Wie ich mich in Zeiten von Überbelastung und Dauerbelastung zu meinem Team verhalte

Montagmorgen, 7 Uhr. Mein Telefon klingelt: Um diese Zeit kann das nur eins bedeuten: Eine Kollegin meldet sich krank - gleich darauf noch eine. Kurzer Rundruf und tatsächlich: Eine andere Kollegin kann früher kommen. Situation gerettet, Aufsichtspflicht gewährleistet. 9.00 Uhr im Kindergarten: Notprogramm steht, aber was ist mit dem Schnupperkind, das heute kommen wollte, was mit dem terminierten Elterngespräch und was wird aus dem angekündigten Projektausflug morgen? Den Kolleginnen steht es ins Gesicht geschrieben, dass die Woche mit Stress beginnt. Solche und ähnliche Situationen, die Kolleginnen immer wieder an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringen, stellen mich als Leiterin jedes Mal aufs Neue vor eine besondere Herausforderung. Was kann ich tun - jetzt und schnell, während die Kinder bereits im Kommen sind und die Eltern zwischen Tür und Angel stehen?

In meiner langjährigen Leitungstätigkeit in einer großen Kita habe ich mir in Situationen wie dieser angewöhnt, zunächst einmal bewusst Ruhe zu bewahren und möglichst sachlich eine Art innerliche Schnellanalyse zu machen. Dabei stelle ich mir Fragen wie:

  • Wo oder worin liegt die Problematik der Situation?
  • Was hat sie verursacht?
  • Wie könnte man sie bewältigen?
  • Was oder wer könnte helfen? Ich suche eine Lösung, die die Lage entschärft und die ich andererseits innerhalb meines Handlungsspielraumes verantworten kann.

Die Belastungsgrenze der Mitarbeiterin erst einmal zu erkennen, sie zu akzeptieren und davon überzeugt zu sein, dass man zusammen einen Weg zur Entlastung finden wird, ist eine Ausgangsposition, die mir dabei immer sehr geholfen hat. Steht man als Leitung oft genug vor der Aufgabe, allein rasch fertige Lösungen zu stricken, so scheint es mir andererseits wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass man nicht alles für sein Team lösen kann und/oder muss.

Nach dem direkten Handeln in der konkreten Situation versuche ich also, zeitnah oder in einer der nächsten Teamsitzungen die Belastungssituation und die Ansprüche an uns selbst, aber auch diejenigen, die von außen an uns gestellt werden, zu thematisieren. Dabei überprüfen wir auch gemeinsam kritisch unseren Auftrag, die zusätzlichen Aufgaben oder Belastungen, die uns wieder „erwischt" haben, und wägen ab, was daran richtig und notwendig - oder aber einfach so nicht zu leisten ist.

Das Gefühl, nicht ausgeliefert zu sein, oder zumindest, dass die Belastung nicht allein auf den eigenen Schultern liegt, ist schon ein Stück Entlastung. Natürlich besteht bei solchen Teamthemen immer die Gefahr, dass man beim gemeinsamen Jammern stehen bleibt. Auch hier bin ich als Leitung angefragt. Mir muss es gelingen, den Hebel vom Gefühl „ausgeliefert" zu sein hin zum „aktiv Handeln" umzulegen.

Nach meiner Erfahrung ist es hilfreich, das Problem zunächst zusammenzufassen und das Ziel zu formulieren. Dann erarbeiten wir in der Runde oder auch im kleineren Gremium einen neuen Weg, um dem Ziel näher zu kommen. Manchmal stellen wir dabei fest, dass wir zu große Schritte geplant hatten. Dann zerlegen wir sie nochmals in kleinere Arbeitsschritte und erweitern ggf. den zeitlichen Rahmen.

