Pluralität als Chance erlebenDie Kita – ein religionspädagogischer „Blumengarten“

„Meine Kita hat sich in den letzten 20 Jahren völlig verändert“, sagte kürzlich die Leiterin einer großen katholischen Einrichtung im bayrischen Hinterland bei einer Fort- und Weiterbildung für Erzieher/innen. Sie erlebt, so führte sie aus, den Wandel vor allem bei der Zusammensetzung der Gruppen, der unterschiedlichen Herkünfte und Sozialstrukturen der Elternhäuser und der Individualität der Kinder selbst. Kann man in einer solchen Situation noch eine kirchliche Identität und ein katholisches Profil in der Kita (Kindertageseinrichtung) leben? Und wie kann religiöse Bildungsarbeit mit Kindern, Erzieher/ -innen und Eltern heute noch gelingen?

Die Metapher des ‚Blumengartens‘ spiegelt die Realität einer kirchlichen Kita in unserer Zeit recht umfassend wider. Denn die Institution, die klassischerweise Kindergarten heißt, ist längst keine ‚Monokultur‘ mehr, sondern eine wunderbare, heterogene Welt kleinerer und größerer Pflänzchen, die wachsen wollen, die in Form und Farbe höchst verschieden sind. Die erzieherische Kunst ist es, die Blumen je nach ihren Bedürfnissen zu pflegen und zu hegen, sie beim Wachsen und Blühen zu begleiten. Wenn man diese Sprachbilder übersetzt, heißt dies, dass die Kita ein bedeutendes religionspädagogisches Aufgabenfeld darstellt.

Pluralität – als „Zeichen der Zeit“ und als Chance

Die Kita ist so bunt wie die gesamte Gesellschaft. Selbst bei den katholisch getauften Kindern kann man nicht mehr davon ausgehen, dass sie eine einheitliche katholische Sozialisation erfahren, dass sie die Grundlagen einer katholischen Familienerziehung erleben, die sich etwa in Gebeten am Mittagstisch, religiösem Wandschmuck, kirchlich geprägten Abendritualen, sonntäglicher Feier des Gottesdienstes, Mitfeiern des Kirchenjahrs und regelmäßigem Kontakt zur Gemeinde ausdrücken würde. Die Heterogenität betrifft nicht nur die äußere Zusammensetzung der Gruppen, sondern auch die Differenzierung innerhalb einzelner Zugehörigkeiten. Pluralität ist das Hauptkennzeichen der gegenwärtigen Gesellschaft – auch im Kindergarten. Uniformität, alle über einen Kamm scheren, gleiche oder ähnliche Voraussetzungen der Kinder, verbindende Herkunftsmilieus – all dies ist endgültig passé.
Eine erste religionspädagogische Aufgabe besteht deshalb darin, die Kindereinrichtung in ihrer ‚Lebenswelt‘ und in ihrer Vielfalt wahr und ernst zu nehmen. Die Vielfalt wirkt für viele gewohnten Unternehmungen unterbrechend, denn es stellt sich die Frage, wie in einer heterogenen Gruppe christlich-religiöse Inhalte und Glaubensformen in der Kita gelebt und eingebracht werden können. Kann man, darf man noch St. Martin feiern wie bisher, wenn die Hälfte oder gar ein Großteil der Kinder nicht katholisch ist, wenn sie einer anderen Konfession oder Religion angehören oder wenn sie vom Elternhaus nichtreligiös erzogen werden? Ist der Nikolaus für Muslime eine Zumutung? Können und dürfen nichtchristliche Kinder Weihnachten und Ostern mitfeiern? Einen Gottesdienst mitgestalten? Kann man mit ihnen gemeinsam beten?

Die Kinder im Mittel- und Ausgangspunkt

Um diese Fragen zu beantworten, muss eine Grundsatzentscheidung getroffen werden, in der Religionspädagogik sprechen wir von ‚Grundoptionen‘: Wer oder was steht im Mittelpunkt der Kita? Ist es der Träger, die ‚Philosophie‘ des Trägers, der katholische Glaube? Demgegenüber sind sich die neueren Konzeptionen und Papiere der kirchlichen Stellen, die Verantwortung für die religiöse Erziehung in den Kitas tragen, ebenso wie die aktuelle Religionspädagogik darin einig, dass die Kinder selbst und sie in erster Linie im Mittelpunkt des Lebens eines Kindergartens stehen müssen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die „Religionspädagogische Rahmenkonzeption für Kindergärten in der Diözese Rottenburg- Stuttgart“ (2010) nennt als Grundsätze der Religionspädagogik an erster Stelle, dass die Kinder in der Mitte stehen müssen und sie als Subjekte ihrer eigenen religiösen Bildung zu sehen sind.
Eine solche Entscheidung hat enorme Konsequenzen für die konkrete Arbeit, aber auch für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieher/ innen. So sieht es der „Qualifikationsrahmen für die religiöse Bildung von Erzieherinnen und Erziehern an katholischen Fachschulen und Fachakademien“, ein Rahmenpapier der Deutschen Bischofskonferenz (2014) als Grundkompetenz von Fachkräften in der Kita, dass sie die Kinder in ihrer Lebenswelt verstehen und pädagogische Beziehung zu ihnen gestalten können. Dies erfordert zunächst eine Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit für die Kinder, ihre Voraussetzungen, ihre familiäre, soziale und persönliche Situation.

