mit weltlichen Institutionen bei der säkularen Weltgestaltung.

Für die ökumenischen Zielvorstellungen bedeutet diese vertikale und horizontale Dimension des Glaubens, dass die Bemühungen um eine sichtbare Einheit der Kirche und die Verantwortung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zusammengehören. Beides prägte die Tagesordnung von Porto Alegre. Beim ÖRK gibt es jedoch, traditionell und abgekürzt formuliert, tendenziell zwei „ökumenische“ Interessen: die „Einheits-Ökumene“ und die „Gerechtigkeits- und Friedens-Ökumene“. Zwischen beiden bestehen Spannungen, wenn jemand nur ein Thema als die eigentliche Ökumene betreibt. Zur Einheit im Glauben gehört aber die Einheit in der Liebe, die Solidarität und die Verantwortung für eine gerechte und friedvolle Weltgestaltung. Und umgekehrt ist das praktische Christentum angewiesen auf die theologische und ethische Grundlegung, die aus dem christlichen Glauben an Gottes Wirken in der Welt kommt. Auch das Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils hat diesen Zusammenhang eindrücklich betont (Nr. 12). Konflikte treten zutage, wenn Christen und Kirchen aufgrund unterschiedlicher Gesellschaftsanalysen und politischer Programme zu verschiedenen Entscheidungen kommen, wie Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung am besten erreicht oder bewahrt werden. Das ist in jeder Kirche so, und das ist in der Ökumene so. In Porto Alegre wurde das vor allem beim Miteinander und beim Gegenüber der Kirchen des „Ostens“ und des „Westens“ mit ihren orthodoxen und abendländischen Traditionen sowie der Kirchen des „Nordens“ und des „Südens“ mit ihren unterschiedlichen Lebensbedingungen deutlich. Verschiedene Dialogkulturen und gegensätzliche kirchliche und theologische Interessen aufgrund des jeweiligen Kontextes bescherten eine Tagesordnung, welche bei den einen Irritationen und Sorgen um einen Substanzverlust des ÖRK, bei anderen jedoch Freude am „Raum der Begegnung und der Vielfalt“ auslöste. Der ÖRK galt oder gilt als „das privilegierte Instrument“ der modernen ökumenischen Bewegung. Denn er wurde 1948 mit dem Ziel gegründet, alle christlichen Kirchen zu einer einzigen großen Familie zusammenzuführen, um gemeinsam das Evangelium in Wort und Tat in der Welt zu bezeugen. Gemäß seiner „Basis“ ist er „eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Dieser Basis (die übrigens auch die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland trägt, deren Mitglied die römisch-katholische ist) wird selbstverständlich auch katholischerseits zugestimmt. Die römisch-katholische Kirche hielt sich anfangs noch vom ÖRK zurück; sie trat erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den sechziger Jahren in die ökumenische Bewegung ein und unterhält seitdem mannigfache Beziehungen zum ÖRK. Benedikt XVI. wünschte in einer Grußbotschaft, „die vierzigjährige fruchtbare Zusammenarbeit fortzusetzen“. Eine 20-köpfige Delegation mit Kardinal Walter Kasper, dem Präsidenten des Vatikanischen Rates für die Einheit der Christen, an der Spitze unterstrich, wie ernst dieser Vorsatz in Rom genommen wird.

