Friedrich I. BarbarossaDas Reich in Person

Vor 900 Jahren wurde Friedrich I. Barbarossa geboren. Eine Herrscherfigur zwischen religiösem Machtanspruch und Mythos.

Kaiser Friedrich I. Barbarossa (Christian Siedentopf, 1847)
Kaiser Friedrich I. Barbarossa (Christian Siedentopf, 1847)

Besonders in Italien hatte er zeit seines Lebens Not, seinen Herrschaftsanspruch geltend zu machen. In Deutschland dagegen stilisierte man ihn noch Jahrhunderte nach seinem Tod zum sagenumwobenen Sehnsuchtsbild der Reichseinheit: Friedrich I., seines rötlichen Bartes wegen Barbarossa genannt. 1122 – vor 900 Jahren – wurde der Schwabenkönig und erste Kaiser aus dem Geschlecht der Staufer geboren.

Fragen wir, was uns mit dieser Persönlichkeit und der Zeit des 12. Jahrhunderts verbindet, ist es die große Wehklage, die den damaligen Niedergang des Reiches beschreibt und auch die heutige Welt kennzeichnet. „Wir haben den Jammer der Menschheit nicht nur in den Büchern gelesen, wir erleben ihn ständig in unserer Zeit“, schrieb Otto von Babenberg, ein Halbbruder von Friedrichs Onkel Konrad III. Der Jammer, den Otto beschreibt, galt dem damaligen Verfall der Königsgewalt: Als König von der Kurie Gnaden hatte Konrad einen schweren Stand. Die päpstlichen Legaten machten die Souveränität Roms über die Krone geltend und waren wegen ihrer Urteile, Visitationen und Steuererhebungen im Reich verhasst.

Als Friedrich Barbarossa 1152 die Nachfolge seines Onkels als deutscher König antrat und 1154 zum Kaiser gekrönt wurde, war daher vorgezeichnet, worum es ihm in seiner Regentschaft ging: der Reichsidee neuen Glanz zu verleihen und die Vormacht der Kurie zu brechen. Im 12. Jahrhundert waren es die deutschen Herzogtümer und die Autonomiebestrebungen reicher Städte Oberitaliens, die Friedrich immer wieder in Auseinandersetzungen zwangen, um die Kaiseridee durchzusetzen. Zugunsten des Reichsfriedens entschloss er sich, Teile der alten Lehensordnung und andere Königsrechte aufzugeben. Er erkannte, dass die Einigung zwischen den rivalisierenden Babenbergern und Welfen eine wesentliche Voraussetzung war, um eine neue Kaiserherrlichkeit heraufzuführen. Da Italien mit Rom als Mittelpunkt der Welt galt, sah es Friedrich zudem als seine Pflicht, Italien der Krone zu unterwerfen und insbesondere die norditalienischen Gebiete der Lombardei und Romagna als reiche kaiserliche Hausmächte an sich zu bringen.

Wie aber hält man ein Reich vom Umfang des heutigen Europa zusammen, in dem so viele Einzelinteressen dauernd die Einheit gefährden? Es brauchte eine „Weltregierung“, die imstande war, entstehende Konflikte diplomatisch oder mit Gewalt zu beenden – vor allem aber ein Ordnungsprinzip, das damals nur religiös überzeugend begründet werden konnte. In diesem Sinne schrieb Friedrich 1156 an den Bischof und Geschichtsschreiber Otto von Freising: „Nachdem Gottes Gnade die Herrschaft über Rom und die Welt unseren Händen überantwortete, ist es unsere hohe Pflicht, für das Heilige Reich und den Göttlichen Staat zu sorgen!“ Zum ersten Mal ist in dieser Botschaft, die auch an die Reichsfürsten ging, vom „Heiligen Reich“ und in Anknüpfung an die civitas Dei Karls des Großen vom „Göttlichen Staat“ die Rede – später abgewandelt zum „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“.

Jedoch stand in diesem Anspruch das Sendungsbewusstsein des Kaisers, der Amt und Würde als von Gott verliehen betrachtete, dem Bestreben von Papst und Kurie gegenüber, die Christenheit in der Nachfolge des Apostels Petrus zu regieren. Es ging um die Frage, welches Ordnungsprinzip in der christlichen Welt den Primat besitzen sollte: die auctoritas sacra pontificum (die heilige Autorität der Päpste) oder die regalis potestas (königliche Macht). Dabei kommt dem Vertrag von Konstanz, der am 23. März 1153 zwischen Friedrich und Papst Eugen III. geschlossen wurde, wegweisende Bedeutung zu. Darin sagten sie sich gegenseitigen Schutz des honor, also der Hoheitsrechte zu. Über das Wirkungsverhältnis des honor Sancti Petri (Recht des Papstes) und des honor imperii (Recht des Kaisers) konnte in der Folgezeit dennoch keine Einigung erzielt werden.

Heute geht es nicht nur um die Frage, was Europa zusammenhält, wenn das christliche Fundament wegbricht, sondern was in einer globalen Welt das Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit und der Verantwortung für den Planeten Erde stärken kann. Wir erleben, dass der Zusammenhalt Europas, der in der Europäischen Union Ausdruck finden soll, nicht nur durch zunehmende nationale Bestrebungen und Forderungen von Sonderrechten in Frage gestellt wird. Auf Dauer wiegt der mangelnde Konsens über zentrale Werte wie Lebensrecht oder Ehe und Familie vielleicht schwerer.