Es ist noch nicht allzu lange her, dass wir das letzte Mal in eine solche verzwickte Situation gerieten. Unser erklärtes Jahresziel war es, ein Raumkonzept im Sinne unseres Bildungsverständnisses zu entwickeln. Die einzelnen Schritte waren genau geplant, die Zeitschiene festgelegt, das Team hoch motiviert. Dann fielen genau die beiden Kolleginnen aus privaten Gründen aus, die beauftragt waren, sich zu diesem Thema weiterzubilden, die Ergebnisse ins Team zu transportieren und die Umsetzung zu begleiten. Der theoretische Teil war zwar schon geschafft, aber es gab noch jede Menge Unklarheiten und Diskussionsstoff. Dazu kam noch der Wunsch oder besser die Aufforderung des Trägers, die Betreuungszeiten innerhalb von drei Monaten zu erweitern. Was haben wir gemacht? Raumkonzept gestoppt. Betreuungskonzept vorgezogen. Team frustriert, Zeitplan geändert, Schritte festgelegt. Team neu motiviert, Ziel ein halbes Jahr später erreicht. Team zufrieden.

Keine leichte Aufgabe

Die souveräne Klärung der Belastungssituation im Team wird Aufgabe bleiben - besonders in diesen Zeiten. Vermehrt stürmen Anforderungen von allen Seiten gleichzeitig auf die Mitarbeiterinnen ein. Kinder, die an manchen Tagen mehr Kraft kosten, Eltern, die ihre Sorgen mitbringen und in ihren Erwartungen ernst genommen sein wollen. Zusätzliche Aufträge des Trägers, der darüber hinaus berechtigterweise Weiterentwicklung und eine qualifizierte Arbeit erwartet, neue Bildungsanforderungen, die umgesetzt werden wollen… So spannend das Feld der Frühpädagogik mit seinen zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten ist, so vielfältig heißt es zu reagieren und den Auftrag der „Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern" zu steuern und qualifiziert umzusetzen.

Mein individueller Handlungsspielraum als Leiterin ist ähnlich ausdifferenziert wie der der einzelnen Mitarbeiterin, die ihre Handlungen an der je eigenen Entwicklung der Kinder ausrichten muss. Dies im Blick zu behalten hat mir als Leiterin immer sehr geholfen. Nur wenn ich höchst aufmerksam für die Anliegen meiner Kolleginnen bin, kann ich Belastungssituationen richtig und rechtzeitig erfassen und entsprechend einordnen.

Damit mir das gelingt, fordere ich von mir, immer wieder zu strukturieren, Ziele zeitlich zu regulieren und entsprechend Vorhaben und Ideen auszubremsen, zurückzustellen oder auch zu forcieren. Dies gilt vor allem auch bei Belastungen, die durch äußere Umstände entstehen. Hier ist Abgrenzung gefragt durch die Konzentration auf die Frage, was unser eigentlicher Auftrag ist.

Sehr interessant finde ich immer wieder, wie einfallsreich ein Team sein kann, gemeinsam Wege zu finden, um mit Belastungssituationen besser klarzukommen. So kommt es in meiner Einrichtung vor, dass speziell in Hochbelastungen jemand ein informelles Treffen am Abend vorschlägt. Das letzte Mal kam die Idee auf, gemeinsam zum Karaoke-Singen zu gehen. Allerdings gibt es hierbei unter uns eine absolute Spielregel: Niemand soll sich verpflichtet fühlen und: Über Abwesende wird nicht geredet.

In einem Fall habe ich das Thema Stress in einen pädagogischen Planungstag aufgenommen, weil mir dies in der damaligen Situation als dringend gerechtfertigt erschien. Es brachte neben einem riesigen Motivationsschub höchst überraschende und sehr konkrete Ergebnisse, die wir lange als „Goldene Regeln im Umgang mit Stress" an unserer Pinnwand sichtbar vorzeigten.

Einhalt gebieten

Auch wenn es gelingt, dass sich Einzelne oder auch das gesamte Team auf diese Weise über Durststrecken helfen (und solche gibt es in letzter Zeit immer häufiger), so stehe ich als Leiterin immer wieder ernsthaft vor der Fragestellung, inwiefern wir uns an der Grenze des noch Machbaren bewegen bzw. was an Krisenmanagement noch zu verantworten ist. Denn die Anforderungen wachsen beständig weiter und niemand gebietet Einhalt, wenn Leitung dies nicht professionell beantwortet!

So steht nach einer kritischen Betrachtung u.U. ein Gespräch mit Fachberatung und/oder Träger über Rahmenbedingungen und Arbeitsgrundlagen an.

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