Die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und ÖRK

Die römisch-katholische Kirche, die allein 60 Prozent der Christenheit ausmacht, ist nicht Mitglied des ÖRK geworden, weil sie mit ihrer hierarchischen weltkirchlichen Struktur ganz anders als die anderen zumeist national oder landeskirchlich verfassten Kirchen ihr globales „ökumenisches“ Kirchesein und ihre Dienste in der Welt wahrnimmt. Die nichtkatholischen Kirchen erleben erst durch den ÖRK ihre universale Ökumenizität und brauchen ihn unerlässlich als Gemeinschaft von Kirchen, die selbständig bleiben und sich doch verpflichten, gemeinsam zu leben und auf die sichtbare Einheit der einen Kirche Christi hinzuwirken. Zu den „strukturellen Gründen“ der Nichtmitgliedschaft der römisch-katholischen Kirche gehört theologisch auch das universale Einheitsamt des Papstes in der Nachfolge Petri, welches in der dogmatisch festgelegten Form keine andere Kirche teilt. Es werden Irritationen befürchtet, wenn der Eindruck entstünde, es gäbe neben oder über der universalen Autorität des Papstamtes noch eine ökumenische interkonfessionelle Autorität.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Vatikan und dem ÖRK wird durch eine Gemeinsame Arbeitsgruppe koordiniert. Auf Stabsebene geschieht zwischen Rom und Genf auf vielfältige Weise ein gegenseitiger Austausch mit Absprachen. Katholische Mitarbeiter wirken auch hauptamtlich in Kommissionen des ÖRK und in der Ökumenischen Hochschule in Bossey/Schweiz mit. Besonders intensiv ist die katholische Mitarbeit in der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, bei der es satzungsmäßig möglich ist, dass Vertreter von Nichtmitgliedskirchen offizielle Mitglieder sind. Einer der ersten katholischen Delegierten war Professor Joseph Ratzinger; heute gehören zwölf katholische Theologen der Kommission an, welche vor allem die theologischen Fragen der sichtbaren Einheit der Kirche behandelt. Auch die jährliche Gebetswoche für die Einheit der Christen wird gemeinsam vorbereitet. In den siebziger Jahren gab es einen gemeinsamen Ausschuss für Gesellschaft, Entwicklung und Frieden (SODEPAX: Society, Development and Peace), der nicht nur Studien zu einer ökumenischen Sozialethik verfasste, sondern auch gemeinsame befreiungstheologisch inspirierte Aktionen in verschiedenen Teilen der Welt plante. Die Koordination mit zuständigen Stellen im Vatikan klappte jedoch nicht, so dass der Ausschuss 1980 aufgelöst wurde. Es zeigte sich, dass die römisch-katholische Weise, auf Weltebene ihre Position mit dem Heiligen Stuhl und mit einem Netz von diplomatischen Nuntiaturen einzubringen schwerlich mit dem oft basisdemokratischen Vorgehen des ÖRK zu vereinbaren war. Darum kommt es auch bis heute kaum zu einem gemeinsamen Auftreten von ÖRK und Vatikan etwa bei UNO-Konferenzen. Häufig hat der Vatikan längst eine lehramtliche Position, während der ÖRK als eine Gemeinschaft von Kirchen erst noch auf der Suche danach ist und sich so differenziert oder einseitig äußert, dass der Vatikan durch zuviel Nähe zum ÖRK eher eine Schwächung als eine Bereicherung befürchtet.

Die römisch-katholischen Prinzipien des Ökumenismus beziehen sich in diesem Kontext mehr auf die theologischen Fragen nach der Einheit im Glauben und der Einheit der Kirche als auf den globalen Dienst der Kirchen in der Welt. Der in Porto Alegre vorgelegte Bericht der Gemeinsamen Arbeitsgruppe von 1999–2005 enthält drei grundlegende Studien: zur „gemeinsamen Taufe“, zum „Wesen und Ziel des ökumenischen Dialogs“ und zur „Teilnahme der römisch-katholischen Kirche an nationalen und regionalen Kirchenräten“. Bei der Vollversammlung gab es jedoch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen. Das soll nun in den Kirchen und den weiteren Dialogen geschehen.

