"A Black Jesus"Der Schwarze am Kreuz

In einer italienischen Kleinstadt wird ein schwarzer Jesus verehrt, und schwarze Flüchtlinge werden ausgegrenzt. Wie passt das zusammen? Der Film „A Black Jesus“ geht der Frage nach.

© Foto: Road Movies

Für einen Tag im Jahr erwacht die verschlafene italienische Küstenstadt Siculiana zum Leben. Am 3. Mai sind die Straßen voller Menschen, wenn die mannshohe Holzstatue des „Schwarzen Jesus“ auf einem prunkvollen Podest durchs Viertel getragen wird. Gläubige küssen ihm die Beine, alte Frauen lehnen sich über den Balkon, um die vorbeiziehende Holzfigur zu berühren – und die Flüchtlinge aus einem nahe gelegenen Auffanglager stehen ungläubig am Straßenrand. Manche haben ihre Handys herausgezogen und filmen fasziniert. Dass die gleichen Italiener, die an anderen Tagen Demonstrationen gegen das Flüchtlingszentrum anführen oder Ausländer aus ihrem Fitnesscenter werfen, einem schwarzen Gekreuzigten zujubeln, würde ihnen sonst keiner glauben. „Das Komische ist, dass die Einheimischen keine Schwarzen mögen, aber sie lieben den Schwarzen Jesus. Sie lieben ein schwarzes Stück Holz, aber keine Schwarzen aus Fleisch und Blut“, fasst der junge Edward aus Ghana zusammen. „Das soll mir mal einer erklären.“

Nächstenliebe – nur leere Worte?

Wirklich erklären kann das Regisseur Luca Lucchesi auch nicht. Er versucht es nicht mal – und das tut seinem Film sehr gut. Denn statt Gesellschaftswissenschaftler, Migrationsexperten oder Glaubensforscher zu befragen, nutzt Lucchesi den kuriosen Festumzug, um in nüchtern nebeneinandergeschnittenen Szenen die italienische Alltagsstimmung einzufangen. Da ist der Lehrer in der Auffangstation, der für Integration kämpft, und sogar seinen Friseur in Grundsatzdebatten verwickelt. Da sind die Rentnerinnen, die Unmengen an Essen für den Festtag vorbereiten und beim Kartoffelschälen ganz nebenbei diskutieren, ob man vor Schwarzen Angst haben muss. Da ist der Händler, der seit Jahren zu den Trägern des „Schwarzen Jesus“ gehört, aber nicht verstehen kann, warum die Regierung Geld für Afrikaner ausgibt, statt bedürftigen Italienern zu helfen. Und da ist Edward, der Flüchtling aus Ghana, der so gern im nächsten Jahr die Statue tragen würde: „Denn Jesus ist für alle da.“

Obwohl Lucchesi sich sehr zurücknimmt, die Bühne ganz seinen verschiedenen Protagonisten überlässt, merkt man doch, wie persönlich der Film für ihn ist. Der Regisseur ist selbst mit der Verehrung des „Schwarzen Jesus“ aufgewachsen. Als er eines Tages eine Gruppe von Flüchtlingen vor der Statue beten sah, habe ihn das aufgerüttelt, berichtet er nach den Dreharbeiten. Ihm sei klar geworden, wie wichtig es in der angespannten politischen Situation ist, „uns selbst zu betrachten und herauszufinden, welche Widersprüche wir in uns tragen“. Bleiben die Predigten von Menschlichkeit und Nächstenliebe nur schöne Worte oder haben sie wirklich etwas mit unserem Leben zu tun? Erkennen wir Jesu Botschaft unter den Schichten aus Tradition und Kultus noch? Oder passen die jahrtausendealten Gebote nicht mehr in unsere moderne, komplexe Welt?

Moderne Herbergssuche

Die eindrucksvollste Szene des Films dreht sich dabei nicht mal um den „Schwarzen Jesus“, sondern um ein vorweihnachtliches Krippenspiel: Eine Darstellung der Herbergssuche, die in den engen Straßen aufgeführt wird. Drei Mal werden Maria und Josef abgewiesen, dann erst erkennt der Wirt, wen er vor sich hat: „Die heilige Familie! Verzeiht mir, was ich euch angetan habe – kommt herein, esst und trinkt!“ Eine ergreifende Szene, die Menschen ziehen überwältigt ihre Taschentücher. Fast meint man das berühmte Jesuswort zu hören: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Dann erinnert man sich, dass durch die gleichen engen Gassen regelmäßig Demonstrationen gegen die Flüchtlingsunterkunft ziehen.

Ob ein paar schwarze Statuenträger helfen werden, diesen Widerspruch aufzulösen, lässt der Film offen. Genauso wie offen bleibt, was genau das besondere an der Holzfigur ist. Ein Mann trägt sie seit Jahren, weil er bei einem Sturz vom Baugerüst wie durch ein Wunder unverletzt blieb. Eine Rentnerin will wissen, dass das Holz einmal hell war – „aber durch unsere Sünden ist es schwarz geworden“. Und eine alte Legende erzählt von einem Blinden, dem die Figur die Augen geöffnet hat. Wenn man an das Erlebnis von Regisseur Lucchesi denkt, ist das vielleicht die glaubwürdigste Geschichte.

„A Black Jesus“ kann ab 20. Mai 2021 digital angesehen werden (www.filmwelt-digital.de). Laufzeit: ca. 90 Minuten.

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