Die Fachkraft-Kind-Beziehung auf dem Prüfstand„Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen"

Seelische Verletzungen stellen die häufigste Gewaltform im Bildungswesen dar, werden aber hartnäckig ignoriert. Anfang November fand im brandenburgischen Reckahn eine Konferenz mit 60 Expert(inn)en statt, die sich der Aufgabe stellten, Strategien zur Verbesserung pädagogischer Beziehungen zu erarbeiten. Das Projekt „Reckahner Reflexionen“ wendet sich auch an die Kita-Leitung.

Die Fachkraft-Kind-Beziehung auf dem Prüfstand
© Karla Fritze, Rochow Edition

Der Expertenkonferenz vorausgegangen war eine fünfjährige interdisziplinäre und internationale Auseinandersetzung mit dem Thema. Beteiligt waren Fachleute aus Praxis, Leitung, Verwaltung, Wissenschaft, Bildungspolitik und Stiftungen. Im Verlauf dieses Prozesses formulierte der „Arbeitskreis Menschenrechtsbildung“ 10 Leitlinien einer Selbstverpflichtung zu dem, was im Rahmen pädagogischer Beziehungen ethisch begründet (1.–6.) und was ethisch unzulässig ist (7.–10.). Letztere sind als Reaktionen auf tatsächlich praktizierte, problematische Handlungsweisen zu sehen. Beobachtungs- und Befragungsstudien belegen, dass anerkennendes pädagogisches Handeln in Kindertageseinrichtungen zwar vorherrscht, dass aber zugleich seelische Verletzungen durch Fachkräfte, z. T. auch in heftiger Form, stattfinden. Die so entstandenen „Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen“ sind kinderrechtlich fundiert und verstehen sich als Beitrag zu Menschenrechtsbildung und Demokratieerziehung. Drei Ziele verfolgen sie hauptsächlich:

  • Die gegenseitige Achtung der Würde aller Mitglieder von Einrichtungen stärken,
  • das Nachdenken über pädagogische Beziehungen anregen und
  • dauerhafte professionelle Entwicklungen auf der Beziehungsebene unterstützen.

Angesprochen sind ausdrücklich auch pädagogische Fachkräfte und die Verantwortlichen in allen Bereichen des Bildungswesens. Die Leitlinien anerkennen die alltägliche Arbeit pädagogischer Fachkräfte und fordern deren Unterstützung durch Fachleute.

Eckdaten, Hintergründe und Verbreitung des Projekts

Um die „Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen“ sowohl lokal als auch bundesweit und international zu verbreiten, Fortbildungen zu dem Thema zu konzipieren und darüber hinaus interdisziplinäre Forschungsvorhaben dazu anzustoßen, fand nun der Kongress im brandenburgischen Rochow-Museum statt. Die Laufzeit des Projekts ist bis 2021 angesetzt, geleitet wird es von der renommierten Professorin Dr. Annedore Prengel und gefördert durch die Robert Bosch Stiftung. Herausgeber sind das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin, das Deutsche Jugendinstitut e.V. in München (DJI) und das Menschen- RechtsZentrum der Universität Potsdam.

Aus historischer Sicht stehen die „Reckahner Reflexionen“ in der Tradition einer aufgeklärten, menschenfreundlichen Pädagogik, wie sie bereits zwischen 1773 und 1805 auch in der historischen Musterschule des brandenburgischen Ortes Reckahn Anwendung fand. Davon ausgehend sollen gegenwarts- und zukunftsbezogene Perspektiven entwickelt werden.