Erst recht ist es ein Trauerspiel, dass nicht das Bewusstsein der Verbundenheit aller Menschen angesichts globaler Katastrophen wie dem Klimawandel wächst, sondern die Welt in Machtblöcke zerfällt, die durch fortschreitende Aufrüstung die Vernichtung jeglichen Lebens riskieren. Wirtschaftliches Potenzial wird vergeudet, statt Hungersnöte zu bekämpfen. Es ist der heutige „Jammer der Menschheit“, nicht zu erkennen, dass es um ihr Überleben auf diesem Planeten Erde geht und nur gemeinsame Anstrengung den drohenden Katastrophen wehren kann.

Friedrich Barbarossa versuchte noch dem Egoismus mancher Fürsten und dem Machtstreben reicher Städte mit der göttlichen Legitimation seiner Kaiserherrschaft entgegenzuwirken. Aber schon ihm gelang es nicht, den Zerfall des Reiches in konkurrierende Machtblöcke auf Dauer zu verhindern. Machtstreben und Egoismus haben offenbar zu allen Zeiten über hohe Ideale gesiegt.

Zu Friedrichs Selbstverständnis als von Gott bestellter Kaiser gehörte es, nicht nur politischer Sachwalter, sondern „erster Ritter“ des Reiches zu sein. Als einziger europäischer Herrscher brach er zweimal in seinem Leben zu einem Kreuzzug auf und folgte noch mit knapp siebzig Jahren dem Aufruf des Papstes zur „Befreiung“ der Heiligen Stätten in Palästina. „Christus siegt, Christus ist König, Christus ist Kaiser“, soll er den Kreuzfahrern zugerufen haben, als das Unternehmen zu scheitern drohte. Am 10. Juni 1190 ertrank er im Fluss Saleph in der Nähe von Seleukia.

Schon zu seinen Lebzeiten wurde Friedrich Barbarossa hoch geachtet und geschätzt. Nach seinem Tod aber lebte er in der Kyffhäusersage weiter. Darin heißt es, der alte Kaiser sei durch einen Zauber, „eine übernatürliche heimliche Gewalt“, in ein unterirdisches Schloss des Kyffhäuserberges in Thüringen versetzt worden. Hier sitze er schlafend auf einem Stuhl von Elfenbein, um dereinst mit seinen Getreuen zurückzukehren. Durch Friedrich Rückerts Ballade von 1817 erfuhr die Sage große Popularität, ließ sie doch den Gedanken von der Wiederkehr „des Reiches Herrlichkeit“ aufleben. Und so trifft man heute Mitten in Thüringen auf das Kyffhäuserdenkmal: Stolze 81 Meter ragt der Sandsteinturm über die Bergkuppe. An seinem Fundament thront der bärtige Staufen-Kaiser, darüber das kolossale Reiterstandbild seines preußischen Nacheiferers Wilhelm II. – neuzeitliche Herrschaftslegitimation durch Geschichtspolitik.

Interessant ist, dass die Sage vom im Kyffhäuser schlafenden und zu gegebener Zeit aufwachenden und wiederkehrenden Kaiser sich ursprünglich auf Friedrich II. bezog, der 1250 starb. Nach seinem Tod begann das sogenannte Interregnum, eine Zeit ohne Kaiser, die erst 1278 endete. Friedrich II. galt als überragende Persönlichkeit, die die Welt in Staunen versetzte. Man konnte nicht glauben, dass dieser Mann wirklich tot sein sollte: der Klerus nicht, weil das erwartete Strafgericht gegen Friedrich II. ausblieb; das Volk nicht, weil es sich nach jemandem sehnte, der dem in jener Zeit grassierenden Raubrittertum Einhalt gebieten würde. Im Volksglauben sterben große Helden nicht einfach, sondern schlafen im Berg und kehren zurück, um das Volk zu retten. Die Vermischung von Friedrich I. Barbarossa mit seinem Enkel Friedrich II. zu einer Sagengestalt ist vermutlich der Schrift eines Arztes zuzuschreiben, der Barbarossa 1519 in einem „hohen Berg“ hausen lässt. Im 19. Jahrhundert wurde durch Vertreter der deutschen Romantik Friedrich II. endgültig durch Barbarossa ersetzt.

Welches Gewicht einzelne Persönlichkeiten haben können, erleben wir auch heute wieder – sei es im positiven oder negativen Sinn. Ja, es wird wieder von „Helden“ gesprochen, wie derzeit von Wolodymyr Selenskyj, dem Präsidenten der Ukraine, der zum tapferen Widerstand gegen die russischen Invasoren aufruft. Den „Jammer der Menschheit“ zu Lebzeiten Friedrich Barbarossas und die großpolitische Lage unserer Zeit verbinden das Erleben des Auseinanderbrechens und des Verlusts tragender Gewissheiten. Begnete der Staufen-Kaiser dieser Entwicklung mit der Großerzählung religiöser Herrschaftslegitimation, versuchen wir es heute mit Völkerverständigung und dem Anspruch universaler Menschenrechte. Die Sehnsucht nach einem Retter aber bleibt tief im menschlichen Herzen verankert.

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