Jedes Kind ist unmittelbar zu Gott

Der theologische Grundsatz für eine solche veränderte Perspektive liegt in der theologisch-anthropologischen Überzeugung, dass jeder Mensch, und so auch jedes Kind unmittelbar zu Gott ist. Gott und Glaube müssen nicht krampfhaft anerzogen werden, um das Kind dem Heil näherzubringen, sondern: Kinder sind dem Gottesgeheimnis ebenso nahe wie ein Glaubender. Nur sind sich die Kinder (noch) nicht darüber bewusst. Das Gespür und das Bewusstsein dafür anzuregen sowie die Kinder zu begleiten und zu ermutigen, Gottes Gegenwart im Alltag des Kindergartens und im eigenen Leben zu entdecken und Formen dafür zu entwickeln, wie man diesem Gespür Ausdruck verleihen kann, ist die besondere und ehrenvolle Aufgabe von Erzieher/ -innen in der kirchlichen Kita.
Nur in der kirchlichen? Immer mehr wird entdeckt, dass Religion ein Teil des Lebens ist, den Kinder in seiner befreienden und unterstützenden Form schon früh kennen lernen sollten, damit sie gesund und innerlich gestärkt aufwachsen können. Religion ist Teil der gesamten Bildung, der Persönlichkeits- Bildung junger Menschen, weshalb man „Religiöse Erziehung als Bildung begreifen“ sollte (Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder: KTK).
Diese Vorgehensweise, also stets vom Kind her zu denken, entspricht keineswegs einer ‚Verflachung‘ des religiösen Arbeitens mit Kindern. Es dreht lediglich die Perspektive um: Es wird nicht vom Inhalt zuerst, vom Glaubensgut oder von der kirchlichen Institution ausgehend auf die Kinder geblickt, sondern anders herum: Von den Kindern her, ihren Bedürfnissen, ihren Fragen, Sehnsüchten, Hoffnungen und Ängsten aus blickt man auf Religion, Glaube und schließlich auf die Beziehung zu Gott. Dieser heilsame Perspektivenwechsel hilft, aus der Sackgasse einer reinen Vermittlungslogik auszusteigen, und bereitet den Weg zu einer Logik der Aneignung und der Beziehung.

Religiöse Erziehung und Bildung erfolgen in Beziehung

Heutzutage hat der Bildungsbegriff wieder Hochkonjunktur. Kindergärten werden verstärkt als Teil des Bildungssystems gesehen, was u. a. bedeutet, dass schnell vom Bildungsauftrag der Kita gesprochen wird. Doch was heißt Bildung und speziell religiöse Bildung im Blick auf Kinder? Wenn der Bildungsbegriff ins Spiel kommt, ist die alles entscheidende Frage, was man unter Bildung versteht. Die Engführung des Begriffs läuft auf Informations- und Wissensvermittlung, auf Weitergabe von Kenntnissen und Fertigkeiten hinaus, so die Kritik an einem verengten Bildungsbegriff. Doch Bildung muss breiter verstanden werden im Sinne der oben erwähnten ‚Persönlichkeits- Bildung‘. Bildung ist ein ganzheitlicher, dynamischer Akt, eine aktive Auseinandersetzung der Menschen, der Kinder mit ihrer Umwelt. Und vor allem: Bildung ist nur in Beziehung möglich, im Dialog und Austausch mit anderen. Da man den Menschen nicht von außen bilden kann, sondern er sich selbst bilden muss (und kann!) als eigenverantwortliches, aktives, weltverarbeitendes Wesen, ist Bildung stets ‚Selbstbildung in Beziehung‘.
Für religiöse Bildung und Erziehung in der Kita gilt: Man kann Kinder nicht zum Glauben bilden oder zum Glauben erziehen. Statt von „Erziehung zum Glauben“ sollte eher von einer „Bildung im Glauben“ gesprochen werden, wobei die religiöse Bildung ebenfalls wie die allgemeine Bildung in einem breiten, ganzheitlichen Sinn verstanden werden muss. In diesem Sinne bedeutet Bildung für die Erziehenden Begleitung der Kinder in ihren Fragen und Weltdeutungen, Hilfe zur Selbstbildung. Erzieher/innen sind in erster Linie Wegbegleiter/ -innen, Gesprächspartner/innen und Impulsgeber/innen für die Kinder.
Dies setzt voraus, dass die Erzieher/ innen selbst einen eigenen, persönlichen Zugang zur Gottesfrage und zu Glaubensfragen haben, zumindest eine Offenheit, sich selbst damit auseinanderzusetzen.

