„Brennspiegel“ für den ElementarbereichBeobachtungen auf der Bildungsmesse didacta 2019 in Köln

Die Superlative der weltweit größten Messe für den Bildungssektor lassen kaum erahnen, dass die ‚didacta‘ Jahr für Jahr in besonderer Weise auch ein Brennspiegel für den Elementarbereich ist: Welche Themen sind dort gerade aktuell? Welche neuen Materialien werden zur Unterstützung der täglichen Arbeit und was für die Ausstattung von Tages einrichtungen angeboten?

Auch wenn ich mittlerweile nicht mehr hauptberuflich im frühpädagogischen Arbeitsfeld tätig bin, war ich in diesem Jahr wieder auf der Bildungsmesse. In Köln trafen rund 100.000 Besucher*innen auf immerhin 915 Aussteller aus 53 Ländern. Interessant ist für mich jedes Mal die Wahrnehmung der umfangreichen Angebote – vor allem, weil ich die Entwicklungen bereits seit der ‚didacta‘ im Jahr 1997 beobachten konnte. So ließ sich jährlich feststellen, ob die Herausforderungen, mit denen Mitarbeiter* innen in Tageseinrichtungen konfrontiert waren, jeweils auch schon in den Angeboten der Aussteller „angekommen“ waren. In diesem Jahr waren folgende Entwicklungen auffällig:

Der Ausstattungsbereich

Es präsentierten sich viele neue Aussteller, die Ausstattungsmaterialien für den Innen- und Außenbereich anbieten. Dagegen war eine Reihe von Ausstellern, deren Produktentwicklung ich in den vorangegangenen Jahren beobachtet hatte, nicht mehr vor Ort. Es fiel auf, dass die neuen Anbieter naturnahe Produkte kombiniert mit einer individuellen Umsetzungsplanung anbieten. Dieselbe Tendenz zeichnet sich verstärkt auch bei großen Anbietern ab, die ganz offensichtlich ihre Präsentation und Firmenphilosophie geändert haben, indem sie sich weniger darauf konzentrieren, Fix-Produkte zu verkaufen, sondern sich stattdessen stärker auf Kund*innen-Wünsche einstellen und passgenauere Angebote entwickeln.

Die Digitalisierung

Angebote zur Digitalisierung im Elementarbereich, vor allem zur Bewältigung von Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben, aber auch für die medienpädagogische Arbeit mit den Kindern, sind bei den großen Anbietern mittlerweile fester Bestandteil der Angebotspalette. Anders als im Schulbereich sind diese Angebote jedoch noch kein integrierter Bestandteil, sondern werden eher im Rahmen von programmatischen „Inseln“ vorgehalten. Zugleich ist die Zahl kleinerer, auf digitale Lösungen spezialisierter Unternehmen, die Dienstleistungen bzw. Software für Verwaltung und Dokumentation anbieten, erheblich gestiegen.

Die inhaltliche Perspektive

Eine ausführliche Sichtung der zu aktuellen Themen angebotenen Fachveranstaltungen und Kita-Seminare war mir in diesem Jahr leider nicht möglich. In den Veranstaltungen und ihrer Besuchsfrequenz spiegelte sich in der Vergangenheit immer wider, welche Themen in der Praxis momentan besonders relevant sind oder tendenziell zunehmend bedeutsam werden. Um dem Rechnung zu tragen, werden zur Mitwirkung auf der Bildungsmesse immer Fachleute eingeladen, die „am Puls der Zeit“ sind. Allerdings gibt es leider nun schon seit einigen Jahren nicht mehr den Fortbildungsstand, an dem alle Bildungsträger ihre Programme auslegen konnten, wodurch in konzentrierter Form die Relevanz bestimmter Themen erkennbar wurde.