Relevanz für Kita-Leitungen

Der Aufgabenbereich von Kita-Leitungskräften wird in den „Reckahner Reflexionen“ mehrfach erwähnt und konkretisiert. Gleich im Einstieg, der „Handlungsebenen der Stärkung pädagogischer Ethik“ beleuchtet, wird u. a. auch ein Grundmotiv des pädagogischen Handelns von Personen in Leitungspositionen formuliert. Demzufolge sollen sie anerkennende pädagogische Beziehungen fördern und dabei vom Träger unterstützt werden. Die weitere Forderung, dass Teams an der kinderrechtlichen Qualität ihrer pädagogischen Beziehungen arbeiten, zählt ebenfalls zu den grundlegenden Zuständigkeiten von Leitung.

Die Leitlinien wollen die Gefahr der Duldung pädagogischen Fehlverhaltens auf der Beziehungsebene bewusst machen – oder positiv formuliert: zu Bildung, Antidiskriminierung, Partizipation und Inklusion auf der Beziehungsebene beitragen. Gerade hier liegt eine hohe Verantwortung auch bei Leitungskräften, nicht zuletzt, was die „Kultur“ einer Kita betrifft. Demnach lautet die pädagogische Grundregel: „Kinder und Jugendliche werden wertschätzend angesprochen und behandelt.“ Die Ethik pädagogischer Beziehungen ist in der Krippenpädagogik auf besondere Weise gefordert. Feinfühlige Beziehungen sind für alle Altersstufen relevant, aber in der Arbeit mit unter 3-jährigen Kindern von allerhöchster Bedeutung. Wird Krippenkindern eine ausreichend gute Qualität und Kontinuität der Erzieher/- in-Kind- Beziehung vorenthalten, so ist zu analysieren, ob solche Situationen nicht als besonders zu beachtende altersspezifische Form von Menschenrechtsverletzung anzusehen sind.

Eine Verbesserung pädagogischer Beziehungen kann gelingen, wenn auf vielen Handlungsebenen des Bildungswesens unterstützende Schritte realisiert werden. Bezogen auf Kitas sind die Akteure dieser Arbeit Fachkräfte in multiprofessionellen Teams, Kinder und ihre Eltern, Einrichtungsleitungen sowie Personen aus Wissenschaft, Ausbildung, Beratung, Verwaltung, Stiftungswesen und Politik. Zwei Handlungsperspektiven stehen hier im Fokus:

  • Stärkung vorhandener gelingender Ansätze sowie Prävention und
  • Entwicklung wirksamerer Möglichkeiten von Intervention bei Fehlverhalten.

Für Personen in Leitungspositionen benennen die „Reckahner Reflexionen“ konkrete Handlungsmöglichkeiten:

  • Sie entwickeln mit ihren Teams ein Einrichtungsprofil, zu dem es gehört, dass anerkennendes Handeln aller Beteiligten hervorgehoben und verletzendes Handeln nicht toleriert, sondern thematisiert wird.
  • Sie entwickeln mit ihren Kollegien vielseitige situativ passende Schritte zur Verbesserung pädagogischer Beziehungen, z. B. einrichtungsinterne Fortbildungen oder Kinderbefragungen.
  • Sie pflegen das an den Kinder- und Menschenrechten orientierte anerkennungsförderliche Profil, stärken anerkennende pädagogische Beziehungen und werden dabei vom Träger unterstützt. Sie unterstützen pädagogische Fachkräfte, wenn sie schwierige Situationen mit Kindern oder Eltern bewältigen müssen.
  • Sie kooperieren mit kommunalen Stellen, Ämtern und Trägern, um Kinder- und Menschenrechte vor Ort zu stärken.
  • Sie ziehen den Träger heran, wenn es ihnen in Einzelfällen nicht gelingt, die Verminderung verletzenden pädagogischen Handelns zu erreichen.

Hinweis

Die Broschüre, das Plakat sowie Flyer und Miniflyer zu den „Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen“ finden Sie unter: www.rochow-museum. uni-potsdam.de/reckahner reflexionen.html. Personen und Institutionen, die die Leitlinien befürworten, können sich als Unterzeichner/-innen registrieren lassen (E-Mail: aprengel@unipotsdam. de).  

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