Erzieher/innen religionspädagogisch begleiten

Kinder sind Beziehungswesen – so wie alle Menschen, doch sind sie noch in besonderem Maße auf Bezugspersonen angewiesen, die ihnen Sicherheit und Orientierung geben. Kinder brauchen Wegbegleiter/innen, wobei neben den familiären Bezugspersonen in erster Linie die Erzieher/innen gefragt sind. Das erfordert ein hohes Maß an professioneller Kompetenz auf Seiten der Erziehenden, die sie von Hause aus mitbringen, aber v. a. in ihrer Ausbildung erweitern und ergänzen können. Eine gute religionspädagogische Ausbildung an den Fachschulen für Erzieher/innen ist eine Grundvoraussetzung für einen kompetenten Beitrag im Team der Erziehenden: Wahrnehmungs- und Beobachtungskompetenz; Diagnosekompetenz, Beziehungs- und Konfliktlösekompetenz; die Kompetenz, Entwicklungs- und Bildungsprozesse anzuregen, zu unterstützen und zu fördern; die Fähigkeit im Team und im gesamten Beziehungsnetz der Kita zu agieren; Kompetenz mit Eltern ins Gespräch zu kommen etc.
Bei der – noch längst unvollständigen Aufzählung – der Kompetenzen wird deutlich, dass Erzieher/ innen keineswegs nur Spiel-, Bastel- und Aufsichtspersonen sind, sondern eine komplexe, anspruchsvolle und gleichzeitig sensible Tätigkeit ausüben. Darin dürfen sie nicht alleine gelassen werden! Die Träger der Einrichtung, insbesondere die Kirchengemeinden bzw. Seelsorgeeinheiten müssen ihre Aufgabe in der Begleitung der Erzieher/innen erkennen und wahrnehmen.
Beispiele hierfür sind Klausurtage der Erzieher/innen zu religiösen Themen, wobei sie selbst ihre eigenen religiösen Fragen einbringen, ihre spirituellen Zugänge bedenken und neue Erfahrungen machen können. Das Pastoralteam sollte eine kompetente Person (Pfarrer, Pastoral- oder Gemeindereferentin) zur Betreuung und Begleitung der Erzieher/innen bestimmen. Ideal wäre, wenn diese die Kitas regelmäßig besucht, zu den Mitarbeiter/ innen in den Kitas eine gute Beziehung aufbaut und religionspädagogische Fort- und Weiterbildung organisiert.

Mit Kindern unterwegs zu Gott

Erzieher/innen, die selbst einen Draht zu Glaubensfragen haben und darin unterstützt werden, können zu spirituellen und religiösen Wegbegleiter/innen der Kinder werden, und zwar aller Kinder, egal welcher Herkunft sie sind und welche Religiosität sie von den Familien her mitbringen. Beispielsweise können alle Kinder zur Stille geführt werden. Stilleeinheiten im lauten Getriebe des Kita-Alltags tun allen Akteuren gut, auch den Erwachsenen. „Kinder lieben Stille“, sagte bereits die katholische Reformpädagogin Maria Montessori vor mehr als 100 Jahren. Und viele Erzieher/innen bestätigen dies auch für die heutigen Kinder einer stets umtriebigen, hektischen Medien- und Konsumwelt.
Das Gleiche gilt für Dankbarkeit: Wenn vor dem Essen ein Dank ausgesprochen wird für alle guten Gaben, die wir haben, können alle Kinder dabei sein. Die christliche Erzieherin kann sagen, dass alle Religionen Dankgebete kennen. Christen beten folgendermaßen … Hier können freie oder vorgeformte Gebete eingebracht werden – eine religiöse Sprachschule für alle!
In analoger Weise kann mit Symbolen (Licht, Steine, Wasser etc.) gearbeitet werden, können Feste gefeiert werden – auch St. Martin, Nikolaus, Weihnachten und Ostern. Christen feiern diese Feste, so wie andere Religionen ihre Feste feiern. Nichtchristen und Andersgläubige sind eingeladen, diese Feste kennen zu lernen. Wichtig dabei ist eine gute und intensive Elternarbeit im Sinne einer Erziehungspartnerschaft. Eltern sollten bei Elternabenden nicht nur informiert werden, sondern die Gelegenheit bekommen, auch selbst religiöse Fragen zu stellen und über Glaubensthemen ins Gespräch zu kommen, spirituelle Erfahrungen zu machen.
Pluralität muss keineswegs ein Hindernis für religionspädagogisches Arbeiten in der Kita sein. Sie kann als Chance, als Bereicherung wahrgenommen und gelebt werden. Voraussetzung dabei aber ist, dass die Erzieher/innen kompetent geschult und kompetent begleitet werden.

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