Johannes Hartl über das Beten in Corona-Zeiten„Nicht naiv“

In seinem Gebetshaus in Augsburg wird 24 Stunden am Tag zu Gott gebetet. Jetzt ruft Johannes Hartl zum zweiten Mal zum gemeinsamen Gebet in der Corona-Krise auf. Ein Gespräch über Erwartungen und die Macht von Gebeten.

© Foto: Gebetshaus Augsburg

CHRIST IN DER GEGENWART: Herr Hartl, vor einem Jahr, mitten in der ersten Corona-Welle, haben Sie die Aktion „Deutschland betet gemeinsam“ gestartet. Wie waren die Reaktionen?

Johannes Hartl: Es gab ein riesiges Interesse. Die Aktion war ja bewusst nicht nur kirchlich oder christlich angelegt, sondern sollte Menschen aus verschiedenen Religionen zusammenbringen – und auch solche, die nicht viel mit dem Glauben zu tun haben. Am Ende haben mehrere Politiker die Schirmherrschaft übernommen und auch viele sehr säkulare Medien über die Aktion berichtet. Auf der Startseite der Bild-Zeitung stand unser Link. Zeitweise haben bis zu einer Million Leute mitgemacht. Gerade von den Kirchenfernen kam oft die Rückmeldung: Genau solche Angebote erwarten wir von Christen in Krisenzeiten.

Also ist tatsächlich etwas dran an dem Sprichwort „Not lehrt beten“?

Auf jeden Fall! Das Gebet ist logische Antwort des menschlichen Herzens auf eine Situation, die uns überfordert. Für die ersten Monate der Pandemie gibt es dafür auch eindeutige statistische Daten. Die Internetsuchanfragen nach Gebeten sind in der Zeit deutlich gestiegen. In Krisenzeiten, wenn scheinbare Sicherheiten wegbrechen, stellen sich Menschen oft strukturelle Fragen über die Gesellschaft und ihr eigenes Leben. Das bekommt dann schnell einen religiösen Bezug. Auch dieses Jahr laden wir zum gemeinsamen Gebet ein, diesmal unter dem Titel Herzen verbinden trotz Social Distance.

Im Vergleich zur Situation im letzten Jahr ist manches besser geworden, vieles hat sich aber auch verschärft. Es gibt mehr Infizierte, mehr Todesfälle und neue Mutationen. Kann man da nicht den Glauben an die Wirksamkeit von Gebeten verlieren?

Unsere gemeinsame Gebetsaktion stand ja nicht unter dem Motto „Wir beten Corona weg“. Einen solchen Automatismus gibt es nicht, egal ob einer betet oder eine Million. Trotzdem glauben wir grundsätzlich daran, dass Gott Gebete erhört. Und dass wir ihn auch um ganz konkrete Dinge bitten dürfen. Das ist nicht naiv. Wir sollten aber offen bleiben dafür, wie und wann Gott antwortet. Manchmal über-erfüllt er die Erwartungen auch – auf eine Art, an die wir in der Situation gar nicht gedacht haben.

Gott reagiert also auf Bitten und Gebete – gleichzeitig gibt es auch die Vorstellung, dass er einen eigenen Plan für die Welt hat. Wie kann man das theologisch zusammendenken?

Gott hat eine Welt geschaffen, in der das Böse möglich ist und auch passiert. Eine Welt, in der unschuldige Menschen von schlimmen Schicksalsschlägen getroffen werden, wie es etwa das Buch Hiob erzählt. Aber gleichzeitig schaut Gott nicht tatenlos beim Leiden zu, sondern steht den Menschen bei und hört auch hin, wenn wir beten.

Wie sieht es aktuell im Gebetshaus in Augsburg aus?

Wir haben strikte Corona-Maßnahmen getroffen. Im Moment ist das Haus nicht mehr für jeden geöffnet, der spontan vorbeikommen möchte. Unsere etwa fünfzig Mitarbeiter und angemeldete Gäste sind aber noch vor Ort. Und es wird immer noch 24 Stunden am Tag gebetet. Wir übertragen das Gebet bei Tag und Nacht im Internet.

Seit einem Jahr versuchen die Kirchen, digitale Angebote zu schaffen. Das Gebetshaus ist schon länger online präsent.

Wir haben in den letzten Monaten, wie viele andere auch, verschiedene Hybridformen aus analoger und digitaler Veranstaltung ausprobiert. Die neuen Medien sind da ein echter Segen. Übers Internet erreicht man auch Menschen, die sonst nie in ein Gebetshaus oder zu einem Vortrag gekommen wären. Trotzdem hoffen wir natürlich und sind auch optimistisch, dass die nächste „Mehr“-Konferenz im Januar 2022 wieder wie gewohnt vor Ort stattfinden kann.

Bei der letzten „Mehr“-Konferenz konnten Sie einen Besucherrekord von 12000 Teilnehmern verzeichnen. Mit Ihrer direkten Art und Ihren alltagspraktischen Vorträgen sprechen Sie auch Menschen an, die sich sonst nicht für theologische Fragen interessieren. Orientieren Sie sich dabei an amerikanischen Predigern?

Ich denke, man sollte sich von verschiedenen Strömungen inspirieren lassen, denen es gelingt, die Menschen anzusprechen. Egal ob sie aus der christlichen Ecke kommen oder nicht. Eine emotionale Ansprache funktioniert immer besser als eine rein theologisch-akademische. Die Leute merken einfach, wenn sie mit ihren Fragen und Sorgen ernst genommen werden.

Interview: Simon Lukas

Johannes Hartl und das Gebetshaus Augsburg

Johannes Hartl (Foto) ist Theologe, Autor, Referent und Komponist. Im Jahr 2005 gründete er zusammen mit seiner Frau das Gebetshaus Augsburg, in dem seit mehreren Jahren 24 Stunden am Tag gebetet wird. Das Gebetshaus versteht sich als ökumenisch; unter den etwa fünfzig hauptberuflichen und doppelt so vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern finden sich Katholiken und Protestanten. Seit 2008 werden regelmäßige „Mehr“-Konferenzen mit Vorträgen zu theologischen Fragen veranstaltet.

Während Hartl mit seinen Angeboten auch kirchenferne Menschen erreicht, ist er innerhalb der etablierten Theologie nicht unumstritten. So wird ihm immer wieder vorgeworfen, mit seinem Gebetshaus eine Konkurrenz zu kirchlichen Strukturen aufzubauen. Hartl weist diese Vorwürfe von sich. Im Gespräch mit „katholisch.de“ sagte er: „Es gab immer Bewegungen und Orte des gemeinschaftlichen Glaubens außerhalb der hierarchisch verfassten Struktur der Kirche. Ich will nur Taizé, Wallfahrtsorte und geistliche Gemeinschaften nennen. Wir sind da in einer guten Tradition, dass der Heilige Geist inner- und außerhalb der Strukturen der Kirche wirkt.“

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