Ökumene als Bewegung und Institution in Porto Alegre

In Porto Alegre waren 4000 Teilnehmer zur so genannten Weltkirchenkonferenz zusammengekommen, die ein Miteinander von eigentlich zwei unterschiedlichen Veranstaltungen war. Zur Vollversammlung der Institution ÖRK entsandten die Mitgliedskirchen 691 Delegierte, die nach einer Quotenregelung zwischen Ordinierten, Nichtordinierten, Männern, Frauen und Jugendlichen ausgesucht waren; hinzu kamen 257 offizielle Beobachter und Berater mit Rederecht. Daneben gab es noch 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim sogenannten „Mutir˜ao“, einem kirchentagsähnlichen Markt der Möglichkeiten, bei dem aus dem Netzwerk ökumenischer und kirchlicher Werke und Verbände aus aller Welt Ausstellungen, Workshops, Diskussionsrunden und spontane Feiern stattfanden. Rein quantitativ bestimmte dieser „Mutir˜ao“ das Konferenzgeschehen mehr als die Delegiertenversammlung. Der Wert solcher Begegnungen und solchen Austausches ist zweifellos hoch anzusetzen. Ökumenische Einheit und Vielfalt bescherten eine wunderbare „Ökumene der Herzen“, und viel Kooperation der Werke und Verbände konnte miteinander abgestimmt werden. Ein richtiger großer Ökumenischer Weltkirchentag mit beispielsweise hunderttausend Teilnehmern und vielen Foren könnte eine inspirierende Sache sein.

Im Plenum der Vollversammlung kamen in jeweils 90 Minuten vier Schwerpunktthemen zur Sprache: (1) Wirtschaftliche Gerechtigkeit, (2) Christliches Zeugnis und religiöse Pluralität, (3) Überwindung von Gewalt und (4) Kirchliche Einheit. Dabei bescherten der Arbeitsstil und der Gehalt mancher vorgelegter Dokumente und vorgetragener „Präsentationen“ Probleme. Die Auswahl der Referentinnen und Referenten war höchst einseitig und verhinderte, dass der ÖRK sich wirklich als ein Forum der Vielfalt, des Dialogs und der Versöhnung bewähren konnte. Die an sich gute Weise, von den ÖRK-Kommissionen vorher Texte erarbeiten zu lassen, welche die Vollversammlung beraten und beschliessen sollte, wurde bei einigen Verlautbarungen dadurch unterlaufen, dass sie erstaunliche Einseitigkeiten und höchst umstrittene Thesen enthielten, zu denen im Plenum nur etwa sechs Delegierte mit zwei Minuten Redezeit sich zu Wort melden konnten. Beispielsweise enthielten der vorbereitete AGAPE-Aufruf zur wirtschaftlichen Gerechtigkeit und einige Plenumpräsentationen eine Gesellschaftsanalyse, die unter „Globalisierung“ nur neoliberalen Kapitalismus und wirtschaftliche Ausbeutung durch die multinationalen Konzerne und Industrienationen des Nordens verstanden. Das Leiden darunter wurde eindrucksvoll dargelegt, aber realistische sozialpolitische Alternativen kamen nicht. Ökumenische Ethik kann sicherlich politikfähiger ausgesagt werden, um effektiv zu sein. Jetzt gab es ein erstauntes Kopfschütteln mancher christlicher Experten aus Wirtschaft und Politik.

Statt früherer Sektionen und Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Programmen des ÖRK fanden in Porto Alegre nur dreimal lockere „Ökumenische Gespräche“ in 22 Kleingruppen statt, welche zwar für die Teilnehmer ein bereicherndes Erlebnis waren, die aber nicht direkt etwas zum Ergebnis der Vollversammlung beitrugen. Relativ kleine Ausschüsse für Grundsatzfragen, Programmrichtlinien und Öffentliche Angelegenheiten erarbeiteten dann Beschlussvorlagen, die kurzfristig ins Plenum kamen und wiederum nur wenige Minuten besprochen werden konnten, die aber schließlich gemäß dem neu eingeführten „Konsensverfahren“ einstimmig angenommen wurden. Es gab ziemliches Unbehagen über diesen Arbeitsstil, der unter Ökumene mehr „Begegnung“ und „Raum der Vielfalt“ versteht, als dass gründlich und mit Sachverstand das Christliche gemeinsam artikuliert wird. Unter den Beschlüssen sind natürlich etliche unbestritten hilfreich; und es wäre gut, wenn diese Texte in die kirchliche Arbeit, in die ökumenischen Gremien und auch in die Öffentlichkeit kämen: beispielsweise die Aufrufe zur „Überwindung von Gewalt“ und zum „gerechten Frieden“, die Erklärungen zu „Terrorismus, Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte“ sowie zur „Reform der Vereinten Nationen“ und zur „Gegenseitigen Achtung und Verantwortung und zum Dialog mit Menschen anderen Glaubens“. Andere Texte bleiben – trotz der Vorbereitung durch ÖRK-Kommissionen – hinter früheren besseren und gründlicheren Verlautbarungen des ÖRK zurück. Insgesamt ist der ÖRK besser als das Ergebnis dieser Vollversammlung.

