KirchenaustritteEinst sakral, später sakral und sozial

Weil die Zahl der Gläubigen schrumpft, extrem viele Getaufte die Gottesdienste nicht mehr besuchen und insbesondere bei den Katholiken akuter Mangel an Geistlichen herrscht, werden viele Kirchengebäude – dann auch aus finanziellen Gründen – aufgegeben. Die verbliebenen engagierten Christen in den betreffenden Gemeinden bleiben meistens hochgradig verärgert zurück. Denn sie fühlen sich ihrer religiösen Heimat, die sich ästhetisch und leiblich mit dem gottesdienstlichen Ort verbindet, beraubt. „Das war ihr Kristallisationspunkt, an dem sie viele Kernpunkte ihres Lebens wie Taufe, Hochzeit, Aussegnung oder Ähnliches erlebt haben“, erläuterte der Kölner evangelische Theologe, Architekt und Städtebau-Fachmann Jörg Beste in der Wochenzeitung „Neues Ruhr Wort“.

Er schlägt den Kirchenleitungen vor, sich intensiver als bisher darum zu bemühen, Kirchengebäude nicht einfach zu verkaufen beziehungsweise abreißen zu lassen, sondern sie einer sozialen Verwendung zuzuführen, ohne die sakramentale Nutzung aufzugeben. So könne in der Mitte eines Ortes eine Art geistig-geistliches Kraftzentrum entstehen aus kirchlicher, sakraler, kultureller und sozialer Arbeit, was „die Gemeinde wieder überzeugend und präsent werden lässt“. Die Kirchen müssten diese Verbindung hin zu einer Sozialorientierung des heiligen Ortes allerdings wollen.

Der Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards empfiehlt in der Zeitschrift „Gottesdienst“, die derzeit vorherrschende Umnutzungsdebatte in eine Nutzungsdebatte zu überführen und vorrangig „von der Personenebene“ auszugehen. „Wie kann der ursprüngliche Sinngehalt“, die Kirche als Haus Gottes und als Versammlungsort der Glaubensgemeinschaft zu verstehen, so in den Blick kommen, „dass das Gebäude seine Identität zwar möglicherweise verändert, aber nicht gänzlich verliert oder gar pervertiert?“ Die daraus abzuleitenden Prozesse seien zwar mühsam und nicht ohne Risiko. „Im Endeffekt aber wird die Kirche davon profitieren, da sie auf diese Weise nicht bloß Steigbügelhalter, sondern vorne am Zügel ist.“

Auch Jörg Beste bemängelt, dass sich die Kirchenleitungen bisher nicht ausführlich genug mit alternativen Möglichkeiten zur Nutzung ihres Gebäudebestandes für die Erneuerung der Gemeindearbeit befasst haben. Die 27 katholischen Bistümer in Deutschland haben seit der Jahrtausendwende etwa 540 Kirchen und Kapellen als geistliche Räume aufgegeben. In der evangelischen Kirche waren es seit 1990 mehr als 700. Nur sehr wenige Kirchen sind im Vergleich dazu neu gebaut worden.

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