Mystik im AlltagBaden gehen

Schon Thomas von Aquin hat das Baden spirituell geadelt.

Gewiss ein ungewohntes Thema für den Herbst. Aber da ich schon in einem der ältesten Kurorte Europas wohne, sollte ich diesem Thema doch einmal tiefer nachgehen. Immerhin spricht der Name, unter Karl dem Großen von Einhard als Wisibada erstmals erwähnt, für sich. Schon die alten Römer genossen, beschützt vom Limes durch den nahen Taunus, die schließlich 15 Thermal- und Mineralbäder Wiesbadens, und so verrückt aufs Baden wie die waren seitdem wenige. Zwar ist die naturale Badesaison hierzulande jetzt zu Ende, aber im Wellness-Bereich und den Badeabteilungen ist reichlich Betrieb. Immerhin gibt es noch genug, die Heilbäder aufsuchen müssen, und schlicht dankbar können alle sein, die eine Badewanne zu Hause zu haben. Aber die Energie- und Kostenkrise wirft auch hier ihre Schatten voraus: Schwimmbäder werden geschlossen, und manche, die aus Gesundheitsgründen schwimmen gehen, aber aufs Geld achten müssen, stehen wortwörtlich im Trockenen. Auch wer den Tag gern mit einer warmen Dusche beginnt oder das häufigere Baden liebt, wird sich umstellen müssen.

Bekanntlich hat der große Thomas von Aquin, ganz auf der Linie der alten Römer, das Baden spirituell geadelt. In Frustsituationen und depressiven Stimmungen sei es neben Schlafen und Spielen eine natürliche Medizin, eine große Gabe des Schöpfers. Denn „von allen Befindlichkeiten der Seele schadet keine dem Körper so wie die Traurigkeit“! Im selben Teil seiner aufregenden theologischen Summe steht übrigens der erstaunliche Grundsatz: „Wir müssen unseren Körper mit der gleichen Liebe lieben, mit der wir Gott lieben.“ Seelsorge und Leibsorge sind untrennbar! In der Tat: Wieder einmal zeigt sich, dass authentische Spiritualität kein Überbau ist, sondern ausdrückliche Erschließung des ganzen normalen Lebens und seiner Geheimnisse. Gewiss haben wir heutzutage die hausbackenen Ratschläge eines mittelalterlichen Theologen psychosomatisch zu unterfüttern. Natürlich werden in jedem Saunabesuch oder bei jedem Vollbad intrauterine Urerfahrungen aktiviert: ein warmes Bad ist weit mehr als eine Reinigungsmaßnahme, und schon eine Dusche kann Gold wert sein. Offenkundig braucht unsereiner Umgebungen, die ihrem Namen wohltuend Ehre machen, die uns also umgeben und umbergen, schützen und lösen. Dabei sei nicht vergessen, dass es auch das Wechselbad der Gefühle gibt, und auch das berühmte Bad in der Menge – mit allen Wassern gewaschen.

Spätestens wenn wir etwas ausbaden müssen, was wir uns selbst eingebrockt haben, zeigt sich freilich auch hier die faktische Ambivalenz elementarer Lebensvollzüge: höchstes Glück und wunderbare Schöpfergabe, oder eben der Blick in den Abgrund des Kreatürlichen. In Angstschweiß gebadet, aufzuwachen, ist keine schöne Erfahrung. Da braucht es noch andere Heilstrategien als ein warmes Bad. Und mit dem Bildwort vom „Blutbad“ erst recht öffnet sich die Nachtseite des Menschlichen. Die Redeweise vom „Baden gehen“ enthüllt ihren abgründigen Doppelsinn. Umso entschiedener gilt es gemäß Titus 3,5, „das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ zu nutzen und solidarisch mit Wasser und Energie umzugehen.

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