„Berufen, die eine Kirche zu sein“

Schwach ist auch der Text zur kirchlichen Einheit, den die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung mit Beteiligung römisch-katholischer Theologen erstellt hat und der sachlich hinter die Dialogergebnisse derselben Kommission und früherer Vollversammlungen zurückfällt. Der Titel lautet: „Berufen, die eine Kirche zu sein. Eine Einladung an die Kirchen, ihre Verpflichtung zur Suche nach der Einheit zu erneuern und ihren Dialog zu vertiefen.“ Die Begriffe deuten an, wie weit man von einem gemeinsamen Verständnis der sichtbaren Einheit entfernt ist. Der Text endet mit einem hilflosen Fragenkatalog, den alle Kirchen bis zur nächsten Vollversammlung beantworten sollen, beispielsweise: „In welchem Maße nimmt jede Kirche den Ausdruck des apostolischen Glaubens im Leben, Gottesdienst und Zeugnis der anderen Kirchen wahr? Aus welchen Gründen ist es wesentlich, angebracht oder nicht möglich, das Abendmahl über die Grenzen der eigenen Kirche hinaus mit anderen zu teilen?“

Das ist ein Rückfall in die vergleichende Kirchenlehre ganz am Anfang der ökumenischen Bewegung. Inzwischen hat es eine Riesenmenge von Konvergenz- und Konsenstexten in bi- und multilateralen ökumenischen Dialogen auf den verschiedenen geographischen Ebenen gegeben, auf die hier mit keinem Wort Bezug genommen wird. „Viele Christen in der Welt sind eben noch nicht so weit wie ihr Berufsökumeniker“, sagte mir ein orthodoxer Konferenzteilnehmer. Zu Beginn der Konferenz keimte Hoffnung auf, es könnten bei zwei Themen konkrete Fortschritte erzielt werden. ÖRK-Generalsekretär Samuel Kobia und Kardinal Walter Kasper meinten, die Zeit sei reif für eine offizielle gegenseitige Anerkennung der Taufe, und über das gemeinsame Osterdatum könnte man sich einigen. Beide Themen kamen aber in Porto Alegre überhaupt nicht mehr zur Sprache.

Das klingt deprimierend, sollte jedoch nicht die erreichten ökumenischen Verständigungen etwa bei den 1982 veröffentlichten Limaerklärungen des ÖRK zu „Taufe, Eucharistie und Amt“ oder hierzulande beim bilateralen evangelisch-katholischen Dialog über die „Lehrverurteilungen“ vergessen lassen. Ein großer Teil der Konferenzteilnehmer erwartete wohl auch von vornherein wenig von den ökumenischen Texten.„Wir haben schon viel zu viel Papiere. Wir sind an den Begegnungen, der Gemeinschaft, der Spiritualität interessiert. Wenn wir von diesem Schwung etwas in unsere Kirchen zu Hause vermitteln können, wird Ökumene sinnvoll.“ So die Haltung einer Delegierten aus der Karibik, einer Ingenieurin.