Irritierend war die Beobachtung, dass an vielen Ständen – und zwar nicht nur im Schulbuch-Bereich, sondern z. T. auch bei Trägern und Dienstleistern – ein Schwerpunkt auf „Vorschularbeit“ gelegt und dieser besonders herausgehoben wurde. Auf Nachfrage an einigen Messeständen, an denen Träger und Verlage den Bereich „Vorschule“ besonders prägnant herausstellten, wurde betont, dass Fachkräfte im Elementarbereich die Materialien und Angebote nachfragen. Denn die Kinder, die im nächsten Jahr in die Schule kommen, würden ja in der Vorschule zusammengefasst. Aus Sicht der Verlage ergibt sich zudem die Notwendigkeit, explizit den Bereich „Vorschule“ zu bedienen, da die Materialien europaweit angeboten würden und es in anderen europäischen Ländern einen solchen Bereich gebe. Dementsprechend wurde ausdrücklich bedauert, dass es in Deutschland diese deutliche Trennung zwischen Elementar- und Primarbereich gibt.

Von daher interessierte es auch an den betreffenden Ständen nicht weiter, dass der Elementarbereich in Deutschland einen eigenständigen Bildungsauftrag hat und dass eine professionelle Förderung im Elementarbereich, verbunden mit guten Projekten zum Übergang, den erfolgreichen Schulbesuch optimal vorbereiten kann. Und schon gar nicht der Hinweis, dass es in Deutschland keine Vorschulen gibt, was sogar in Artikel 7 Absatz 6 des Grundgesetzes festgelegt ist: „Vorschulen bleiben aufgehoben“. Die Antwort, dass die Vorschularbeit aber doch „spielerisch“ erfolge, gründete jedoch nicht auf der Erkenntnis, dass das Spiel eines Kindes etwas anderes ist als spielerische Lernintentionen.

Kritische Rückschlüsse

Einerseits erfolgt also über die „Europäisierung“ von Bildungsmedien teilweise ein inhaltlicher Einfluss auf die pädagogische Arbeit im Elementarbereich, andererseits werden Unter nehmerentscheidungen in diesem Bereich in erster Linie von Verkaufszahlen und nicht von inhaltlichen Herausforderungen der Praxis bestimmt. Demzufolge flutet zunehmend eine dezidiert vorschulische Ausrichtung von Materialien den Markt. Man muss sich kritisch fragen: Werden pädagogische Fachkräfte durch die zunehmende Fülle an Angeboten für die „Vorschule“ in eine inhaltliche „Falle“ gelockt, zumal ja ohnehin immer stärker auf den späteren schulischen Erfolg von Kindern geachtet wird? Findet dadurch von innen heraus eine schleichende Veränderung der pädagogischen Arbeit und des Bildungsverständnisses im Elementarbereich statt? Mir persönlich erscheint die Bezeichnung „Vorschularbeit“ jedenfalls fragwürdig, zumal Kinder im „Hier und Jetzt“ leben und nicht im Vorgriff auf eine zukünftige Zeit. Unabhängig davon sind die älteren Kinder in Tageseinrichtungen selbstverständlich anders zu begleiten und sie müssen andere Aufgaben wahrnehmen können, um sich als die „Großen“ zu fühlen, die bald in die Schule kommen. Selbst wenn die Silbe „Vor-“ durchaus gebräuchlich geworden ist, käme doch niemand auf die Idee, ein Schulkind der vierten Grundschulklasse als „Vor-Gymnasiasten“ usw. zu bezeichnen.

Mein Fazit aus den Beobachtungen

Die ‚didacta‘ ist immer einen Besuch wert, weil sie Orientierungen, Einordnungen der eigenen Arbeit im Elementarbereich und darüber hinaus Antworten auf zentrale Bildungsfragen ermöglicht. Sie bietet aber auch die Gelegenheit, die eigene Sichtweise mit den dortigen Angeboten abzugleichen und festzustellen, ob es für die eigenen Herausforderungen Anregungen gibt. Gleichzeitig kann man sich mit Blick auf die Angebote und das „Sendungsbewusstsein“ der einschlägigen Messe-Aussteller seiner selbst vergewissern. Insofern lohnt es sich, den „Brennspiegel“ didacta im Blick zu behalten. Ich selbst will nächstes Jahr in Stuttgart (vom 24.–28. März 2020) jedenfalls wieder dabei sein.

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