Die Ökumene lebt von Anfang an in der Spannung von „Bewegung“ und „Institution“. Schon immer war sie mit dem weiten Netzwerk kirchlicher und ökumenischer Werke und Verbände mit eigenen Zielen und Arbeitsweisen mehr als die Institution ÖRK, die bewusst ein Rat der verfassten „Kirchen“ ist. Das Netzwerk ist unerlässlich für das kirchliche und ökumenische Leben; aber ebenso unerlässlich ist es, dass die Kirchen als Institutionen auf dem Weg zu mehr sichtbarer Einheit und zur effektiven Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat eine gemeinsame Struktur und ein effektives -Instrument brauchen, welches das Christliche in der Welt gemeinsam artikuliert. Darum gibt es weder zum ÖRK eine realistische Alternative noch zur möglichst engen Zusammenarbeit zwischen ÖRK und römisch-katholischer Weltkirche. Diese „Ökumene des Verstandes“ muss sorgfältig prüfen, welche konfessionellen Alleingänge noch zu verantworten sind und ob nicht oft bloße Selbstgenügsamkeit die ökumenische Gemeinschaft erschwert.

Eine Neugestaltung der ökumenischen Bewegung?

Aufgrund mancher Entwicklungen kann der ÖRK aus verständlichen Gründen seine Rolle, das „privilegierte Instrument“ der ökumenischen Bewegung zu sein, heute nicht mehr so wahrnehmen wie früher. Die konfessionellen Weltbünde und Konfessionsfamilien haben auf Weltebene ihr Gewicht. Manche ökumenische Zusammenarbeit ist in bilateralen Beziehungen effektiver zu gestalten als auf der multilateralen Ebene (z. B. die theologischen Gespräche). Und viele säkulare Herausforderungen bewältigen die Kirchen besser auf der Ebene der nationalen Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen oder Kontinentaler Ökumenischer Räte. Die Vollversammlung beschloss darum in Porto Alegre als Programmrichtlinie: „Der ÖRK sollte sich darauf konzentrieren, was er als weltweite Gemeinschaft der Kirchen tun kann, indem er eine Führungsrolle in der gesamten ökumenischen Bewegung übernimmt. Der ÖRK sollte weniger und dies gut tun.“ Mit diesen Worten wird vom ÖRK erwartet, dass er mehr ist als nur ein „Raum der Begegnung“ oder ein zentrales Symbol der ökumenischen Bewegung.

Dazu muss er als Institution der Kirchen bei allem Respekt vor Quotenregelungen mit höchster fachlicher Kompetenz die verschiedenen Interessen der Kirchen miteinander ins Gespräch bringen und gemeinsame Voten erarbeiten, die der Christenheit Orientierung geben. Das kann angemessener geschehen, als es vor und in Porto Alegre der Fall war. Beruhigend wurde erlebt, dass der ÖRK die zuletzt brüchige Gemeinschaft zwischen orthodoxen und protestantischen Kirchen wieder zusammenführen konnte. Die Orthodoxen waren in Porto Alegre zufrieden, wie ihre Anliegen bei den Andachten und Gottesdiensten und beim Konsensverfahren sich durchgesetzt haben. Bei den unterschiedlichen Interessen der Kirchen des Südens und des Nordens ist ebenfalls der ÖRK unerlässlich, um die Gemeinschaft zu pflegen, aufeinander zu hören und gemeinsam die globalen Herausforderungen anzunehmen. Zur einen ökumenischen Bewegung gehört selbstverständlich die römisch-katholische Kirche. Auch wenn die unterschiedliche Struktur einer Weltkirche und einer Gemeinschaft von Kirchen manche Grenzen setzt, so steht doch die römisch-katholische Kirche nicht neben dem ÖRK, sondern ist von ihren eigenen Prinzipien des Ökumenismus her an mehr ökumenischer Spiritualität und Kooperation interessiert. Umgekehrt gewinnt der ÖRK von den Erfahrungen der römisch-katholischen Kirche. Beide sind nicht ökumenische Konkurrenten, sondern Partner in der Liebe Gottes und bei der christlichen Weltverantwortung.

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